Karl Habsburg kennt sowohl Russland als auch die Ukraine aus eigener Erfahrung: Beide Länder hat er schon oft besucht. In der Ukraine betreibt er einen landesweit empfangbaren Radiosender –  den einzigen nicht-staatlichen des Landes zurzeit.

Auf einen Regimewechsel in Moskau hinarbeiten

In dem spannenden 40-minütigen Interview auf eXXpressTV nimmt sich Habsburg kein Blatt vor den Mund. Er lobt den Mut der Ukrainer und geißelt jahrelange Versäumnisse des Westens. In Moskau braucht es aus seiner Sicht einen Regimewechsel, und darauf müsse man nun hinarbeiten. Eine viel härtere Gangart gegenüber dem Kreml sei dabei nötig, und mehr Unterstützung für Kiew. Die verbreitete Unkenntnis der politischen Lage überrascht Habsburg.

Bisherigen Sanktionen sind eine "Augenauswischerei"

Der jetzige Konflikt sei einer zwischen autoritärem Faschismus und liberaler Demokratie. Habsburgs Forderung: “Wir sollen der Ukraine die Mittel geben, damit sie den Krieg wirklich führen und gewinnen kann.” Und: “Die bisherige Unterstützung war nicht ausreichend.” Habsburgs Urteil ist vernichtend: “Alle Sanktionen bisher sind eine Augenauswischerei.”

Schon in der Vergangenheit habe der “Westen nie ausreichend auf Putins Kriege reagiert.” Überhaupt sei im Umgang mit Putin “sehr viel falsch gelaufen.” Karl Habsburg verweist auf die “komplette Geiselhaft”, in die sich Deutschland in Sachen Energie gegenüber Russland begeben hat. “Auch österreichische Politiker müssten ehrlicherweise offen zugeben, dass sie Putin zweifelsohne falsch eingeschätzt haben.”

Die NATO hat Russland nie umzingelt

Vieles sei auch in Russland falsch gelaufen, und darüber habe der Westen jahrelang hinweggesehen: “Jene Entnazifizierung, die nach 1945 in Deutschland stattgefunden hat, die fehlte in Russland nach dem Kalten Krieg.” Nichts hält Habsburg andererseits von Schuldzuweisungen an den Westen, denen zufolge die USA und Europa eine zu feindliche Haltung gegenüber Russland eingenommen hätten: “Wer behauptet, die NATO hätte Russland umzingelt, beweist damit ein völliges Unverständnis in politischer wie militärischer Hinsicht.”

Klar ist, welche Linie Habsburg gegenüber Moskau einfordert: “Man kann mit einem System Putin nicht verhandeln, das jeden Vertrag gebrochen hat. Man kann mit so einem System nicht vernünftig reden.” Das gilt noch mehr nach den jüngsten Gräueltaten in Bucha: “Der Umstand, dass Russlands Staatschef ein Kriegsverbrecher ist, delegitimiert die gesamte Regierung. Man braucht einen Regimewechsel. Erst dann ist eine Änderung unseres Verhältnisses zu Russland möglich.”

"Österreich war nie wirklich neutral"

Kurz: Es gelte “eine ganz harte Linie gegenüber Russland zu fahren.” Der Sanktionen müssten verschärft werden. Zu den Kosten, die das verursacht, verweist Habsburg auf die noch bevorstehenden Opfer, die ein voraussichtlich sehr langer Krieg verursachen wird: “Die Opfer, die wir jetzt bringen müssen, werden im Verhältnis dazu gering sein.”

Dass dieses Vorgehen Österreichs Neutralität widerspricht, hält Habsburg für historisch und faktisch falsch: “Österreich war nie wirklich neutral, das war es nur in militärischer Hinsicht.”

Großes Lob zollt Karl Habsburg der Haltung der ukrainischen Bevölkerung, die sich gegen die Invasion wehrt: “Die Ukrainer haben Putin einen Strich durch die Rechnung gemacht. Sie sind die ersten, die ihm eine rote Linie aufgezeigt haben.” Für die Europäer gelte hingegen: “Wir müssen langsam glaubhaft werden.”

Chemische Waffen sind für Russland Teil der konventionellen Kriegsführung

Karl Habsburg rechnet mit harten Zeiten – und “mit dem Einsatz von taktischen Nuklearwaffen.” Hier beruft er sich auf seine eigenen Erfahrungen: “Ich war oft genug in Russland und kenne die dortige Militärstruktur. Russland setzte chemische und biologische Waffen in Tschetschenien und in Syrien ein. Das ist für Russland Teil der konventionellen Kriegsführung.” Den Einsatz solcher Waffen dürften auch wir sehr bald erleben: “Behälter für biologische und chemische Kampfstoffe sind bereits in Weissrussland angekommen und stehen dort zum Einsatz bereit.”

Sehen Sie das gesamte Interview um 20.15 Uhr auf eXXpressTV!

Karl Habsburg ist Oberhaupt des Hauses Habsburg und Großmeister des St. Georgs-Ordens, in dessen Räumlichkeiten in Wien das Interview stattfindet. Habsburg setzt sich im Rahmen der weltweit tätigen Organisation Blue Shield, die zur UNESCO gehört, für den Kulturgüterschutz ein. Zur Ukraine hat einer besonderen, persönlichen Bezug: Einer seiner Vorfahren wird zurzeit in der Ukraine als Nationalheld wiederentdeckt: der k.u.k. Offizier Wilhelm von Habsburg (1895 bis 1948), der sein Leben dem Kampf für Unabhängigkeit gewidmet hat und in der heutigen Ukraine als Nationalheld wiederentdeckt wird. Darüber hinaus ist Habsburg auch als Medienunternehmer in der Ukraine tätig.