Bernhard Heinzlmaier: Parteitage als geistlose Masseninszenierungen
Die Gegenwartspolitik ist ein inszenierungssüchtiges, von zwielichtigen Beratern getriebenes System, dessen Veranstaltungen anstelle von kontroversiellen inhaltlichen Diskussionen nicht mehr zu bieten haben als eine wohlfeile manipulative Ästhetik, findet eXXpress-Kolumnist Bernhard Heinzlmaier.
Zeitgenössische Parteitage zeigen neuerdings eine bemerkenswert homogene Symbolik. Irgendwann in ihrem Verlauf drängen sich die Angehörigen des Machtzentrums auf einer erhöhten Bühne zusammen und blicken auf die einfache Funktionäreschaft hinunter. Das erinnert frappant an die Inszenierung der SPÖ-Wien am 1. Mai, wo nach wie vor das Establishment der Partei auf einer Tribüne Aufstellung nimmt und mit roten Tüchern dem vorbeimarschierenden Parteivolk zuwinkt, ohne dass den Beteiligten diese Selbstinszenierung, die an den Auftritt der Kremlherren auf dem Leninmausoleum erinnert, sichtbar peinlich wäre.
Die volkstümlichen unter den „Politbüromitgliedern“ mimen dabei immer wieder die Freude des spontanen Erkennens, wenn sie ihnen bekannte Genossen in der Masse des Fußvolks erblicken und erheben diese zum einzigartigen Individuum, indem sie mit dem Finger auf sie zeigen und dazu ermunternde Grimassen ziehen. So fühlt sich der einsame Massenmensch aus der Indifferenz der Menge herausgehoben und erfährt sich als wertvoll und besonders.
Wenn du weiter buckelst, so suggerieren die Bilder, winkt dir vielleicht der Aufstieg
Wahrscheinlich erfüllt der neue gemeinschaftliche Bühnenauftritt der Parteieliten, sowohl beim Parteitag der SPÖ-Burgenland als auch beim Bundesparteitag der ÖVP hat man ihn gesehen, eine ähnliche Funktion wie das Tribünenschauspiel der Maiaufmärsche. Die Funktionärselite kann sich im Licht der Öffentlichkeit sonnen und die subalterne Masse kann deren huldvolle Zuwendung durch kleine persönliche Aufmerksamkeitsgesten genießen. Darüber hinaus hat die performative Inszenierung der Parteispitze auch eine motivationale Dimension.
Jene, die sich im Zustand der Unsichtbarkeit des Massenindividuums befinden, bekommen den möglichen Lohn für jahrelange Unterwerfung vorgeführt. Wenn du weiter buckelst, so suggerieren es diese Bilder, winkt dir vielleicht der Aufstieg in der Funktionäre-Hierarchie bis hinauf zu den lichten Höhen einer Parteitags- oder Maiaufmarsch-Bühne. Und wie die aktuelle Führung kannst du dich dann dort bewundern lassen und deinen Statusgewinn durch das gnädige und die Masse subtil herabwürdigende Grußritual der Parteiaristokratie symbolisch zum Ausdruck bringen.
Die Parteien unserer Zeit funktionieren nach dem Prinzip „Aufstieg durch Anpassung"
Insgesamt betrachtet sind solche Parteiveranstaltungen Zusammenkünfte von schwachen Persönlichkeiten, gleich ob sie auf oder vor der Bühne stehen, die das symbolische Machtgefälle von Hierarchien benötigen, um sich mit sich selbst identisch zu fühlen. Diese Menschen empfinden sich nur dann als lebendig, wenn sie entweder oben auf der Bühne stehen und auf die Masse triumphal hinunterblicken oder wenn sie als Teil des Fußvolks zu ihrer Führung, in der Hoffnung ihr selbst einmal anzugehören, begehrlich hochblicken können.
Gemeinsam ist der Spitze und dem Fußvolk eine Mentalität, die der Satz „ohne Partei bin ich nichts“, den der ehemalige SPÖ-Vorsitzende Fred Sinowatz in der für ihn typischen Ehrlichkeit unverhohlen ausgesprochen hat, präzise auf den Punkt bringt. Die Parteien unserer Zeit funktionieren nach dem Prinzip „Aufstieg durch Anpassung“ und sind durch das jahrzehntelange Wirken dieses innovationsvernichtenden Funktionsmodus zu artigen, aber leeren Gefäßen geworden, die nichts mehr anzubieten haben als Parteikarrieren für ichschwache Egoisten und einen Sack voll hohler Phrasen für das Volk. Das kommunikative Prinzip dieser, sich immer mehr von ihrer Wählerschaft abkoppelnden selbstbezüglichen Parteisysteme, ist die Prätention, also die Anmaßung. Es geht darum, sich als wichtiger und bedeutsamer darzustellen, als man tatsächlich ist.
Die Blasiertheit des Narzissten Emmanuel Macron macht ihn blind für die ihn umgebenden Realitäten
Ein Paradebeispiel für prätentiöses Verhalten lieferte uns der eben wiedergewählte französische Präsident Macron, der so sehr damit beschäftigt war sich selbst zu bewundern, das er die Abstiegsängste der sozialen Mitte und die Verarmung der Arbeiterschichten nicht mehr wahrnehmen konnte und am Ende in einem gespaltenen Land aufwachte, in dem seine Wiederwahl nur dadurch zustande kam, dass sich seine Gegner gegenseitig zerfleischten und er am Ende mit einer von den Leitmedien dämonisierten Kandidatin der Rechten in die Stichwahl kam. Die Blasiertheit des Narzissten macht ihn blind für die ihn umgebenden Realitäten.
Wir leben in einer Zeit, in der die Inszenierungen der Politik immer wohlfeiler und aufgeblasener werden. Gleichzeitig sind sie leerer, in der Regel prätentiöser Mummenschanz, der nichts will, außer das Erregen von Aufmerksamkeit. Begleitet wird dieser Exzess der gehaltlosen Oberflächlichkeit von einer Medien- und Expertenszene, die die Inszenierungsfähigkeit der politischen Parteien zum einzigen Gradmesser der Beurteilung macht.
Ex-Kanzler Kern durfte einen weiteren wehleidigen Vergangenheitsbewältigungsauftritt absolvieren
Beispielhaft dafür die Berichterstattung über den Parteitag der SPÖ-Burgenland. Durch sie erfuhr man, dass der von Sebastian Kurz abmontierte ehemalige SPÖ-Bundeskanzler Kern dort wieder einen weiteren wehleidigen Vergangenheitsbewältigungsauftritt hatte und den Genossen vor Ort davon erzählte, wie er sich nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz zu Hause vor lauter Freude einen Schwips angetrunken hat. Zudem wurde man über die äußerst wichtige Tatsache in Kenntnis gesetzt, dass der Altstar der SPÖ, Hannes Androsch, wieder einen seiner berüchtigten Auftritte in der Rolle des „Elder Statesman“ absolvierte.
Dieser Altpolitikertypus, den in besonders quälender Art der deutsche Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt verkörperte, der für alle Probleme der Gegenwart eine adäquate Lösung hat und diese in der abstraktesten aller möglichen Formen gespickt mit persönlichen Anekdoten vorträgt, ist heute unverzichtbarer Bestandteil jedes die Hirne der Menschen bewusst vernebeln wollenden, politischen Massenevents. Den intellektuellen Höhepunkt der Veranstaltung bildete dann wohl das bildungspolitische Manifest des burgenländischen Landeshauptmanns Doskozil, das aus kostenlosen Nachhilfestunden, einem gratis Musikinstrument und Skiern for free für jedes Kind besteht und traf damit punktgenau das Niveau einer politischen Kultur, für die auch Bildungspolitik nichts weiter als die Verteilung von Subventionen ist.
Kein Wort über Teuerung, unzeitgemäßes Bildungssystem, Außenpolitik, vernünftige Energiepolitik
Nicht gesprochen wurde darüber, was die SPÖ in nächster Zeit gegen die explodierende Teuerung zu tun gedenkt, wie ein völlig unzeitgemäßes Bildungssystem umgebaut werden könnte, das nur mehr Akademiker produziert, obwohl die Wirtschaft händeringend Facharbeiter sucht, wie die österreichische Außenpolitik in der EU Akzente gegen die hirnlose Aufrüstung der Ukraine setzen könnte, die mehr Elend hervorbringt als sie Frieden bewirkt und wie eine vernünftige europäische Energiepolitik auf den Weg zu bringen wäre, die endlich die friedliche Nutzung der Kernenergie enttabuisiert und die irren Pläne eines Boykotts der russischen Gas- und Ölimporte aufgibt, an deren Ende nur Wohlstandsverlust und Elend für die kleinen Leute stehen kann.
Die Gegenwartspolitik ist ein inszenierungssüchtiges, von zwielichtigen Beratern getriebenes System, dessen Veranstaltungen anstelle von kontroversiellen inhaltlichen Diskussionen nicht mehr zu bieten haben als eine wohlfeile manipulative Ästhetik. Wie im Supermarkt dominiert die Verpackung den Inhalt. Aber allein mit dem besten Design kommt man auch nicht immer ans Ziel. Das hat nicht zuletzt Christian Kern erfahren müssen der trotzdem seine Anzüge fünfmal so teuer waren als die von Sebastian Kurz, mit Bomben und Granaten gegen diesen verloren hat.
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