Die Lage in den Morgenstunden war noch unübersichtlich. Kommandozentralen des ukrainischen Militärs in der Hauptstadt Kiew und der Millionenstadt Charkiw würden mit Raketen angegriffen, zitierte die Ukrainische “Prawda” auf ihrer Webseite einen Vertreter des ukrainischen Innenministeriums.

Ein Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur in Kiew berichtete, dass auch in Kiew Donnerschläge zu hören waren. Es war unklar, woher die Geräusche kamen. “Jetzt hören wir einige Explosionen”, schrieb auch eine Anrainerin aus Kiew in einem privaten Chat, der dpa vorlag.

Kiews stellvertretender Bürgermeister Andrij Kryschtschenko berichtete im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die Einschläge seien im Kiewer Gebiet. “Das war nicht in Kiew, das war im Gebiet Kiew – in Browary und Boryspil. In Kiew gab es bisher keine Handlungen. Es versammelt sich der Stab für Notsituationen.”

In der ukrainischen Stadt Donezk, die von den von Russland unterstützten Separatisten kontrolliert wird, ist laut Augenzeugenberichten Artilleriefeuer zu hören. Russland greift der Nachrichtenagentur Interfax zufolge auch vom Wasser aus an. Es gebe Landungsoperationen der Schwarzmeerflotte im Asowschen Meer und in Odessa.

EU will neue Sanktionen beschließen

Die EU hat nach dem von Russlands Präsidenten Wladimir Putin gestartete Angriff gegen die Ukraine am Donnerstag umgehend ein neues Sanktionspaket gegen Russland angekündigt. Laut Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel werde dieses “massive und schwerwiegende Folgen” für das Land haben. Ein für den Abend geplanter Krisengipfel solle darüber beraten. Zu diesem wird auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) anreisen.

Nehammer erklärte: “Die EU wird rasch, geeint und in aller Deutlichkeit reagieren. Wir koordinieren uns mit unseren europäischen und gleichgesinnten Partnern, welche weiteren Maßnahmen gegenüber Russland ergriffen werden.”

Nach früheren Angaben von der Leyens dürfte das neue Paket unter anderem Ausfuhrverbote für wichtige High-Tech-Komponenten umfassen und den russischen Energiesektor ins Visier nehmen. Es dürfte zudem auch Sanktionen gegen Oligarchen umfassen. “Wenn der Kreml einen Krieg anzettelt, wird das hohe Kosten und schwerwiegende Konsequenzen für Moskaus Wirtschaftsinteressen haben”, sagte von der Leyen am Wochenende bei der Münchner Sicherheitskonferenz. “Das riskante Denken des Kreml, das aus einem dunklen Gestern stammt, könnte Russland seine blühende Zukunft kosten.”

Ein erstes Sanktionspaket hatte die EU bereits nach der Anerkennung der Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine und der Entsendung russischer Soldaten beschlossen. Es richtet sich unter anderem gegen die 351 Abgeordneten des russischen Parlaments, die die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine auf den Weg gebracht haben. Hinzu kommen 27 Personen und Organisationen, die dazu beitragen, die territoriale Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine zu untergraben. Darüber hinaus beschneidet es den Zugang des russischen Staats zu den EU-Finanzmärkten und schränkt den Handel der EU mit den beiden Regionen ein.

Ukraine verhängt Kriegsrecht

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in den Morgenstunden das Kriegsrecht über alle Teile des Landes verhängt. Russland habe die Infrastruktur und die Grenzen mit Raketen angegriffen. Zweck der russischen Militäroperation sei die Zerstörung des ukrainischen Staates, teilt das ukrainische Außenministerium mit.

Selenskyj ruft die Bevölkerung auf, so weit es geht zu Hause zu bleiben. In vielen Städten seien Explosionen zu hören. “Wir sind stark. Wir sind zu allem bereit. Wir werden siegen.”

Putin will "Stalins Fehler nicht wiederholen

Russlands Präsident Wladimir Putin hat in seiner Kriegserklärung am Donnerstag in der Früh auf den sowjetischen Diktator Josef Stalin verwiesen: Die Sowjetunion habe 1940 und 1941 versucht, den Kriegsbeginn (mit Nazi-Deutschland, Anm.) zu verhindern oder hinauszögern und habe versucht, den Aggressor nicht zu provozieren, sagte er. Das Land sei deshalb nicht bereit gewesen, um sich dem deutschen Überfall am 22. Juni 1941 mit voller Kraft entgegenzustellen.

Die Versuche, den Aggressor vor dem Krieg zu beschwichtigen, erwiesen sich als teurer Fehler, erläuterte er. “Ein zweites Mal werden wir einen solchen Fehler nicht zulassen”, sagte er.

Biden droht mit Konsequenzen

US-Präsident Joe Biden kündigte eine Reaktion an und sprach davon, dass Russland “vorsätzlich” einen “Krieg” gegen die Ukraine begonnen habe.

“Die Gebete der ganzen Welt sind heute Nacht beim ukrainischen Volk, während es unter einem unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff durch die russischen Streitkräfte leidet”, erklärte Biden. “Präsident (Wladimir) Putin hat sich für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der zu einem katastrophalen Verlust an Leben und zu menschlichem Leid führen wird”, sagte Biden. Die USA und ihre Verbündeten würden Russland entschlossen dafür “zur Rechenschaft ziehen”, erklärte er. Biden erklärte weiter, er werde die Situation im Laufe der Nacht weiter im Weißen Haus beobachten und von seinem Sicherheitsteam unterrichtet werden.

Am Morgen (Ortszeit/ 15.00 Uhr MEZ) wolle er sich wie bereits geplant mit seinen Amtskollegen aus der Gruppe der sieben wichtigsten Wirtschaftsnationen (G7) über die weitere Vorgehensweise beraten. Im Anschluss werde er sich ans amerikanische Volk wenden, um die weiteren Maßnahmen der USA und der Verbündeten gegen Russland “für diesen unnötigen Akt der Aggression gegen die Ukraine und den weltweiten Frieden und die Sicherheit” anzukündigen, erklärte Biden.

Russland: "Keine Gefahr für Zivilisten in der Ukraine"

Das russische Militär behauptet in einem Statement, man werde keine Städte in der Ukraine angreifen. Ziel sei einzig und allein militärische Infrastruktur. Angegriffen würden etwa Flugfelder und Flugabwehr-Einrichtungen. Keine zivilen Ziele. Für die zivile Bevölkerung der Ukraine bestünde keine Gefahr.

Nato verurteilt - OSZE Sondersitzung in Wien

Die NATO bestätigte unterdessen die russische Invasion in der Ukraine. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg verurteilte den “rücksichtslosen und unprovozierten Angriff” Russlands auf die Ukraine scharf und erklärt, die NATO-Verbündeten würden sich treffen, um die Folgen der “aggressiven Handlungen” Moskaus zu besprechen. In einer Erklärung am Donnerstag in der Früh sagte Stoltenberg: “Trotz unserer wiederholten Warnungen und unermüdlichen Bemühungen um Diplomatie hat Russland wieder einmal den Weg der Aggression gegen ein souveränes und unabhängiges Land gewählt.” Die NATO-Sitzung in Brüssel sollte um 8.30 Uhr beginnen.

Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Wien plant eine Sondersitzung des Ständigen Rats, die am Donnerstag in Wien stattfinden wird. Dies erklärte der APA ein Vertreter der ukrainischen OSZE-Delegation. Eine genaue Uhrzeit stand in den frühen Morgenstunden noch nicht fest.

Full Invasion vom Schwarzen Meer aus

Russland hat sich in den ersten Stunden seiner “Militäroperation” auf den östlichen Teil der Ukraine konzentriert. Die Rede war von Luftschlägen auf militärische Objekte sowie Flughäfen in und um Charkiw, Cherson, Dnipro, Odessa, Mykolajiw, Saporischschja sowie die Hauptstadt Kiew. Zudem sollen Truppen die belarussisch-ukrainische sowie russische-ukrainische Grenze im Norden des Landes überschritten haben. Unklarheit herrschte über Landeoperation am Schwarzen Meer.

Laut Medienberichten kam es zudem zu massiven Feuergefechten entlang der Kontaktlinie an den Grenzen der selbst erklärten “Volksrepubliken”, die von Russland am Dienstag anerkannt worden waren. Das sich derzeit abzeichnende Szenario entspricht in etwa jener Maximalvariante, die der Leiter der Forschung- und Entwicklungsabteilung der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt, Oberst Markus Reisner, am Dienstag in einem Gespräch mit der APA skizziert hatte. Russland dürfte demzufolge versuchen, jedenfalls den Teil östlich des Flusses Dnipro unter seine Kontrolle zu bekommen und die Ukraine etwa in der Mitte teilen.

Unklar bliebt bei diesem als “Full invasion” bezeichneten Szenario freilich, ob versucht würde, die an beiden Seiten des Dnipro liegende Hauptstadt zu erobern. Im 1943 brauchte die Rote Armee zehn Tage, um die Kiew von deutschen Truppen zurückerobern. Auf beiden Seiten fielen damals etwa 40.000 Soldaten.

Rubel fällt auf Rekord-Tief

Der Rubel ist angesichts des russischen Militärangriffs auf die Ukraine auf ein Rekordtief gefallen. Er verlor 5,77 Prozent auf 86,1198 Dollar.

Die Börse in Moskau setzte den kompletten Handel aus. Eine Wiederaufnahme werde später angekündigt, hieß es. Die Moskauer Börse war bereits in den vergangenen Tagen infolge der Ukraine-Krise massiv eingebrochen.

Lange Schlangen vor den Geldautomaten: Ukrainer versuchen verzweifelt noch an Bargeld zu kommen
Auch das Benzin wird langsam knapp
In der Hauptstadt bilden sich kilometerlange Staus