Dass Wladimir Putin Israels Ex-Ministerpräsidenten Naftali Bennett zusicherte, Wolodymyr Selenskyj nicht zu töten, ist bereits bekannt. Die Meldung machte am Wochenende die Runde. Nun stellt sich heraus: Israels ehemaliger Spitzenpolitiker gab noch mehr preis, über seine Friedensbemühungen im März. Und diese brisanten Infos werfen ein neues Licht auf die Rolle westlicher Staatschefs im Ukraine-Krieg.

Eine Einigung zwischen Selenskyj und Putin – zumindest ein Waffenstillstand – erschien durchaus realistisch. Einige NATO-Staaten, und ganz besonders der damalige britische Premier Boris Johnson, blockierten aber sämtliche Friedensbemühungen. Der Kampf gegen Putin hatte Priorität. Er sollte unbedingt fortgesetzt werden, selbst wenn dabei die Zerstörung der Ukraine voranschreitet. Hinweise auf diese Vorgänge häufen sich schon seit längerem. Erstmals bestätigt sie auch Israels Ex-Premier.

Selenskyj und Putin waren zu weitreichenden Zugeständnissen bereit

Israels Ex-Ministerpräsident hat das Video von seinem Interview auf seinem YouTube-Kanal veröffentlicht. Am 4. März 2022 hatte Bennett Russlands Staatschef getroffen, zwecks Vermittlung zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten. Seine Bemühungen habe er dabei mit den USA, Frankreich, Deutschland und dem Vereinigten Königreich koordiniert. Letztlich hätten aber die westlichen Verbündeten seine Bemühungen zur Beendigung des Krieges in den Anfangstagen “blockiert”, obwohl eine Einigung durchaus greifbar war.

Bennett koordinierte seine Friedensbemühungen mit den USA, Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Deutschland.Naftali Bennett/Youtube
"Also haben sie eine Einigung blockiert?", fragt der Interviewer. "Im Grunde genommen ja", antwortet Bennett.
Der ehemalige israelische Spitzenpolitiker dachte damals, dass die westlichen Politiker "falsch lagen".
Für die Ukraine hat die Fortsetzung des Krieges schwerwiegende Konsequenzen, unterstreicht Bennett.

Kiew und Moskau hätten großen Zugeständnissen zugestimmt, sagte Bennett. Die russische Seite habe die sogenannte “Entnazifizierung” als Voraussetzung für einen Waffenstillstand fallen gelassen. Dabei definierte Bennett “Entnazifizierung” als Entfernung Selenskyjs. Putin habe ihm zugesichert, er werde nicht versuchen, Selenskyj zu töten. Doch das war nicht das einzige Entgegenkommen. Darüber hinaus werde Moskau nicht mehr die Entwaffnung der Ukraine anstreben, hatte Putin erklärt. Auf ukrainischer Seite “verzichtete” Selenskyj wiederum auf das Streben nach einer NATO-Mitgliedschaft, was laut Bennett der eigentliche “Grund” für den Einmarsch Russlands war.

Bennett: "Sie haben es blockiert, und ich fand, dass sie falsch lagen"

Die westlichen Staats- und Regierungschefs sind diesen Vermittlungsbemühungen offensichtlich unterschiedlich gegenübergestanden. Der damalige britische Premierminister Boris Johnson habe “eine aggressive Linie” vertreten, sagte Bennet, während Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz “pragmatischer” gewesen seien. Präsident Biden habe “beide” Positionen vertreten.

Putin (r.) und Bennett (l.) bei einem weiteren Treffen in SochiAPA/AFP/Sputnik/Yevgeny BIYATOV

Am Ende stellten sich die westlichen Staatenlenker gegen Bennetts Bemühungen. “Ich sage das jetzt in einem allgemeinen Sinne. Ich denke, es war eine legitime Entscheidung des Westens, Putin weiterhin zu schlagen und nicht zu verhandeln”, erklärte Bennett. Auf die Frage, ob die Westmächte die Vermittlungsbemühungen “blockiert” hätten, antwortete der Ex-Premier wörtlich: “Im Grunde genommen ja. Sie haben es blockiert, und ich fand, dass sie falsch lagen.”

Kurz vor Einigung in Istanbul besuchte Ex-Premier Johnson den ukrainischen Präsidenten

Sowohl Russland, als auch die Ukraine waren damals demnach bereit, ihre Positionen zu ändern. Es waren vor allem westliche Staatschefs, die einei Einigung verhinderten. Das geht aus Bennetts Äußerungen hervor, und sie sind nicht der erste Hinweis auf diese politischen Vorgänge. So hatte bereits am 8. März 2022 die US-Nachrichtenseite Axios berichtet, unter Berufung auf israelische Beamte: Putins “Vorschlag sei für Selenskyj schwer zu akzeptieren, aber nicht so massiv, wie sie erwartet hätten. Sie sagten, der Vorschlag beinhalte keinen Regimewechsel in Kiew und erlaube der Ukraine, ihre Souveränität zu behalten”.

Auch die Verhandlungen in Istanbul hatten durchaus vielversprechend begonnen – bis sich die NATO-Staaten einschalteten.APA/AFP/TURKISH PRESIDENTIAL PRESS SERVICE/Murat CETIN MUHURDAR

Die Verhandlungen zwischen Putin und Selenskyj endeten nicht mit Bennetts Bemühungen. Später im März trafen sich russische und ukrainische Beamte neuerlich in Istanbul und setzten anschließend virtuelle Konsultationen fort. Dabei einigten sich beiden Seiten auf den Rahmen für einer vorläufigen Vereinbarung. Das berichtete später das Magazin “Foreign Affairs” und berief sich dabei auf ehemalige US-Beamte. Russische Beamte und sogar Putin selbst haben öffentlich erklärt, dass eine Einigung nach den Istanbuler Gesprächen kurz bevorstand.

Doch neuerlich scheiterten die Verhandlungen und wieder geschah dies auf weiterem Druck des Westens hin. Boris Johnson hat Kiew im April 2022 besucht und Selenskyj aufgefordert, nicht länger mit Russland zu verhandeln. Wie die “Ukrainska Pravda” berichtete, war Selenskyj zufolge zwar die Ukraine bereit, ein Abkommen mit Russland zu unterzeichnen, die westlichen Unterstützer Kiews jedoch nicht.

Boris Johnson reiste nach Kiew und riet Selenskyj von einer Einigung mit Putin ab. Das berichten US-Beamte.

Türkischer Außenminister: "Westen will Russland schwächen, Lage in der Ukraine ist ihnen egal"

Ebenso äußerte sich später im April der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu. Demnach gebe es einige NATO-Länder, die den Krieg in der Ukraine verlängern wollten. “Nach den Gesprächen in Istanbul dachten wir nicht, dass der Krieg so lange dauern würde … Aber nach dem Treffen der NATO-Außenminister hatte man den Eindruck, dass … es innerhalb der NATO-Mitgliedsstaaten einige gibt, die wollen, dass der Krieg weitergeht, dass der Krieg weitergeht und Russland geschwächt wird. Ihnen ist die Situation in der Ukraine ziemlich egal”, sagte Cavusoglu.

Türkischer Außenminister Mevlut Cavusoglu: "Wir dachten nach den ersten Gesprächen nicht, dass der Krieg so lange dauern würde"APA/AFP/OZAN KOSE

Wenige Tage nach Cavusoglus Äußerungen gab Verteidigungsminister Lloyd Austin zu, dass eines der Ziele der USA bei der Unterstützung der Ukraine darin bestehe, Russland “zu schwächen”.