Sein Name löst bei Politikern Nervosität aus: Plagiatsjäger Stefan Weber hat mit seinen Recherchen schon so manche Karriere jäh beendet, in weniger dramatischen Fällen mussten die Betroffenen ihre akademischen Titel aufgrund von Webers Plagiatsvorwürfen zurückziehen. Nun hat die Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Deutschland Webers Aufmerksamkeit auf sich gezogen, oder besser gesagt: ihr Bachelor. Zu diesem gibt es widersprüchliche Angaben im Internet.

Die Recherchen haben mittlerweile für Unruhe gesorgt. Andreas Kappler, Wahlkampfsprecher von Bündnis 90/Die Grünen, hat sich schließlich via Twitter zu Wort gemeldet und konnte manches aufklären. Für Weber sind aber bis jetzt noch nicht alle Fragen beantwortet. Er unterstreicht im Beitrag auf seinem Blog: “Was mich zunehmend nervt: PolitikerInnen mögen hier bitte endlich für transparente Verhältnisse sorgen. In den USA erfährt jeder, der es will, binnen weniger Stunden alles über die akademischen Meriten einer Person.”

Erratum in Zeitung: Doch kein Bachelorabschluss

Im Internet findet man Widersprüchliches über Annalena Baerbocks Bachelor-Abschluss, den sie etwa der grünen Heinrich-Böll-Stiftung zufolge an der Universität Hamburg erworben haben soll, bevor sie 2005 den Master an der London School of Economics (LSE) gemacht hat. Was Stefan Weber nun irritiert, ist ein Erratum in der Süddeutschen Zeitung, “weil es die bisher wiedergegebene Erzählung konterkariert”.

Das Erratum wurde erst vor wenigen Tagen, fast zwei Jahre nachdem der Artikel erschienen ist, angebracht. Die Süddeutsche Zeitung hält nun nachträglich im Artikel fest: “In einer vorigen Fassung des Texts hatten wir angegeben, Frau Baerbock habe einen Bachelorabschluss. Dies ist nicht korrekt.”

2004 gab es noch keinen Bachelor an der Uni Hamburg

Im Jahr 2004 konnte man an der Universität Hamburg in Politik tatsächlich noch gar keinen Bachelor machen, wie der deutsche Experte für Wissenschaftsbetrug, Hadmut Danisch, kurz zuvor herausgefunden hat: 2004 gab es dort nur Diplom, Magister und Lehramt, aber noch keinen Bachelor.

Das wirft zunächst die Frage auf, woher die Behauptung stammt, Baerbock habe einen Bachelor vorzuweisen. Und es wirft die nächste Frage auf, wie Annalena Baerbock ohne Bachelor anschließend zu ihrem Masterabschluss in Internationalem Recht an der LSE gekommen ist, wo sie von 2004 bis 2005 studiert hat. Welchen Zulassungsvoraussetzungen musste sie entsprechen?

Grüne: Ein Vordiplom war Grundlage des Masters

Weber unterstreicht: Die Zulassungsvoraussetzung für ein postgraduales Studium am LSE ist “immer ein Studienabschluss”. Ein zweites Staatsexamen hat Baerbock einer anderen Quelle zufolge auch nicht; dieses hätte möglicherweise als Voraussetzung für ein Master-Studium im Ausland gereicht.

Der Grüne Pressesprecher Andreas Kappler hat nun reagiert. Er erklärt dazu auf Twitter: Baerbock hat “Politische Wissenschaft auf Diplom mit Nebenfach Öffentliches Recht/Europarecht studiert”. Weil Bachelor- und Masterstudien damals noch nicht flächendeckend in Deutschland eingeführt worden waren – auch noch nicht an der Uni Hamburg – sei ein “Vordiplom Grundlage für Aufnahme von Masterstudiengängen im Ausland” gewesen. Am LSE habe Baerbock dann den “Master of Laws in Public International Law” gemacht. Er postete zum Beleg auch die eingescannten Dokumente.

Weber und Danisch haben noch Fragen

Stefan Weber ist noch nicht ganz glücklich: Er hätte gerne den Titel von Baerbocks Masterthesis und verlangt den Beweis, dass Baerbocks Studium an der LSE im Jahr 2004 noch kein postgraduales Studium war.

Wer wie Baerbock im Jahr 2000 zu studieren anfängt, müsste das Vordiplom normalerweise spätestens im Wintersemester 2002/2003 machen. Baerbock hat aber bis 2004 weiterstudiert. Kappler hat die Bescheinigung der Vorprüfung gepostet, nicht das Datum.

Was Hadmut Danisch zusätzlich wundert: “Normalerweise gilt das Vordiplom außerhalb der Universitäten nicht als Abschluss. Das war ja der Grund, warum man damals den Bachelor favorisierte und gegenüber dem Vordiplom aufwertete, nämlich weil der auch außerhalb als Abschluss anerkannt werden sollte.” Und noch etwas macht ihn misstrauisch: “einen Master in zwei bis drei Semestern zu erwerben ist seltsam, vor allem, weil die Universität dort als überaus renommiert gilt, insbesondere wenn man vorher in Deutschland nicht weit gekommen ist, aber manche meinen, das wäre ein Kaufabschluss, den die Uni dort für Leute im Berufsleben anbietet, die keine Zeit zum Studieren habe. Ich warte noch auf Antworten aus London.”

Einige Fragen konnten bis dato geklärt werden – aber noch nicht alle.

Rätsel soll gelöst sein

Indes will die Seite “Plagiatsgutachten.com” das Rätsel gelöst haben – auf der Seite steht zu lesen:

“Das Rätsel ist gelöst. Tatsächlich war es im Jahr 2004 möglich, mit einem Vordiplom aus Deutschland das Studium zum LL.M. in England zu absolvieren, und eben offenbar sogar aus einer fachfremden Richtung (Politikwissenschaft statt Jus). Sehr erstaunlich, aus vielen anderen Ländern war dies nicht möglich, wie diese Liste beweist. Auf jeden Fall hat sich Frau Baerbock nichts zu Schulden kommen lassen. Ergänzend ist zu bemerken, dass es wohl schlauer gewesen wäre, gegen die Falschzuschreibung eines Bachelorgrades (so online 2018 bis 2019 im Wikipedia-Eintrag zur Politikerin, online seit 2019 in der SZ und in anderen Webquellen) früher vorzugehen. Und beim Studium in Hamburg wäre natürlich der Korrektheit halber der Klammerausdruck „(Vordiplom)“ zu vermerken gewesen. Fazit: Immer für Klarheit sorgen, dann kommt es zu keinen Spekulationen.”