Bernhard Heinzlmaier: Aufregende Opferrituale gegen die Langeweile des akademischen Konformismus
Die postmoderne Universitätskultur ist leidenschaftslos. In diesem Umfeld können radikale Identitätsbewegungen allein über säkularisierte Opferrituale gegen Andersdenkende in lustvolle Ekstasen geraten. Ihr Glück: Sie dürfen im Gegensatz zu ihren Gegnern alles, egal wie radikal sie sind.
Georges Bataille schreibt über das religiöse Opfer, dass es dessen Funktion ist, der sakralisierten Welt das zurückzugeben, was durch seinen „dienstbaren Gebrauch degradiert, profaniert“ wurde. In einer Zeit wie der unseren, die Subjekte und Dinge gleichermaßen alleine an ihrer Nützlichkeit misst und sie alle systematisch zu Waren herabwürdigt, ist der Bedarf an Opferritualen groß, denn in einer ökonomisierten und vom Nutzenkalkül beherrschten Zeit ist das Leben „so grau wie eine Landschaft bei schlechtem Wetter“, so Bataille weiter. Und öffentliche Opferrituale, die vor einer hysterisch-verzückten Masse abgehalten werden, bringen Farbe in deren tristen Alltag.
Leidenschaftsloser Statuserwerb führt zu einem Defizit an lustvollen Erfahrungen
Von der Rationalisierung und Ökonomisierung sind besonders die Universitäten und Hochschulen betroffen, jene Bildungseinrichtungen also, die für die Kinder der Eliten zur Erhaltung ihrer Statusposition bereitgehalten werden. Wenn Statuserwerb und Statusverteidigung aber in einer Atmosphäre stattfinden, die emotions- und leidenschaftslos ist, weil sie einzig dem nüchternen Kalkül und der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit unterworfen sind, entsteht bei den Studierenden ein Defizit an lustvollen, exzessiven, die engen Grenzen der profanen Sachdienlichkeit überschreitenden Erfahrungen. Den merkantilen ECTS-Punkte-Sammlern wird ihr lustloses Dasein unerträglich, und es drängt sie danach, etwas Begeisterndes zu erleben.
Ihre libidinösen Bedürfnisse sublimieren die in die bürokratische und leblos-pragmatische Einöde der postmodernen Universitäten Geworfenen aber nicht, indem sie den Großteil ihrer Triebenergie ihrem Jus-, Medizin-, oder Genderwissenschaftsstudium zuführen, sondern sie versuchen, durch die Teilnahme an mittelalterlichen Hexenjagden ähnlichen fanatischen Reinigungsbewegungen in den Genuss von Ekstase, Verzückung und Euphorie zu kommen.
Auch die meisten Religionen heute sind mit Ausnahme des Islams bar jeder Leidenschaftlichkeit
Opferrituale haben schon zur Zeit der Azteken die Massen in Taumel versetzt. Wenn die für das Gottesopfer Auserwählten in einen Feuerofen geworfen, an einem Haken wieder herausgezogen und danach noch lebendig auf den Opferstein geworfen wurden, dann erzitterte der kollektive Leib der Zuseher unter wollüstigen Schauern. Und auch bei der grausamen Hinrichtung des Vatermörders Robert Francoise Damiens Mitte des 18. Jahrhunderts, die Foucault in seinem Klassiker „Überwachen und Strafen“ minutiös beschreibt, musste den anwesenden noblen Damen immer wieder das Riech-Fläschchen gereicht werden, damit sie nicht vor Erregung und Verzückung in Ohnmacht fielen.
Der überwiegende Teil der Religionen, den Islam ausgenommen, ist heute bar jeder Leidenschaftlichkeit. Während die evangelische Kirche in ihrer anästhetischen protestantischen Ethik moralistisch erstarrt ist, ist die katholische Kirche nicht mehr als eine theologische Abstraktionen daherredende seltsam bunt gekleidete Altmännerbewegung. Der Altpapst gibt anstelle einer klaren Antwort zu den Vorwürfen der Vertuschung von Missbrauchsfällen in seiner Amtszeit als Erzbischof von München und Freising eine über achtzig Seiten starke „Verteidigungsschrift“ heraus. Offenbar ist der Mann noch immer nicht in der Zivilgesellschaft eines liberalen Verfassungsstaates angekommen und lebt in der Welt einer spätmittelalterlichen theologischen Disput-Kultur.
Das Religiöse ist heute in fanatischen Identitätsbewegungen heimisch geworden
Das Religiöse ist aus den traditionellen Religionen ausgewandert und hat eine neue Heimat in den linken Identitätsbewegungen gefunden. Neofeminismus, Postkolonialismus, LGBTQ+Bewegung und die Transgender-Community erscheinen heute als sakralisierte Reinigungsbewegungen, die in ihrem fanatischen Sauberkeitswahn an die wahnhaft-fundamentalistische Bewegung des florentinischen Bußprediger Savonarola erinnern, die marodierend durch Florenz zog und von heidnischen Schriften bis zu Schmuck und teuren Gewändern alles auf den Scheiterhaufen warf und verbrannte.
An den Universitäten wird heute alles verfolgt, was sich nicht dem Reglement einer neurotischen hyperemotionalen Betroffenheitswissenschaft unterwirft. Es wird nicht mehr diskutiert, sondern Abweichendes wird ausradiert. So marschiert die völlig in die identitätspolitische Irrationalität abgeglittene Studentenorganisation der SPÖ, der VSStÖ, auf, wenn eine Ring-Vorlesung mit nicht-kanonisierten Inhalten zur Corona-Epidemie abgehalten wird und fordert deren Verbot. Gedankengut, dass dem VSStÖ nicht passt, soll demnach aus den Universitäten verschwinden.
Linke Narren genießen Artenschutz, egal wie menschenverachtend sie sind
Die ÖH-Vorsitzende der Universität Wien, sie kommt aus dem VSStÖ, postet in Sozialen Medien den Hashtag #1312, eine Kurzfassung des widerlichen Slogans „All Cops Are Bastards“ und fordert die Abschaffung der Polizei, weil diese systemisch sexistisch und rassistisch durchseucht sei. Ein anderer linker Prediger, der fanatische Sebastian Bohrn Mena, bringt in aller Öffentlichkeit die verstörende Idee zum Ausdruck, die Anti-Corona-Maßnahmen-Demonstrationen mit dem Flammenwerfer zu beseitigen. Was haben diese beiden Personen gemeinsam, die wie Neo-Savonarolas durch die Öffentlichkeit toben und für ihre gelangweilte akademische Anhängerschaft aufregende Opferrituale inszenieren? Sie sind beide noch immer in Amt und Würden, die eine als Vorsitzende der ÖH-Wien, der andere als Diskutant bei einem österreichischen Boulevardmedium.
Während linke Narren offenbar Artenschutz genießen, wird mit polarisierenden Personen, die liberal, konservativ oder rechtskonservativ sind oder lediglich nicht mit der den Verstand irritierenden Theorie, dass Frauen einfach Männer werden können, übereinstimmen, weniger tolerant verfahren. Sie werden aus den Universitäten hinausgejagt, wie die Professorin Kathleen Stock, die man so lange terrorisierte, bis sie freiwillig das Feld an der Universität Sussex räumte. Sie konnte dort nicht mehr weiterlehren, weil sie es gewagt hat, das Konzept einer von der Anatomie unabhängigen Gender-Identität zu bezweifeln.
In der postmodernen Universitätskultur erzeugen Säuberungsbewegungen neue Erregungszustände
Die Beseitigung von Lehrenden, weil sie nonkonformistisch und nicht links sind, ist eine Aktualisierung alter religiöser Opferrituale. Sie sind die Antwort auf eine lustlose postmoderne Universitätskultur. Durch die Teilnahme an ideologischen Säuberungsbewegungen, können gelangweilte Universitätslehrer und Studierende Ekstase, Verzückung und Erregungszustände erleben. Leidenschaft und Lust gehen heute aus den Ressentiments eines perversen linken Unterdrückungsbedürfnisses hervor. Früher waren sie Teil der Kultur unangepasster Emanzipationsbewegungen. Erwuchsen Begeisterung und Libido einmal aus dem Ideal der Befreiung des Individuums von äußeren Zwängen, sind sie heute das Produkt von antipluralistischen Ideologien, die die Errichtung einer totalen Kontrollgesellschaft zum Ziel haben.
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