Bernhard Heinzlmaier: Der Opportunismus des grünen Kleinbürgertums
Es gibt immer noch Menschen, die glauben, dass die Abgabe einer Stimme für die Grünen ein linkes Votum wäre. Bei näherer Hinsicht stellt sich dies jedoch als fataler Irrglaube heraus, denn die Grünen mutieren immer mehr zum Sprachrohr des „Woke Capitalism”, meint eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier.
Die Grünen mutieren immer mehr zum Sprachrohr des „Woke Capitalism“, in dem sich vor allem die Interessen des digitalen Kapitals, der gegenwärtig aggressivsten Kapitalfraktion, mit den „progressiven“ Anliegen einer postmodernen Linken verbinden, der es nicht mehr um die Interessen der machtlosen und materiell Unterprivilegierten geht. An deren Stelle sind nun die Anliegen sozialer Mikro-Gruppen wie die der Neofeministinnen, der LGBTQ+-Community und des linksradikalen Antirassismus getreten, für den jeder weiße Mensch ein rassistischer Gewalttäter ist, der schon allein aufgrund seines biologischen Seins das Recht auf vollwertige Mitwirkung an demokratischen Verfahren verloren hat. In öffentlichen Debatten hat der weiße Mensch zu schweigen, wenn ihm das ein Angehöriger einer der privilegierten Opfergruppen, die heute links der Mitte das Sagen haben, gebietet.
Was „Woke Capitalism“ praktisch bedeutet, sei an einigen Beispielen verdeutlicht. Erstes Beispiel die US-Börse Nasdaq. Diese verlangt von börsennotierten Unternehmen, dass mindestens eine Frau und ein Angehöriger einer ethnischen Minderheit oder der LGBTQ+-Community dem Vorstand angehören muss. Ist das nicht der Fall, wird solchen Unternehmen die Entziehung der Börsenzulassung angedroht. Goldmann Sachs weigert sich überhaupt an Börsengängen von Firmen mitzuwirken, wenn sie nur von weißen Männern geführt werden.
Der Handelsriese Walmart führt Schulungen für Mitarbeiter durch, die sich an der „Critical Race Theorie“ ausrichten. Den Mitarbeitern wird dort gelehrt, dass sie in einem System der weißen Vorherrschaft leben und sie werden dazu aufgefordert, sich ihre rassistischen Privilegien bewusst zu machen. Für Führungskräfte sind diese Schulungen im Übrigen verpflichtend. Wer nicht mitmacht, der fliegt raus.
Grünen fühlen sich primär dem Großkapital verpflichtet
Dass sich die Grünen primär dem Großkapital und nicht der prekären Mitte und den abgehängten Unterschichten verpflichtet fühlen, spricht die ehemalige Landesvorsitzende der erzkonservativen Grünen Baden-Württembergs, Sandra Detzer, unumwunden aus. In einem Gastbeitrag in der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ bekennt sie: „Anders als bei unserem ersten Aufbruch ins nationale Regierungsgeschäft 1998, als Rot-Grün gegen die geballte Macht der Konzerne antrat, werden wir heute von enormen wirtschaftlichen Interessen getragen, von der Chemie- bis zur Automobilindustrie, die sich selbst die Klimaneutralität zum Ziel setzen.Das wird unser Regieren leichter und effizienter machen.“
Waren die Grünen früher einmal gegen die geballte Macht der Konzerne angetreten, so ballen sie sich jetzt mit denselben zusammen, um leichter und effizienter gegen die Interessen der Mittel- und Unterschichten Politik machen zu können.
Deren Lage ist den Konzernen völlig egal, was die Grünen sichtbar wenig berührt. So leisten vor allem die Internetgiganten überall dort Widerstand, wo Beschäftigte einen Betriebsrat gründen wollen. Bis zum heutigen Tag ist es den Gewerkschaften in Deutschland nicht gelungen, eine Arbeitnehmervertretung bei Amazon durchzusetzen. Mitarbeiter, die sich dort für ein solches Vorhaben engagieren, werden gemobbt und am Ende auf die Straße gesetzt. Gleichzeitig werben die Unternehmen des digitalen Kapitals ehemalige Kader der Bundeswehr an, die in den großen Distributionszentren für eine straffe Personalführung sorgen sollen.
Grünen schlagen zwei Fliegen mit einer Klappe
Mit ihrer Umorientierung von den Interessen der normalen Menschen auf jene von Großkonzernen, schlagen die Grünen zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen machen sie sich als Interessensvermittler unentbehrlich und zum anderen sichern sie sich Beraterjobs für die Zeit nach der Politik. In Österreich ist die ehemalige Vorsitzende der Grünpartei gleich beim Glücksspielkonzern Novomatic auf der Payroll gelandet und der frühere Chef der Deutschen Grünen, die Parteiikone Joschka Fischer, war für Siemens, BMW und RWE tätig.
Mit diesen Aktivitäten kommen die Grünen fast an die Gewissenlosigkeit und den Opportunismus von Alfred Gusenbauer heran, der in Österreich behände vom Vertreter der Arbeitnehmer in die Aufsichtsräte des Baukapitals gewechselt ist und in diversen osteuropäischen Diktaturen als Berater mit dem roten Klingelbeutel absammeln gegangen ist.
Warum sind die Grünen nun eine dermaßen anpassungsbereite und opportunistische Partei? Die beiden linken Großtheoretiker Seesslen und Metz haben sich diese Frage gestellt und in ihrem Buch „Wir Kleinbürger 4.0“ auch gleich ausführlich beantwortet. Für sie sind Grünparteien ein Auffangbecken für „progressive Kleinbürger“. Schon Karl Marx hat festgehalten, dass das Kleinbürgertum opportunistisch mit einem Bein in der Welt der Ausbeuter und mit dem anderen in dem der Ausgebeuteten steht. Und je nach Bedürfnis- und Interessenlage verlagert es sein Gewicht in die eine oder die andere Richtung. Was dieses Verhalten betrifft, ist die Sozialdemokratie den Grünen völlig gleich.
Im Wahlkampf gibt man sich radikal ökologisch
Was dieser schwankenden Kleinbürgerlichkeit noch anhaftet ist der Drang, den Rest der Welt belehren zu wollen. Täglich bringen ihre Repräsentanten neue Regeln darüber hervor, was man tun und sagen darf und was nicht. Die, die sich diesen Regeln nicht unterwerfen, werden abgewertet, stigmatisiert und ausgegrenzt. Denn wie das „progressive Kleinbürgertum“ zwischen verschiedenen Interessengruppen hin und her schwankt, so schwankt es auch zwischen Radikalität und Biedersinn.
Im Wahlkampf gibt man sich radikal ökologisch, um die Stimmen der linken Jungwähler abzukassieren, nach den Wahlen errichtet man, mit wem auch immer, einen biederen Kümmerstaat, „dessen Legitimität aus dem ökologischen, identitätspolitischen, sozialen und kulturellen Rechthaben besteht“, wie Seesslen/Metz pointiert formulieren. Gleichzeitig bringt man das Narrativ einer humanistischen Kitschwelt in Umlauf, in der man meist schein-juvenile Flüchtlinge, ehrgeizige Frauen, die an der gläsernen Decke zu Vorstandspositionen scheitern und begabte People of Color, denen alte weiße Männer den Zutritt zu renommierten Orchestern verwehren, anklagend auftreten lässt.
Und sonst? Sonst zerdrückt man öffentlichkeitswirksam ein paar Tränen, wenn in der prekären Mitte der Gesellschaft die Gewalt eskaliert. Ob das aber auch mit einer völlig aus dem Ruder gelaufenen hirnlosen und autoritären Corona-Politik, mit der größten Inflation seit über zwanzig Jahren, explodierenden Energiepreisen und den Folgen eines puritanischen Schuld-Sühne-Moralismus zu tun hat, der sich gezielt Bevölkerungsgruppen herauspickt und an den öffentlichen Pranger stellt, darüber wird unter den progressiven Kleinbürgern nicht nachgedacht.
Kommentare