Die Gewerkschaften klopften sich nach elf Stunden Feilschen in der Nacht auf Sonntag auf die Schulter: “Der starke Druck aus den Betrieben mit den Betriebsversammlungen und Warnstreiks hat auf Arbeitgeberseite für Bewegung gesorgt”, erklärten die beiden Gewerkschafts-Chefverhandler Rainer Wimmer (PRO-GE) und Karl Dürtscher (GPA). “Nur so war es möglich, ein sehr, sehr gutes Gesamtpaket inklusive kräftigen Steigerungen bei Schichtzulagen und Lehrlingseinkommen zu schnüren.” In der fünften Lohnrunde haben sich die Verhandler auf eine Anhebung der Ist-Löhne um 3,55 Prozent geeinigt.

Das Nettojahreseinkommen (blau) steigt, die Gesamtabgaben (grün) steigen noch mehr.

Schellhorn: "Der Staat bekommt auf jeden Fall mehr als die Beschäftigten"

Mehr Show ortet Franz Schellhorn, Direktor der Wiener Denkfabrik Agenda Austria: “Es wiederholt sich jedes Jahr dasselbe Spiel: Gewerkschaften und Arbeitgeber liefern sich öffentlichkeitswirksam einen harten Kampf um die Löhne. Im abgedunkelten Hintergrund beobachtet der Staat das jährliche Feilschen mit einem Lächeln auf den Lippen. Bekommt er doch immer mehr als die Beschäftigten, egal wie hoch der Abschluss ausfällt.”

Angestellte in der Branche werden zwar im Schnitt um 1146 Euro mehr Netto-Jahreseinkommen haben, aber auch 1727 Euro mehr Abgaben zahlen müssen, bei Arbeitern beträgt das Verhältnis 835 zu 1.183 Euro. Damit profitieren am meisten überhaupt nicht die Arbeitnehmer, sondern der Staat.

Gehalt steigt um 2,8 Prozent, die Steuer- und Abgabenleistung um 4,4 Prozent

Ein durchschnittlicher vollzeitbeschäftigter Arbeiter in der Metallbranche verdiente in diesem Jahr 3124 Euro brutto im Monat. Nach der beschlossenen Lohnerhöhung werden Arbeiter um 2,8 Prozent oder knapp 70 Euro mehr netto pro Monat auf dem Gehaltszettel sehen. Die Steuer- und Abgabenleistung werde sich dagegen um 4,4 Prozent oder knapp 100 Euro monatlich erhöhen, wie die Agenda Austria berechnet hat. Ein ähnliches Bild zeige sich bei den Angestellten: Deren Nettoentgelt steige um 95 Euro, während der Staat 144 Euro monatlich mehr an Steuern und Abgaben kassiere.

Wegen der schleichenden Steuererhöhung nehme die Steuerbelastung auch für jene Lohnerhöhungen zu, die nur die Inflation abdecken, kritisierte Schellhorn. Auch wer real nicht mehr verdiene, zahle trotzdem immer höhere Steuern. Eine solche “kalte Progression” wäre in der Schweiz oder in Schweden undenkbar, sagte Schellhorn. Dort würden die Beträge, ab denen die jeweiligen Steuersätze greifen, mit der Inflation mitwachsen, “so wie sich das für zivilisierte Volkswirtschaften gehört”.

Felbermayr: "Lohn-Preis-Spirale könnte für dauerhaft höhere Inflationsraten sorgen"

Kritik an den Gehaltserhöhungen kam auch vom neuen Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Gabriel Felbermayr. Das Problem: Die Gewerkschaften haben sich an der zu erwartenden Inflationsrate orientiert. Temporäre Inflationsspitzen könnten sich so verfestigen und Inflationserwartungen selbsterfüllend werden. “Das ist der Kern der Lohn-Preis-Spirale, die für dauerhaft höhere Inflationsraten sorgen könnte”, sagte Felbermayr gegenüber dem Standard. (APA/Red)