Wer glaubte, schlimmer ging´s nimmer, wurde am Freitag, 28. Jänner 2022, eines Besseren belehrt: Die Veröffentlichung der „Sideletters“ hat ein Sittenbild offenbar gemacht, das nur mehr zum Schämen ist und uns international bloßstellt.

Europaweit einzigartig: Namen für höchstrichterliche Positionen stehen vorher fest

Sprachlos muss die Nonchalance machen, mit der nicht nur über die Vergabe aktuell offener Führungspositionen geschachert wird, sondern die Verteilung von Macht, Einfluss, Entscheidungsgewalt wird über Jahre hinaus festgelegt. Und am Schlimmsten von allem: Höchstrichterliche Positionen werden schon mit den Namen der zukünftigen Funktionsinhaber etikettiert. Soweit ersichtlich, ein europaweit einzigartiger Vorgang.

Zur Wahrung der Restbestände einer guten Verwaltung sollten hier zumindest die nachfolgenden „Auswahlverfahren“ gestrichen werden: Diese sind offensichtlich überflüssig und die Bürger dürfen erwarten, dass sie zumindest nicht auch noch auf den Arm genommen werden, mit Verfahren, die auch noch Kosten verursachen.

Auch Lehrstuhlinhaber an Unis werden vor den "Auswahlverfahren" festgelegt

Wer glaubt, solche Vorkommnisse seien nur bei den höchsten Staatsfunktionen festzustellen, der mag beglückwünscht werden zu seiner sicherlich seelentröstenden Kraft zur selektiven Wahrnehmung. Realistisch ist das durch eine solche Imaginationskraft geschaffene Bild der gesellschaftlichen Realität in Österreich nämlich nicht.

Man muss nur auf die – mir näher vertraute – Situation an den Universitäten blicken: Auch dort gibt es schwarz auf weiß belegte Fälle, in denen die Namen der zukünftigen Lehrstuhlinhaber, übrigens durchwegs mit niedrigem einstelligem Impact-Faktor, schwarz auf weiß protokolliert worden sind und erst in der Folge sind mit großer Wichtigkeit  „Auswahlverfahren“ in die Wege geleitet worden, an deren Ende genau die Vorab-Erkorenen die Stelle erhalten haben.

EU-rechtswidrig: Kandidaten können sich gegen Postenschacherei rechtlich nicht wehren

Ich habe anlässlich der letzten Regierungsverhandlungen der Unterhändlerin der Grünen, Frau Eva Blimlinger, kommuniziert, dass hier Abhilfe geschaffen werden müsse und auf die Notwendigkeit einer bescheidmäßigen Erledigung solcher Verfahren hingewiesen, da dadurch nämlich ein – EU-rechtlich im Übrigen gebotener – Rechtsweg eröffnet würde. Sie hat darauf geantwortet, sie werde diesem Vorschlag „sicherlich nicht nähertreten“.

Grüne-Bildungssprecherin Eva Blimlinger zeigte kein Interesse an einer ReformAPA/HERBERT NEUBAUER

Meine Anregung, dann zumindest auf der Ebene zivilrechtlicher Verfahren einen Rechtsweg zu schaffen (wohlgemerkt: gemäß Art. 47 der Grundrechte-Charta wäre dies ohnehin zwingend geboten!) ließ sie unbeantwortet. Das UG 2002 ist in diesem Punkt geblieben, wie es war. Trotz der klaren Vorgaben der EU-Grundrechte-Charta können sich Kandidaten bei universitären Berufungsverfahren gegen Postenschacherei nach wie vor rechtlich nicht zur Wehr setzen.

Höchstgerichte legen Fall nicht dem EuGH vor – ohne Begründung

Und hier kommen weitere Defizite in der österreichischen Rechtsordnung problemverstärkend hinzu: Diese Frage, die längst schon bis zu den Höchstgerichten gelangt ist, wird von diesen – trotz klarer Anregung – nicht dem EuGH vorgelegt, z.T. sogar ohne jegliche Begründung.

Laut dem kürzlich ergangenen EuGH-Urteil in „Consorzio Italian Management“ ist dies ein – weiterer – klarer Verstoß gegen EU-Recht. Ein solcher müsste von der EU-Kommission gerügt werden – diese ist aber wohl anderweitig beschäftigt – bzw. zu Staatshaftung führen, ein Institut, das der EuGH im „Köbler“-Fall (Innsbruck) geschaffen hat, das aber totes Recht ist, da der EuGH seine Anwendung den nationalen Gerichten überlassen hat, die es de facto kaum zur Anwendung bringen.

Um die Postenschacherei in Österreich wirksam anzugehen muss der rechtliche Rahmen geändert werden

Wenn also Postenschacherei in Österreich wirksam angegangen werden soll, dann wird es wenig hilfreich sein, auf Personen oder Parteien zu zeigen, sondern es bedarf in Österreich rechtsstruktureller Änderungen. Insbesondere muss endlich zur Kenntnis genommen werden, dass Österreich 1995 der EU beigetreten ist und dass die EU-Grundrechte-Charta effektiv anzuwenden ist. Wie John Rawls in seiner „Gerechtigkeitstheorie“ so schön dargelegt hat, ist es aber in einem Rechtsstaat langfristig für alle sinnvoller, angesichts des „Schleiers der Ungewissheit“ bestimmte Mindestspielregeln zu fixieren und dann auch durchzusetzen.

Die Postenschacherei, die in der Vergangenheit einigen vielleicht lieb und nett schien, „zutiefst österreichisch“, zeigt sich immer mehr von ihrer hässlichen Seite, die uns international vorführt.  Eine Entscheidung für die Achtung des EU-Rechts ist längerfristig wohl die überlegene Alternative.