Bernhard Heinzlmaier: Politische Kultur degeneriert, Politisches System wankt
In seinem Dialog Sophistes bezeichnet der griechische Philosoph Platon die Politikberater seiner Zeit, die man Sophisten nannte, als „Künstler des Scheins der Kundigkeit“. Und er weist zudem auf deren Käuflichkeit hin. Schon in der griechischen Antike waren also Politik und Kommunikation ein Geschäft, bei dem alle Ideale abwesend und das aus materieller Gewinnabsicht und persönlicher Eitelkeit betrieben wurde. Das hinderte aber die narzisstischen Künstler des politischen Streits nicht daran, in allen ihren Reden auf die Selbstlosigkeit hinzuweisen, mit der sie für die Interessen „des Volkes“ unter größten Opfern und Entbehrungen eintreten.
Wie zu Platons Zeiten sind Politiker und Leute, die politische Kommunikation treiben, auch heute primär Geschäftsleute, deren Expertise in erster Linie darin besteht, den Anschein von Kompetenzen zu erwecken, über die sie tatsächlich überhaupt nicht verfügen. Politiker und ihre Berater sind, wenn überhaupt, einseitig begabt. Ihre Fähigkeiten beschränken sich auf das politische Streitgespräch, den Diskurs, die Überzeugungs-Rhetorik, die Manipulation. Ohne jede Kompetenz sind sie hingegen, wenn es um die Lösung von praktischen Problemen des gesellschaftlichen Alltags geht. Zudem sind sie völlig frei von Empathie für einfache Menschen. Das rührt daher, dass sie und ihre Familien in der Welt der Luxus-Eliten leben, deren Einkommen sich jenseits der 10.000 Euro monatlich bewegt.
Um nur ein Beispiel zu nennen. Die Monatsbezüge der deutschen Arbeiterführerin Saskia Esken belaufen sich auf rund 25.000 Euro. Allein für ihre Tätigkeit als Vorsitzende der SPD kassiert sie zusätzlich zu ihren Abgeordneten-Bezügen noch einmal 9.000 Euro im Monat. Trotz dieses astronomischen Verdienstes erklärt sie gerne, auf Twitter oder wenn sie sich unter das Volk mischt, den Mindestrentnern, wie sie leben müssten, um mit ihren mickrigen Pensionen das Auskommen zu finden. Offenbar eine Frau, der gar nichts mehr im Leben peinlich ist.
Politik ist heute weitgehend nichts als Gerede und selbst dieses wird immer seichter und unerträglich eintöniger. Manchmal hat man den Eindruck, alle Parteien würden von ein und demselben PR-Institut beraten. Das wird besonders augenfällig, wenn an Wahlabenden die Spitzenkandidaten der Parteien auftreten. Einer dermaßen grandiosen Zusammenballung von einfältigen Argumenten und hohlen Phrasen darf man selten beiwohnen. Vor allem die ewig selben Dankesworte an Parteifunktionäre und Wählerschaft verbreiten eine bleierne Langeweile, die den letzten Funken an Enthusiasmus für Politik unter den Zusehern augenblicklich zum Verglühen bringt.
Wollen wir das wirklich noch Politik nennen?
Was wir in den letzten Jahren aus diversen Studien unter Wählern und Wählerinnen in Deutschland und Österreich lernen mussten, ist, dass die Mehrheit von ihnen förmlich auf der Flucht vor ihren Volksvertretern ist. Nichts ist in Zeiten von Wahlkampagnen so gefürchtet, wie Betriebsbesuche oder der Hausbesuch. Unter Funktionären der politischen Parteien hört man ja immer wieder, dass es darauf ankommen würde, „hinaus zu den Leuten zu gehen“. Aber genau das ist es, was „die Leute“ so fürchten. Im Gegensatz dazu wünscht man sich Politiker, die in ihren Amtsgebäuden bleiben und dort einen guten Job machen. Und das ist verständlich, oder kennt jemand irgendwen, dem es Spaß macht, von einer gut geölten Phrasendreschmaschine, im schlimmsten Fall einem „Scholzomaten“, gar zu Hause überfallen und zugetextet zu werden. Am Ende steht man abgefertigt und überfahren wie ein Grundschüler da, mit einem Kugelschreiber mit Parteilogo oder, wenn es Grüne waren, mit einem Päckchen Blumensamen in der Hand. Politiker an der eigenen Haustür braucht man genau so wenig, wie Zeugen Jehovas oder andere Jesus-Apostel.
Besonders dramatisch wird die Lage, wenn die Politikberater selbst an die Öffentlichkeit treten und den Diskurs an sich reißen. In der letzten Woche hat der Doyen der österreichischen PR-Wirtschaft das Wort ergriffen, aber nicht, um den Vorsitzenden der FPÖ, Herbert Kickl, mit geschliffenen politischen Argumenten herauszufordern, sondern um ihm geschickt zu unterschieben, dass er insgeheim gegen Corona geimpft sei, obwohl er in der Öffentlichkeit das Gegenteil behaupte. Was dann entbrannte, war die widerlichste Schlammschlacht, die seit langer Zeit in der österreichischen Politik zu sehen gewesen ist.
Die Art, wie der Großmeister der politischen Kommunikation gegen den FPÖ-Chef vorging, ist typisch für eine politische Kultur, die jegliche inhaltliche und weltanschauliche Substanz verloren hat und die deshalb über keine anderen Mittel mehr verfügt als der Diskreditierung des politischen Gegners durch Angriffe ad hominem.
Was der Neo-Sophismus aber übersieht ist, dass er durch solche Schmutzaktionen die Politik insgesamt entzaubert und entwertet. Schon Silberstein hat mit seinem Dirty Campaigning nicht nur die SPÖ nachhaltig geschädigt, er hat die gesamte politische Kultur des Landes vergiftet. Nun herrschen auch bei uns Sitten wie in den USA, wo keine politischen Debatten mehr geführt werden, sondern sich die Politik in ein ständig tagendes Moraltribunal verwandelt hat und politische Akteure wegen persönlicher Verfehlungen, die man ihnen wahllos und oft einfach auf Verdacht vorwirft, beschädigt oder aus dem Amt getrieben werden.
Wollen wir eine politische Kultur, in der Journalisten und Politikberater in der Privatsphäre von politischen Akteuren herumwühlen, nach anzüglichen Fotos auf ihren Smartphones suchen oder ihnen Privat-Detektive nachschicken, um zu eruieren, in welchen Clubs sie verkehren? Und wollen wir das alles wirklich dann Politik nennen?
Verlorenes Vertrauen
Das Vertrauen in die Politik erodiert dramatisch. 70% der unter 30-Jährigen fühlen sich von den Parteien nicht mehr verstanden und repräsentiert. In Graz hat die KPÖ bei den Gemeinderatswahlen fast 30% errungen, in Oberösterreich ist eine Querdenkerpartei in den Landtag eingezogen. Erste Menetekel dafür, dass die politische Struktur des Landes offenbar beginnt, sich radikal zu wandeln. Worauf wollen die etablierten Parteien des Landes warten? Bis es so weit kommt wie in Italien, Frankreich oder Griechenland, wo nahezu keine traditionelle Partei mehr existiert? Will die SPÖ dorthin, wo heute die Pasok ist und möchte die ÖVP die Nachfolge der Democrazia Cristiana antreten? Manchmal hat man stark diesen Eindruck.
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