Minus ein Grad hat es in Kiew, laut wetteronline. Bald würden alle Ukrainer erfrieren, warnt nun Melnyk. Deshalb müsse unbedingt der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz aktiv werden, drängt der ukrainische Diplomat. Er müsse Wladimir Putin umgehend ein Ultimatum stellen, falls ihm die Leben der Ukrainer am Herzen liegen.

„Morgen Herr Bundeskanzler aus Kiew“, twittert Andrij Melnyk. „Es ist Minus 5 Grad. 10 Millionen Ukrainer – oder jeder Vierte – bleibt ohne Strom & Wasser. Wollen Sie nicht, Herrn Putin ein Ultimatum stellen, dass er seinen Raketenterror stoppt? Oder warten Sie, bis es zu spät ist und alle Ukrainer erfrieren?“

Stirnrunzeln auf Twitter

Nicht zum ersten Mal löst der ehemalige Botschafter in Berlin Irritationen aus. „Deutschland hat nichts, mit dem es Russland unter Druck setzen könnte“, meint ein User darauf. „Olaf könnte damit drohen, ganz lange die Luft anzuhalten“, antwortet ein anderer.

„Ein ‚Ultimatum‘? Ein solches beinhaltet naturgemäß die Androhung von harten Sanktionen, wie sollen diese denn aussehen?“, fragt sich ein anderer Twitterer. „Das kann und wird NICHT unser Bundeskanzler entscheiden können. Es bedarf einen Konsens zwischen UN und den einzelnen Mitglieder der NATO“, schreibt jemand anderer.

Kritiker: Kiew versucht zu eskalieren

Der Westen – und damit Deutschland – unterstützen Kiew bereits mit Geld und Waffen und mit Sanktionen gegen Russland. Die einzige nächste Steigerung wäre, selbst in den Krieg gegen Russland einzutreten, mit den eigenen Truppen. Dass Kiew genau das wünscht, werfen ihm Kritiker schon seit längerem vor. Sie orten bei Selenskyj und seinem Umfeld den Versuch, die Lage zu eskalieren und den Westen in den Krieg mit hineinzuziehen.

Selenskyj widerspricht der NATO: Raketeneinschlag in Polen gehe auf das Konto von Russland.

So beharrt der ukrainische Präsident etwa darauf, dass die Rakete, die sich nach Polen verirrt und dort zwei Menschen bei einem Bauernhof getötet hat, russischen und nicht ukrainischen Ursprungs sei. Würde das stimmen, könnte der Bündnisfall in der NATO eintreten, weil ein Mitgliedsstaat angegriffen wurde. Das gesamte Militärbündnis befände sich dann im Krieg mit Moskau. Doch dazu ist es nicht gekommen, auch weil Polen und Washington eine russische Urheberschaft dezidiert ausschließen.

Starke Abnutzung bei ukrainischer Armee

Ein Grund für Kiews Drängen könnten Engpässe in der ukrainischen Armee sein. Im Krieg wird eine Unmenge an Waffen und Munition mit enormer Geschwindigkeit verbraucht. Der österreichische Major Markus Reisner warnt: Allmählich geht der ukrainischen Luftabwehr die Munition aus.

Dann ist guter Rat teuer. Die einzige „Lösung“: Der gesamte Westen tritt in den Krieg gegen Russland ein.

Die ukrainischen Soldaten gelten als hochmotiviert, doch der Kampf gegen Russland verbraucht enorm viel Munition und Waffen.

Melnyk verehrt NS-Kollaborateur Stepan Bandera

Ex-Botschafter Andrij Melnyk ist am 15. Oktober nach Kiew zurückgekehrt. Zuvor war der umstrittene Diplomat ab 2015 Botschafter in Deutschland. Trotz seiner Abberufung aus Berlin hält er sich mit Forderungen an die deutsche Politik nicht zurück, auch wenn sie in der Regel höchst undiplomatisch formuliert sind.

Mit einem Skandal-Interview hat Melnyk auch in Polen und Israel für Kopfschütteln gesorgt.APA/AFP/Tobias SCHWARZ

Den Anlass für seine Abberufung dürfte Melnyk Ende Juni mit einem Videointerview geliefert haben. Darin verteidigte er den ukrainische Partisanenführer gegen die Sowjetherrschaft und NS-Kollaborateur Stepan Bandera. Gegenüber dem Journalisten Tilo Jung bestritt er Beweise für den Massenmord an Juden und Polen durch Anhänger Banderas. Selbst davon, dass Bandera mit den Nazis zusammengearbeitet hat, wollte Melnyk nichts wissen. Das ukrainische Außenministerium distanzierte sich danach von diesen Aussagen. Polens Vizeaußenminister Marcin Przydacz rügte Melnyks Äußerungen: „So eine Auffassung und solche Worte sind absolut inakzeptabel.“ Die israelische Botschaft warf Melnyk „Verharmlosung des Holocausts“ vor, seine Darlegungen untergrüben zudem „den mutigen Kampf des ukrainischen Volkes, nach demokratischen Werten und in Frieden zu leben“.