Im Herbst 2017 ging’s um viel: Christian Kern (SPÖ) wollte unbedingt Kanzler bleiben, der junge Sebastian Kurz legte in den Umfragen zu, auch die FPÖ konnte mit Heinz-Christian Strache auf deutliche Zugewinne hoffen. Der SPÖ flog in diesen Monaten vor der Wahl am 15. Oktober die gesamte Silberstein-Affäre um die Ohren – da kam ein Papier an die Öffentlichkeit, das vielleicht doch noch dem Ansehen von Kurz hätte schaden können: Ein angeblicher “Strategieplan”, das “Projekt Ballhausplatz”. Dieses Dokument sollte zeigen, wie kaltschnäuzig der junge ÖVP-Kandidat an die Macht in der eigenen Partei gekommen sei.

Das kleine Wiener Wochenblatt “Falter”, das nur wenige Wochen zuvor schon unter dem dem Titel “Der Kurzkrimi” über den späteren Kanzler herzog, brachte am 19. September 2017 – also knapp einen Monat vor dem Wahltag – die harte Story “Projekt Ballhausplatz”. Untertitel: “Interne Dokumente zeigen, wie minutiös Sebastian Kurz und seine Vertrauten die Machtübernahme in der Republik geplant haben. Sie sammelten Material über politische Gegner, warben um Sponsoren und Prominente und erstellten Kompromate.” Zusammenfassend der oberflächliche Eindruck für viele Leser: Kurz ähnle einer Mischung aus Graf Dracula, Donald Trump und Erich Mielke.

Sebastian Kurz wurde mit dem "Projekt Ballhausplatz" massiv belastet.

eXXpress hat das Vernehmungsprotokoll des "Falter"-Trios

Das Ziel der Publikation der Dokumente unter dem Namen “Projekt Ballhausplatz” schien allen klar: Kurz sollte vielleicht doch nicht die Wahl am 15. Oktober gewinnen (er hat es trotzdem ziemlich locker geschafft, mit einem Plus von 7,48 Prozentpunkten für die ÖVP, Kern war Geschichte).

Jetzt zeigen aber Protokolle einer aktuellen Zeugeneinvernahme, dass auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Fragen zur Echtheit dieses Papiers hat, das angeblich “aus der ÖVP” stammen soll. In der Vernehmung vom 19. Jänner 2022, die der eu-infothek.com und dem eXXpress vorliegt, werden drei Mitarbeiter des “Falter” vom Staatsanwalt um Antworten zum “Projekt Ballhausplatz” ersucht: Florian Klenk, Miteigentümer und Chefredakteur, sowie die Mitarbeiter Barbara Toth und Josef Redl, die den damals viel diskutierten Artikel verfasst haben.

Schrieb über die Dokumente zum "Projekt Ballhausplatz": Barbara Toth

"Authentizität nicht vollends bestätigt"

Warum die drei “Falter”-Mitarbeiter gemeinsam befragt worden sind und nicht einzeln, das wollte Klenk dem eXXpress nicht beantworten. Der Staatsanwalt stellte jedenfalls konkrete Fragen zur Authentizität der Dokumente im Fall der dem “Falter” zugespielten angeblichen Strategiepapiere der ÖVP. Die Antworten dazu waren sehr interessant.

Auf die Frage des WKStA-Ermittlers “Woraus haben sie geschlossen, dass die ihnen zugespielten Dokumente authentisch sind und nicht unverändert?” meinte Barbara Toth: “Mag. Fleischmann (Anm.: der Kommunikationschef von Sebastian Kurz) hat dann etwas später doch eingeräumt, dass manches von ihnen stamme, aber nicht vollends die Authentizität bestätigt.”

Es fehlte also vor der Veröffentlichung des “Projekts Ballhausplatz” durch den “Falter” am 19. September 2017 eine klare Bestätigung der Echtheit des Papiers.

Trotzdem wurde der Inhalt dieser die ÖVP schädigenden Unterlagen gedruckt – und die Story auch von einigen anderen Medien gerne gebracht. Zur Erinnerung: Nur ein Monat zuvor, am 14. August, wurde der SPÖ-Berater Tal Silberstein in Israel verhaftet. Silberstein, der sich selbst für sein “Dirty Campaigning”-Geschick lobt, kassierte damals von der Kern-SPÖ 536.000 Euro.

War im Sommer 2017 noch im Sold der SPÖ: der Berater Tal Silberstein

Staatsanwalt legt Schreiben von "Krone"-Redakteur vor

Der Staatsanwalt konfrontiert die drei “Falter”-Redakteure dann auch noch mit einem Schreiben der “Krone”. Der jetzige Salzburg-Redaktionsleiter der “Krone”, Claus Pandi, zitiert darin ÖVP-Mitarbeiter: “In der ÖVP-Zentrale erklärt man dazu, die Papiere stammten nicht aus dem Büro von Kurz. Möglicherweise seien das ,ungefragte Ratschläge übermotivierter Personen, aber es ist auch nicht auszuschließen, dass es sich um eine Erfindung handelt.”

Barbara Toth erklärte der WKStA schließlich so, warum sie die dem “Falter” zugespielten Papiere ihrer Meinung nach echt seien: “Die ÖVP hat nach Konfrontation mit den elektronischen Dateien zuerst von Fälschungen gesprochen, danach anhand von Beispielen gezeigt, wie leicht sich solche Dokumente fälschen lassen, zugleich aber merkwürdigerweise argumentiert, das es viele Dokumente gäbe, die von außen an sie herangetragen werden. Die Überreaktion und die nicht stringente Linie führten im Zusammenhalt mit den aufwändigen Arbeiten, die in den Dokumenten verbrieft sind, bei uns zum Schluss, dass die Dokumente wohl authentisch sein müssen.”

Die Veröffentlichung knapp vor der Nationalratswahl erfolgte somit ohne Vorliegen klarer Beweise für die Echtheit.

Der eu-infothek.com und dem eXXpress wurde das Einvernahme-Protokoll zugespielt.

Vertrauensperson von Ibiza-Täter begleitete "Falter"-Team zur Justiz

Interessant ist auch, wer das “Falter”-Trio zur WKStA begleitet hat: Als Vertrauensperson ist im Vernehmungsprotokoll Alfred Noll genannt. Wie eXXpress-Leser wissen, war Rechtsanwalt Noll auch die Vertrauensperson von Julian Hessenthaler, des Mittäters im Ibiza-Video-Krimi, bei dessen Aussage vor dem U-Ausschuss. Hessenthaler ist aktuell wegen mehrerer massiver Drogenverbrechen angeklagt, für ihn gilt die Unschuldsvermutung. Von 2017 bis 2019 war Noll Nationalratsabgeordneter für die Liste von Peter Pilz.

Der Staatsanwalt zeigte den "Falter"-Mitarbeitern auch dieses Schreiben.
Begleitet nicht nur "Falter"-Redakteure als Vertrauensperson: Anwalt Alfred Noll & Julian Hessenthaler (Kreis)