Sie kämpfen heldenhaft, die Soldaten und Soldatinnen der Ukraine, über ihren Mut spricht die ganze Welt. Doch Mut allein rettet ein Land nicht, es zählt auch Klugheit und Weitsicht, sowie die Wirtschaftskraft, dazu eine funktionierende Energieversorgung und natürlich Geld. Milliarden werden von der EU und auch den USA an die Regierung in Kiew überwiesen, doch drei entscheidende Voraussetzungen für ein weiteres Bestehen gegen die russischen Streitkräfte hat die Ukraine längst nicht mehr: die Wirtschaftskraft, eine störungsfreie Energieversorgung – und es fehlt auch an Weitsicht.

Vermutlich können mit vier zusätzlich gelieferten Panzerhaubitzen aus Deutschland oder Dänemark noch einige hundert weitere russische Infanteristen getötet werden, auch werden die von Berlin gelieferten IRIS-Luftabwehrraketen noch einige russische Cruise-Missiles abfangen und die Gepard-Flakpanzer könnten noch 20, 30 Kamikaze-Drohnen abschießen. Der Ausgang des Krieges ist aber längst entschieden.

Das wissen alle, die vernünftig und (ich weiß, das ist schwierig) ohne Emotionen die aktuelle Situation analysieren: Ohne ausreichende Stromversorgung gibt’s bei aktuell -6 Grad kaum Fernwärme, nur sporadisch Trinkwasser, kaum noch eine Lebensmittelproduktion, Ausfälle der Kommunikation, dazu massive Nachschubprobleme für die ukrainischen Soldaten an der Front – in wenigen Wochen werden in der Ukraine die Menschen erfrieren.

Wir, die Westeuropäer, können aber jetzt nicht 100.000 Notstromaggregate für Kiew und die anderen großen Städte der Ukraine liefern, auch nicht den dafür nötigen Diesel. Es ist hoffnungslos. Da gibt’s nichts mehr zu gewinnen.

Ein Bild aus einem Telegram-Kanal vom Mai dieses Jahres: Die ersten Erfolge der ukrainischen Armee wurden in vielen Ländern gefeiert, damals schrieb ich, dass der Krieg "jetzt erst richtig beginnt". Leider war das richtig.

In der Ukraine droht ein Massensterben

Weitsichtige und kluge Politiker wie Emmanuel Macron, Karl Nehammer oder Viktor Orban müssten diese Entwicklung längst erkannt haben, die Nachrichtendienste – und ja, auch die Auslandsaufklärung des Bundesheeres zählt zu den besten Europas – dürften schon längst die Realität aus der kalten, dunklen Ukraine in die warmen Sitzungsräume in Paris, Berlin, Wien und Budapest transportiert haben: In den eiskalten Wintermonaten droht nun ein Massensterben in der Ukraine, besonders bei der älteren Generation, bei den Schwachen, den Kranken. Auch Millionen an Kindern brauchen dringend Wärme, warmes Essen. Nur eine Waffenpause kann noch eine Katastrophe verhindern.

In den ukrainischen Städten schlagen immer wieder russische Raketen ein.

Vernunft und Weitsicht könnten zu Waffenstillstandsgesprächen führen

Klar, zwei Argumente sprechen dagegen: Erstens, dass wir, die Westeuropäer, die russische Führung mit einem Waffenstillstand “nicht so davon kommen lassen” könnten. Auch ein Waffenstillstand sollte den aktuellen Status keinesfalls bestätigen, dass eine Nation angegriffen worden ist, dass weite Teile der Ukraine nun militärisch besetzt bleiben. Wir alle werden auch die dokumentierten Kriegsverbrechen nie vergessen.

Und zweitens das Argument, das von Wolodymyr Selenskyj und Vitali Klitschko und anderen Politikern der Ukraine stets getrommelt wird: Dass die ukrainische Armee “ganz Europa und den freien Westen” im Donbass gegen die russischen Angreifer verteidigen würde.

Pardon, das ist nicht ernst zu nehmen: Wir Österreicher leben mit Russland seit 77 Jahren in Frieden, unsere Hotels freuen sich seit Jahrzehnten über russische Städte-Touristen und Skigäste, die Industrie über russische Investoren und unsere Banken über russische Geschäftspartner. Auch wenn das manche nicht gerne hören: Wir Westeuropäer werden wieder zu einem Miteinander mit 140 Millionen russischen Staatsbürgern finden müssen.

Und was spricht gegen einen ersten ernst gemeinten Versuch, einen Waffenstillstand zu erreichen? Vielleicht lässt sich der Präsident der Russischen Föderation auf Gespräche für einen Vorfrieden unter Vermittlung von Emmanuel Macron, Olaf Scholz, Viktor Orban und Karl Nehammer ein – wer weiß? Natürlich könnten diese Verhandlungen mit Wladimir Putin scheitern, das ist nicht unwahrscheinlich.

Aber ganz sicher ist: Ohne Gespräche werden in den kommenden 120 Tagen in Europa hunderttausende Menschen sterben.