„Trotz seiner Gewaltbereitschaft hat Russland entscheidend zum globalen Gleichgewicht beigetragen“, schreibt Henry Kissinger in einem Beitrag für den britischen Spectator. Der langjährige US-Diplomat unterstreicht darüber hinaus: Nun sei die Zeit reif für einen Verhandlungsfrieden mit Russland, auch um das Risiko eines verheerenden Weltkriegs zu verringern.

Die ukrainische Regierung wies die Forderung Kissingers umgehend zurück. Dies sie die „Beschwichtigung des Aggressors“.

„Russland hat entscheidende Beiträge zum globalen Gleichgewicht geleistet“

Mit Blick auf den Verlauf des Ukraine-Kriegs hielt Kissinger fest: „Es ist an der Zeit, auf den bereits vollzogenen strategischen Veränderungen aufzubauen und sie in eine neue Struktur zu integrieren, um Frieden durch Verhandlungen zu erreichen“. Gleichzeitig übte er Kritik an einer Russland-feindlichen Haltung, die einige westliche Politiker zurzeit einnähmen. „Manche bevorzugen ein Russland, das durch den Krieg ohnmächtig geworden ist. Dem stimme ich nicht zu“.

Henry Kissinger beriet in seiner langen Karrieren unter anderem US-Präsident Richard Nixon.APA/AFP
Später war Kissinger (l.) Außenminister unter US-Präsident Gerald Ford (r.).APA/AFP

Der ehemalige Spitzenpolitiker fuhr fort: „Trotz seiner Neigung zur Gewalt hat Russland über ein halbes Jahrtausend lang entscheidende Beiträge zum globalen Gleichgewicht und zum Gleichgewicht der Kräfte geleistet. Seine historische Rolle sollte nicht herabgewürdigt werden. Die militärischen Rückschläge Russlands haben seine globale nukleare Reichweite nicht beseitigt, so dass es mit einer Eskalation in der Ukraine drohen kann“.

Kissinger traf Putin mehrmals

Trotz seines fortgeschrittenen Alters verfolgt und kommentiert der ehemalige US-Außenminister aufmerksam die Weltpolitik. Erst im April ist sein vielbeachtetes Buch über „Staatskunst“ erschienen. Kissinger war Architekt der Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion im Kalten Krieg, zunächst unter US-Präsident Richard Nixon, dann unter Präsident Gerald Ford.

Mehrfach hat Kissinger auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Mai schlug er vor, dass die Ukraine Russland die 2014 annektierte Krim überlassen und Russland sich vor seiner Invasion im Februar 2022 an die Front zurückziehen sollte.

Putin (r.) und Kissinger (r.) beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg am 21. Juni 2012.APA/AFP PHOTO/ POOL/ANATOLY MALTSEV
Wladimir Putin (l.) und Henry Kissinger (r.) begrüßen sich im April 2015, beobachtet von dem mexikanischen Präsidenten Ernesto Zedillo (M.).Sasha Mordovets/Getty Images

Selenskyj-Berater: „Kissinger versteht nicht die Natur dieses Krieges“

„Herr Kissinger hat immer noch nichts verstanden … weder die Natur dieses Krieges noch seine Auswirkungen auf die Weltordnung“, erklärte der ukrainische Berater des Präsidenten Mychailo Podoljak auf Telegram.

„Das Rezept, das der Ex-Außenminister fordert, sich aber nicht traut, es laut auszusprechen, ist einfach: den Aggressor beschwichtigen, indem man Teile der Ukraine mit Garantien für einen Nichtangriff auf die anderen osteuropäischen Staaten opfert“, sagte er. Die Ukraine bestreitet, dass es Putin ernst meint mit dem Frieden. Darüber hinaus müssten russischen Soldaten das gesamte Territorium der Ukraine, einschließlich der Krim, verlassen. Andernfalls sei ein Frieden nicht möglich.

Ukraine vergleicht Kompromiss-Vorschläge mit Beschwichtigung von Hitler

Podoljak fügte hinzu: „Alle Befürworter einfacher Lösungen sollten sich an das Offensichtliche erinnern: Jedes Abkommen mit dem Teufel – ein schlechter Frieden auf Kosten ukrainischer Gebiete – wird ein Sieg für Putin und ein Erfolgsrezept für Autokraten in aller Welt sein.“

Schon im Mai verurteilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Vorschläge, die Ukraine solle die Kontrolle über Gebiete an Russland abtreten, um den Frieden zu sichern. Er verglich einen solchen Schritt mit der Beschwichtigung von Adolf Hitlers Nazi-Deutschland.

In einem TV-Interview gibt Putin dem Westen die Schuld am Scheitern von Verhandlungen.APA/AFP/SPUTNIK/Sergei GUNEYEV

Putin: Sind zu Verhandlungen mit allen beteiligten Parteien bereit

Russland ist nach den Worten seines Präsidenten Wladimir Putin zu Verhandlungen mit allen im Ukraine-Konflikt beteiligten Parteien bereit. Das erklärte nun Putin in einem Interview, das am Sonntag im Staatsfernsehen Rossija 1 ausgestrahlt wurde. Allerdings hätten die Führung in Kiew und ihre westlichen Unterstützer Gespräche verweigert.

Putin erklärte demnach: „Wir sind bereit, mit allen Beteiligten über akzeptable Lösungen zu verhandeln, aber das liegt an ihnen – nicht wir sind diejenigen, die sich weigern zu verhandeln, sondern sie.“ Die ukrainische Regierung neuerlich. „Russland hat die Ukraine im Alleingang angegriffen und tötet Bürger“, schrieb Mychailo Podoljak auf Twitter. „Russland will keine Verhandlungen, sondern versucht, sich der Verantwortung zu entziehen.“