Kein Tag vergeht, an dem der Zustand des Landes und seiner Regierung nicht in den düstersten Farben gemalt wird und die linksliberale Presse, angeführt von Standard und Falter, hilft dabei tatkräftig mit. Mit der Zeit ruiniert eine dermaßen konzertiert durchgezogene destruktive Kampagne tatsächlich die Stimmung im Land und alles erscheint uns nur noch grau und trist.

Um der Regierung den Rest zu geben, werden jetzt sogar die Gespenster der Vergangenheit, die zum Wohle aller in Vergessenheit geraten waren, zurück auf die politische Bühne geholt. Martin Schulz, eine ähnlich traumatische Figur für die SPD wie Christian Kern für die SPÖ, vergleicht die Situation der Justiz in Österreich mit der in Polen und Ungarn, nur weil es sich tatsächlich jemand erlaubt hat, Teile des Justizapparates zu kritisieren. Bisher war Institutionenkritik, ausgenommen arabische Länder wie Iran und Saudi-Arabien oder Putins Russland, ein demokratisches Recht, heute wird man dafür in die Nähe von Rechtspopulisten gerückt.

Auch Reinhold Mitterlehner, der erfolgloseste ÖVP-Vorsitzende aller Zeiten, der die Partei auf 19 Prozent heruntergewirtschaftet hatte, als man auf sein weiteres Wirken dankend verzichtete, faselt wolkig über den fehlenden Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen. Und selbst der immer müder dreinblickende grüne Revolutionär außer Dienst, Werner Kogler, tadelt im Stil eines Dorfschullehrers des frühen 20. Jahrhunderts, die um sich greifende Respektlosigkeit der erhabenen und hochwürdigen Justiz gegenüber. Dabei gehört es zum Wesen einer aufgeklärten liberalen Gesellschaft, dass sich niemand mehr den Institutionen des Staates in verlogener Ehrfurcht tief gebeugt zu nähern hat. Staatliche Institutionen sind nicht dazu da, um angebetet zu werden, sie müssen funktionieren. Und glaubt jemand, dass das nicht der Fall ist, dann hat er das gute Recht, eine kritische Stellungnahme abzugeben, egal ob er Fahrdienstleiter bei den ÖBB oder Bundeskanzler ist. Wenn das nicht mehr erlaubt ist oder die Menschen es nicht mehr wagen, weil sie sonst Nachteile befürchten müssen, dann ist etwas faul im Staat.

Hass- und Vernichtungs-Ekstase

Parteien wie die Neos und die SPÖ, von denen man sich eigentlich mehr Contenance und politischen Stil erwartet hätte, haben sich förmlich in eine Hass- und Vernichtungs-Ekstase hineingesteigert. Allein das Aussprechen des Namens des Kanzlers führt in ihren Reihen zur sinnesgetrübten Raserei. In diese gefallen, stoßen manche Nazivergleiche aus. Zuletzt der ehemalige Neos-Obmann Matthias Strolz, der die „NVP“ (sic!) der Anwendung „strukturell faschistischer Methoden“ bezichtigte. Ganz abgesehen davon, dass der Begriff „strukturell“ heute immer dann Verwendung findet, wenn man jemanden etwas anhängen will, aber keine konkreten Belege dafür hat, hat die Inflation von Nazi-Zuschreibungen dazu geführt, dass sich kaum noch jemand von diesen ehrlich tangiert fühlt. Vor allem unter Jugendlichen hat das Nazi-Wort seine abstoßende Wirkung verloren. Was auch verständlich ist, denn wenn die ÖVP strukturell faschistisch ist, wer muss sich dann noch vor dem Faschismus fürchten. Mit einem solchen Faschismus ist gut leben, in Freiheit, Wohlstand und Frieden.

Neben der Entdramatisierung des Faschismus führt der im Kern unpolitische, weil nur mehr auf persönliche Herabwürdigung abzielende populistische Amoklauf der Opposition, zu einer Inflation von öffentlichen Inszenierungen der Zerknirschung, der Entschuldigung, der Selbsterniedrigung. Selbst der bisher als taff und stabil erschienene Christian Pilnacek, wirft sich nun öffentlich in den Staub und fordert Vergebung, aber Vergebung wofür?

„Tyrannei der Intimität“

Für eine private SMS- oder WhatsApp-Kommunikation, die niemals für die Öffentlichkeit bestimmt war und so wie die „schmutzigen“ Bilder vom Handy des ÖBAG-Chef Thomas Schmid respekt- und stillos an die Medien durchgestochen wurden? Hier fällt uns sofort der Begriff von der „Tyrannei der Intimität“ ein, der auf Richard Sennett zurückgeht. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss hat den öffentlichen Raum von einem Ort der nichtpersonalen Beziehung und des nichtpersonalen Handelns, von einem Ort der auf das Allgemeine gerichteten Politik also, in eine boulevardeske Bühne verwandelt, auf der intime Tratsch- und Klatschgeschichten aufgeführt werden. Anstelle der Macht des rationalen Diskurses herrscht dort nun unterhaltungsindustrieller Klamauk, der allein auf die Erregung der Emotionen des Publikums abzielt. Und das alles für den Gegenwert von ein paar Mandaten.

Für diese wirklich gelungene Herabwürdigung der Politik aus narzisstischen Motiven auf das küchenpsychologische Niveau von Reality-Formaten, wie Frauentausch oder Dschungel-Camp, gebührt der traurigen Opposition im Hohen Haus aufrichtiger Dank. Abzustatten bei der nächsten Wahl.

Der Jugendforscher und eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier untersucht seit mehr als zwei Jahrzehnten die Lebenswelt der Jugend und ihr Freizeitverhalten. Er kennt die Trends, vom Ende der Ich-AG bis zum neuen Hedonismus und Körperkult, bis zu Zukunftsängsten im Schatten von Digitalisierung und Lockdown. Heinzlmaier ist Mitbegründer und ehrenamtlicher Vorsitzender des Instituts für Jugendkulturforschung. Hauptberuflich leitet er das Marktforschungsunternehmen tfactory in Hamburg.