Die Zahl der antisemitischen Vorfälle ist nach den Coronajahren gesunken, allerdings nur leicht und nicht so stark wie erhofft. So wurden der von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) betriebenen Antisemitismus-Meldestelle im vergangenen Jahr insgesamt 719 Vorfälle gemeldet. Das ist zwar ein Rückgang von 25,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, aber immer noch der zweithöchste Wert seit Beginn der Dokumentation 2008, berichtet IKG-Präsident Oskar Deutsch am Montag.

Die Statistik mache nur einen Teil des Antisemitismus in Österreich sichtbar, unterstrich Deutsch. Es handle sich nur um die tatsächlich gemeldeten Fälle, die Dunkelziffer sei wohl weit höher.

Weniger Vorfälle als 2021, aber mehr physische Angriffe

Zuletzt hatten die Pandemie und die damit verbundenen Maßnahmen für einen Rekord an Meldungen im Jahr 2021 gesorgt. Damals wurden insgesamt 965 Fälle registriert. Davor – im Jahr 2020 – waren es mit 585 noch deutlich weniger.

Oskar Deutsch (l.) mit IKG-Generalsekretär Benjamin NägeleAPA/HELMUT FOHRINGER

Besonders bedenklich: Zwar ist die Anzahl antisemitischer Vorfälle geringer geworden, ihre Intensität jedoch gestiegen. Die Zahl der physischen Angriffe, Bedrohungen und Sachbeschädigungen stieg an, wie der Bericht zeigt. Die gewalttätigen Angreifer waren dabei vor allem der Kategorie des “muslimischen” Antisemitismus zuzuordnen und meist Jugendliche, berichtete IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele. Massenzuschriften sind gesunken und generell Fälle mit Corona-Bezug.

Muslimischer Antisemitismus dominiert bei Angriffen, rechter Antisemitismus dominiert insgesamt

Obwohl Angriffe und Bedrohungen überproportional “muslimischen Antisemitismus” zuzuordnen waren, machen sie nur neun Prozent der gemeldeten Fälle aus. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) kam aus dem politisch rechten Spektrum, 20 Prozent waren auf die linke Szene zurückzuführen. “Jeder antisemitische Vorfall ist ein antisemitischer Vorfall zu viel. Und mir ist wirklich vollkommen wurscht, woher er kommt”, meinte dazu IKG-Präsident Deutsch.

Die Gesamtzahl der gemeldeten Vorfälle setzt sich zusammen aus 14 Angriffen, 21 Bedrohungen, 122 Sachbeschädigungen, 140 Massenzuschriften und 422 Fällen von verletzendem Verhalten. Im Rekordjahr 2021 wurden 12 Angriffe verzeichnet, womit das Jahr 2022 die höchste Zahl gemeldeter antisemitischer Angriffe verzeichnet.

Sobotka: "Antisemitismus Gefahr für gesamte Demokratie"

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) unterstrich in einer Reaktion: Antisemitismus sei nicht nur eine Gefahr für Juden, “sondern für die gesamte Demokratie und unsere europäischen Werte”. Um Antisemitismus zu bekämpfen, brauche es einen gesamtgesellschaftlichen Gegenentwurf, neues Denken und vor allem Zivilcourage.

Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) bezeichnete Antisemitismus und Extremismus als “Gift für unsere Gesellschaft”.

Die SPÖ-Sprecherin für Erinnerungskultur, Sabine Schatz, sieht im Antisemitismusbericht “eine Fortsetzung eines besorgniserregenden Trends zu immer mehr Judenfeindlichkeit in Österreich”. Besorgniserregend findet die Zahlen auch die SPÖ-Nationalratsabgeordnete und Generalberichterstatterin gegen Rassismus und Intoleranz Petra Bayr.