Der Iran hat schon mehrere Protestbewegungen erlebt, doch diesmal ist die Lage anders, sagt Walter Posch. Das Regime ist stärker gefährdet, aber nicht aufgrund der Unruhen, sondern wegen interner Machtkämpfe. Zurzeit finde ein Konkurrenzkampf auf allen Ebenen statt, auch innerhalb des Sicherheitsapparats. Es geht um Machtfragen entlang ethnischer und konfessioneller Zugehörigkeiten.

Walter PoschBundesheer

Posch ist Iranist und arbeitet am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien. Über die Unruhen im Iran sprach er im Podcast „Das Politikteil“ der Wochenzeitung „Die Zeit“.

„Alle im Iran haben das Regime satt“

Ausgelöst wurde die Protestwelle durch den gewaltsamen Tod von Mahsa Amini (22) vor rund fünf Wochen. Die junge Frau war zuvor von der iranischen Sittenpolizei festgenommen worden, weil sie das Kopftuch in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen habe. Alle Schichten und Gruppierungen gehen seither auf die Straße.

„Alle im Iran haben das Regime satt, und manchmal denke ich mir, das Regine hat sich selber satt“, sagt dazu Posch. „Man weiß, dass die ideologischen Versatzstücke nicht mehr funktionieren. Das wichtigste Versatzstück ist das Kopftuch. Die Kopftuch-Frage ist eine ideologische: Es geht um die Kontrolle des Territoriums und der Gesellschaft, und darüber hinaus um den Gradmesser der Unterwerfung unter die Ideologie des Regimes.“ Aber im Hintergrund stehe ein anderes Problem, und das stelle den Staatsapparat noch viel mehr in Frage: die Rolle der religiösen und ethnischen Minderheiten. Mahsa Amini war sunnitische Kurdin.

Schiitische Polizisten in sunnitisch-kurdischen Regionen

Die Proteste erschütterten zunächst und vor allem die kurdischen Regionen. Gleichzeitig sind die Polizisten keine Kurden, sie gehören ausschließlich der islamischen Konfession der Schiiten an, obwohl die Sunniten ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Das sorgt für massive Spannungen. „Es sterben Menschen in Polizeigewahrsam. Aber ethnische Minderheiten haben niemanden in Teheran, der für sie intervenieren kann“, sagt Posch.

Auch in Teheran gehen junge Demonstranten auf die Straße.APA/AFP

Auch eine gewisse Ratlosigkeit des Reimges dürfte damit zusammenhängen: Wenn schiitische Sicherheitskräfte in einer sunnistisch-kurdischen Region zuschlagen, werde daraus sofort ein ethnischer Konflikt, sagt Posch. „Nun steht das Regime in der Zwickmühle: Wo soll es die Prioritäten setzen? Wie lange sollen die Proteste noch andauern?“

Westen blickt vorrangig auf Jugend in Teheran

Hier gehe also nicht primär um die Kopftuch-Frage. Zwar entstand auch in der Hauptstadt überraschend eine Jugendbewegung gegen den Kopftuchzwang, und vor allem auf diese jungen Menschen in Teheran blicke zurzeit der Westen, meint Walter Polsch. „Dort sind nicht mehr als 10.000 Menschen auf der Straße.“ Man solle aber vor allem im Auge behalten, was sich in den kurdischen Regionen abspielt. Bei den brutalen Auseinandersetzungen im iranischen Kurdistan wurden bereits zirka 120 Menschen getötet.

Es werde sich zeigen, ob das Regime einen friedlichen Weg finden wird, die inneren Konflikte zu lösen, oder ob der Konflikt sich am Ende in noch mehr Gewalt entlässt. Mittlerweile toben Machtkämpfe entlang konfessioneller Zugehörigkeiten innerhalb des Regimes selbst – und das sei das eigentlich Gefährliche für den Staat.