Mit der “Übersterblichkeit in Wien und Österreich nach dem ersten Jahr der Covid-19-Pandemie” befasst sich eine lesenswerte Studie. Sie stammt von Statistikern der Magistratsabteilung 23 (Wirtschaft, Arbeit und Statistik) der Stadt Wien.

Was an ihren präsentierten Befunden so bemerkenswert ist: Die Übersterblichkeit erlebte in den vergangenen Jahren in Wien tatsächlich verschiedene Hochs. Nur das “höchste Hoch” bescherte Wien nicht die Pandemie, sondern die Grippewelle im Jahr 2017. Eine Grafik in der Studie visualisiert es.

Die Abbildung zeigt die wöchentliche Zahl der Todesfälle in den Altersgruppen 0 bis 64 Jahre (blaue Linie) und 65 Jahre und älter (rote Linie). Die hellrote bzw. hellblaue Fläche bildet wiederum die erwartete Bandbreite der wöchentlichen Sterbefälle seit 2007 in Wien ab, und zwar in den jeweiligen Altersgruppe. In diesem Rahmen hätten sich demnach die Sterblichkeit bewegt ohne Hitzewellen, Grippewellen oder ohne Corona-Virus. Je mehr die blaue bzw. rote Linie über der jeweiligen Fläche liegt, umso höher ist die Übersterblichkeit – und die war ganz besonders hoch im Winter 2016/2017 aufgrund der Grippe, höher als drei Jahre später in Corona.

Das wirft die Frage auf, ob Corona wirklich so schlimm war, und ob all die einschneidenden Maßnahmen damals gerechtfertigt waren?

Man kann unterschiedliche Schlüsse ziehen

Offensichtlich nicht, werden die einen sagen. Die Zahlen belegen doch, wie harmlos diese Pandemie in Wahrheit verlaufen ist. Selbst wenn wir ohne Lockdowns die Intensivstationen stärker gefüllt hätten, wäre es offensichtlich nicht so dramatisch gekommen. Und das Argument könnte folgen: All die Milliarden Euros, die uns die Lockdowns gekostet haben, hätten wir besser in die Gesundheitsversorgung stecken können.

Die Pandemie war sehr wohl schlimm, werden die anderen sagen. Denn hätten wir nicht im Herbst 2020 mit einem Lockdown auf die steigenden Zahlen reagiert – spät aber doch –, wäre es zu einer Katastrophe gekommen. Die Zahlen belegen, wie wichtig und richtig die Maßnahmen waren, weil sie uns vor dem Schlimmsten bewahrt haben.

Studienautoren: "Perioden mit Übersterblichkeit nicht ungewöhnlich"

Die zweite Antwort wirft eine weitere Frage auf: Wenn wir mit Lockdowns richtig auf die Corona-Pandemie reagiert haben, warum sind die Politiker und Gesundheitsbehörden dann bei der Grippewelle relativ untätig geblieben? Hat Österreichs Gesundheitspolitik 2017 also unverantwortlich gehandelt?

Und so kommentieren die Studienautoren diese Ergebnisse selbst: “Die Zeitreihen zeigen, dass Perioden mit Übersterblichkeit keineswegs ungewöhnlich sind”, halten sie fest. “Einige saisonale Ereignisse, wie extreme Hitzewellen (in den Sommern 2010, 2012, 2015 und 2018) und schwere Grippeepidemien (z. B. im Winter 2016/2017), haben in Wien und Österreich in den vergangenen Jahren eine erhöhte Sterblichkeit in der älteren Bevölkerung in Wien und Österreich in der jüngeren Vergangenheit verursacht.”

"Covid verursachte einen längeren Zeitraum mit Übersterblichkeit"

Gab es einen Unterschied zu Corona? “Während die Dauer solcher saisonaler Ereignisse im Allgemeinen relativ kurz war (d. h. einige Wochen), verursachte die Covid-19-Pandemie einen wesentlich längeren Zeitraum mit einer kontinuierlichen Übersterblichkeit bei Menschen im Alter von 65 Jahren und älter, die mehrere Monate andauerte.”

Das wirft eine weitere Frage auf: Hätten wir ohne Lockdown am Ende eine kürzere Phase mit dafür höherer Sterblichkeit erlebt? Vielleicht, aber vermutlich greift auch das zu kurz.

Das letzte Wort in der Bewertung der Gegenmaßnahmen zu dieser Pandemie ist noch nicht gesprochen. In ein paar Jahren wissen wir mehr und können manches hoffentlich besser beurteilen.