Am kommenden Dienstag findet in Israel die vierte Wahl innerhalb von zwei Jahren statt. Wird es danach endlich eine stabile Mehrheit geben?

Das kann niemand sagen. Aufgrund von Israels Koalitionssystem befinden wir uns seit zwei Jahren an einem toten Punkt. Bisher hat kein Wahlergebnis etwas daran geändert, weil keine politische Seite eine Koalition bilden konnte. Zunächst folgten auf zwei Wahlen wieder Neuwahlen, weil keine Regierung zustande kam. Vor einem Jahr stellte Benjamin Netanjahu nach der dritten Wahl eine rotierende Koalition auf die Beine (Anm: auf 18 Monate mit Netanjahu als Premierminister sollte Benny Gantz von der Partei Kachol Lavan folgen). Diese Regierung brach nun auseinander. Unseren Umfragen zufolge wird diese Wahl nichts ändern. Wir sind nahe am Chaos. Aber ein paar tausend Wähler können schon etwas ändern. Ob die kleinen Parteien den Einzug schaffen, kann entscheidend sein.

"Viele wollen keine Regierung mit Netanjahu bilden"

Aber der Sieg Netanjahus steht fest?

Es ist klar, dass Netanjahu am meisten Sitze für die Likud holen wird, aber das genügt ihm nicht. Er braucht 61 von 120 Sitzen und die kriegt er nur in einer Koalition. Es gibt so viele Parteien, die nicht miteinander koalieren wollen, und viele wollen keine Regierung mit Netanjahu bilden, deshalb wird es sehr schwer werden.

Könnten kleinere Parteien eine Koalition gegen Netanjahu bilden?

Das könnte passieren. Bisher haben sie das nicht geschafft, weil sie ebenfalls keine Mehrheit haben. Keine Seite kriegt eine Mehrheit, laut den Umfragen wird sich nichts daran ändern.

Es gibt zu viele Parteien ohne gemeinsame Basis?

Genau.

Akiva Bigman findet lobende Worte für das Impfprogramm: "Die Geschäfte sind wieder offen. Die Stimmung ist sehr gut."

Die Gründungspartei Israels, die Arbeiterpartei, scheint unterdessen zu verschwinden.

Die Arbeitspartei driftete zunehmend nach links. Sie hat den Kontakt mit dem israelischen Konsens, der Mitte, verloren. Sie wurde immer kleiner, und nun ist sie einfach nicht mehr wichtig.

Könnte das Corona-Management Netanjahu helfen? Das Impfprogramm läuft ja bestens.

Keiner kann es vorhersagen, aber Netanjahu scheint nun das Endspiel zu kriegen, das er angestrebt hat. Das Impfprogramm funktioniert sehr gut. Mittlerweile sind die Cafés und Geschäfte wieder offen. Das Leben ist zurückgekehrt, die Stimmung ist sehr gut. Das alles nützt Netanjahu. Aber unser Regierungssystem funktioniert nicht sehr gut. Deshalb waren die vergangenen Monate gleichzeitig von einem schlechten Gefühl überschattet. Entscheidungen wurden permanent zurückgenommen. Wir hatten das Gefühl, in einem “Chaos-System” zu leben. Dennoch: Das Impfen nützt Netanjahu.

"Einige Araber dürften diesmal die Likud wählen."

Netanjahu versucht mittlerweile angeblich Wähler unter den Arabern zu finden.

Ja, das stimmt. Netanjahus Strategie war es anscheinend, die starke Partei der israelischen Araber zu spalten. Dabei versuchte er die Moderaten unter ihnen zu erreichen, die eine Zusammenarbeit mit den Israelis suchen und die zionistische Idee nicht grundsätzlich ablehnen. Tatsächlich zerfiel die Partei, nun gibt es zwei arabische Parteien. Tatsächlich dürften diesmal einige Araber die Likud wählen, was bemerkenswert ist. Traditionelle arabische Gemeinschaften haben viel gemeinsam mit den rechten Parteien Israels, vor allem mit Blick auf Familie und Religion. Sie gehören zwar anderen Religionen an, aber sie teilen dieselben traditionellen Werte. Wenn es um Homosexualität geht, teilen sie die Ansichten der Ultraorthodoxen. Das ist ein neuer gemeinsamer Grund, denn es sind traditionelle Gesellschaften.

Wird Israel Friedensvertrag mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emirate Benjamin Netanjahu helfen?

Sein Hauptvorteil ist es, Staatsmann zu sein. Deshalb war das ein sehr großer Erfolg für ihn. Ich weiß allerdings nicht, ob es die Wahlen beeinflussen wird.

"Die Linke verlor ihre Basis."

Warum hält sich Netanjahu schon seit 2009 als Ministerpräsident?

Nun, er ist populär. Er hat eine dominante, charismatische Persönlichkeit und kann sehr gut überzeugen. Auch mit seiner Ideologie konnte er punkten. Die Linke hatte alles auf den Osloer Friedensprozess mit den Palästinensern gesetzt. Doch der brach wegen des Terrors in den vergangenen Jahren zusammen. Damals wachten viele Israelis auf und realisierten: Hier läuft etwas falsch. Die Linke verlor ihre Basis. Netanjahu stand früher in Opposition zu Oslo, und dafür erntete er nun Zustimmung. Das bringt ihm sehr viel Macht. Es spielt noch immer eine Rolle.

Die laufenden Korruptionsvorwürfe scheinen ihm und seiner Partei nicht zu schaden.

Auf die Umfragen hat es überhaupt keinen Einfluss. Sie bleiben von diesen Vorwürfen gänzlich unberührt. Viele denken so wie Netanjahu, nämlich dass diese Vorwürfe politisch motiviert sind, und dass nicht wirklich viel dahinter steckt. Die Menschen kümmern sich um Korruptionswürfe nicht wirklich, solange sie nicht zu massiv sind. Die Wähler kümmern sich vielmehr um Politik, als um alles andere.

"Es könnte eine Überraschung geben."

Welche Parteien braucht die Likud für eine stabile Koalition?

Netanjahu bräuchte dafür die beiden ultraorthodoxen Parteien, sowie die zionistisch-religiösen und die rechten Parteien.

Sie wirken nicht optimistisch. Die Ausgangslage wird nach der Wahl dieselbe sein wie vorher?

Ich sehe die Umfragen. Es gibt eine Chance, etwas zu ändern, aber es hängt viel von den kleinen Parteien ab. Es könnte eine Überraschung geben. Momentan ist alles festgefahren.

Akiva Bigman (39) ist Kolumnist bei der israelischen Gratiszeitung Israel Hayom, der meistgelesenen Zeitung Israels. Sie erreicht etwa 35 Prozent der israelischen Bevölkerung. Zuvor war Birman Chefredakteur des israelischen Online-Magazins Mida, das eine konservative, wirtschaftsliberale Richtung ähnlich der Republikanischen Partei vertritt.