Wer Verhandlungen statt Waffen für die Ukraine fordert, kann auf Change.org das Manifest von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer unterzeichnen. Vor drei Tagen starteten die beiden Frauen ihre Petition. Von 350.000 Menschen wurde sie seither unterzeichnet, aller scharfen Kritik zum Trotz, die diese Friedensinitiative zurzeit in der deutschen Öffentlichkeit erfährt.

Das nächste Ziel der Autorinnen sind 500.000 Unterschriften. Mit so vielen Unterstützern würde das Manifest zu einer der meist gezeichneten Petitionen auf Change.org werden. Eine Reihe prominenter Politiker, Wissenschaftler und Künstler hatten den Anfang gemacht und gehörten zu den Erstunterzeichnern.

Der österreichisch-irische Ausnahmekünstler Gottfried Helnwein (74) gehörte zu den Erstunterzeichnern des Manifests.

Kritiker: Müssen Ukraine unterstützen, bis Putin einlenkt

Kritiker verurteilen die Friedensinitiative. Sie halten Verhandlungen mit Putin samt Zugeständnissen an Russland für unerträglich, auch aus moralischen Gründen. „Erschütternd ist der Mangel an Empathie“, schimpfte etwa der deutsche Brigadegeneral a. D. Dr. Klaus Wittmann in einem Kommentar für die „Welt“. Er lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam.

Gemäß Wittmann gehe es in der Ukraine „nicht um das Kräftemessen zweier ‚Kriegsgegner‘, sondern um eine russische Unterwerfungsoffensive gegen ein freies Land“. Hingegen sei Präsident Selenskyjs Ziel „völlig legitim: Sein Volk will in Frieden und Freiheit leben, mehr nicht“. Das jetzige Ziel der West-Allianz hält der ehemalige Brigadegeneral für richtig: Es gehe „einzig darum, Putin zu der Einsicht zu bringen, dass ihm die Erreichung seiner Vernichtungsziele verwehrt wird und dass seine Truppen abziehen müssen.“ Von Putins Drohszenario einer nuklearen Eskalation solle man sich nicht erpressen lassen. Aus Sicht von Klaus Wittmann sei das Szenario auch nicht wahrscheinlich.

Das Risiko einer nuklearen Eskalation wird von Militär-Analysten unterschiedlich hoch bewertet. APA/GETTY

Wagenknecht und Schwarzer warnen vor Eskalation

Da sind Wagenknecht und Schwarzer, aber auch Militär-Analytiker gänzlich anderer Meinung. Die Ukraine könne „gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen.“ Es sei „zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.“

Kürzlich hat sich auch General Mark Milley, der Oberbefehlshaber der USA, für Verhandlungen ausgesprochen. Auf dem Schlachtfeld herrsche eine Patt-Situation.APA/AFP/Mandel NGAN

Es brauche Verhandlungen, und das sei keine Kapitulation. „Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten“. Dagegen wehren sich Wittmann und andere Kritiker mit Nachdruck: „Zwischen Vernichtung und Überlebenswillen ist kein ‚Kompromiss‘ denkbar“, sagt der ehemalige Brigardegeneral. Die Ukraine müsse befähigt werden, geraubte Gebiete „zurückzuerobern.“

US-Militäranalysten teilen Wagenknechts Bedenken

Ein anderes wichtiges Papier, das gegen Wittmanns Sichtweise und für Verhandlungen argumentiert, ist kürzlich in den USA erschienen. Es handelt sich um die Studie „Einen langen Krieg vermeiden“ der RAND Corporation, eines der wichtigsten US-Thinktanks, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs die US-Streitkräfte berät – der eXXpress berichtete. Die Studienautoren drängen ebenfalls auf einen Waffenstillstand samt politischem Verhandlungsprozess – je früher, je besser. Im Gegensatz zum Friedensmanifest argumentiert RAND mit den Interessen der USA, die in wichtigen Punkten mit den offiziellen Zielen Kiews nicht (mehr?) übereinstimmen.

Die beiden Studienautoren sehen ebenfalls eine Eskalationsgefahr – durch Nuklearwaffen oder direkten Konflikt zwischen NATO und Russland. Daher müsse die Vermeidung eines langen Krieges für die USA eine höhere Priorität haben als weitere Rückeroberungen Kiews. Abseits der Rückgewinne von Gebieten bestünden noch andere Interesse. Darüber hinaus, das deuten die Studienautoren an, könnte die Rückgewinnung von Territorien für die Ukraine von höherem Interesse sein als für die USA.

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