Zum ersten Mal wird in Österreich gegen einen amtierenden Bundeskanzler wegen des Verdachts einer Straftat ermittelt, die dieser während der laufenden Amtszeit und in der Funktion als Bundeskanzler vor einem verfassungsmäßig garantierten parlamentarischen Kontrollgremium (Ibiza-Untersuchungsausschuss) mutmaßlich begangen haben soll.
Die Oberstaatsanwaltschaft Wien hat an die zuständige Sektion für Einzelstrafsachen des Justizministeriums die Rechtsfrage herangetragen, ob im Verfahren gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz die rechtlichen Voraussetzungen zur Anwendung der Bestimmung § 101 Abs 2 Strafprozessordnung (StPO), das ist die Beschuldigtenvernehmung durch ein Richter vorliegen.

Für die Anwendbarkeit müssen folgende Voraussetzungen gemeinsam vorliegen:

  1. eine besondere Bedeutung des Beschuldigten und
  2. eine besondere Bedeutung der Straftat und daher
  3. bestehendes öffentliches Interesse an der gerichtlichen Beweisaufnahme

“Aufgrund dieser besonderen Konstellation hat die zuständige Sektion des Justizministeriums das Vorliegen aller drei Voraussetzungen bejaht. Die Entscheidung wurde ausschließlich aus rechtlichen Erwägungen aufgrund der besonderen Bedeutung der Straftat und des Beschuldigten getroffen. Für solche Fälle sieht das Gesetz vor, dass die Vernehmung durch eine Person, die außerhalb der regulären Weisungshierarchie steht, erfolgt”, heißt es nun aus dem Justizministerium

Richter soll Kanzler vernehmen

Die WKStA wird daher beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Antrag stellen, dass der Bundeskanzler bezüglich des Verdachts der falschen Beweisaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss durch eine Richter vernommen wird.

Weiterer Ablauf des Verfahrens bleibt unberührt

Diese Entscheidung zur gerichtlichen Beweisaufnahme betrifft ausschließlich die Beschuldigteneinvernahme des Bundeskanzlers. Der weitere Ablauf des Verfahrens gegen den Bundeskanzler bleibt davon unberührt. Die WKStA bleibt als fallführende Staatsanwaltschaft Herrin des Verfahrens. Darüber hinaus handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine unmittelbaren Schlüsse für andere Verfahren und Beschuldigte zulässt.

Ausdrücklich festgehalten wird, dass mit dieser Entscheidung keinerlei Vorbehalt des Justizministeriums gegenüber der fallführenden Staatsanwaltschaft verbunden ist.