Bernhard Heinzlmaier: Warum vernichten sich die Konservativen selbst?
Was ist eigentlich mit den konservativen Parteien los? Selten waren die Rahmenbedingungen für sie so gut. Die Menschen sehnen sich nach Sicherheit und Stabilität, stehen Neuerungen und Experimenten skeptisch gegenüber, vor allem die neoliberale Startup-Kultur mit ihrem Prinzip der schöpferischen Zerstörung ist vielen unheimlich.
Man will, dass mit Traditionen und Althergebrachtem sorgsam umgegangen wird und nicht alles, was dem Konzept einer haltlosen Innovations- und Wachstumsstrategie nicht dienlich ist, mit „disruptiven“ Maßnahmen, wie man heute im Neusprech sagt, hinweggefegt und auf dem Misthaufen der Geschichte geworfen wird. Wettbewerb soll zivilisiert verlaufen, meint die große Mehrheit. Der ausufernde Kampf „jeder gegen jeden“ soll durch gelebte Werte der Gemeinschaftlichkeit begrenzt werden. Längst wird die Globalisierung nicht mehr euphorisch bejubelt. Vielmehr ist in den letzten Jahren, vor allem unter der Jugend, ein starkes Nationalbewusstsein entstanden. Für die Mittelschichten gilt das Prinzip „Österreich zuerst“ ohne Wenn und Aber. Dementsprechend hat auch das Image des Bundesheeres einen Aufschwung erfahren und das finanzielle Aushungern gerade jener Institution, die mehr als alle anderen für die Garantie der Eigenstaatlichkeit Österreichs steht, wird äußerst kritisch gesehen.
Große Skepsis gegenüber der Europäischen Union
Die Skepsis gegenüber der Europäischen Union ist groß geworden. Viele fühlen sich von den Brüsseler Eliten nicht vertreten, haben den Eindruck, dass Länder wie Österreich nur als Nettozahler missbraucht werden und nun auch noch die einfachen Leute für die halsbrecherische Außenpolitik der Transatlantiker in der EU-Führung die Zeche bezahlen sollen. Die Energiepreise sind explodiert, weil die EU bei ihrem Engagement für die Ukraine nur die rechte Gehirnhälfte eingeschaltet hat und jeglicher Sachverstand außen vorgelassen wurde. Heute haben wir, nicht zuletzt wegen des Ukraine-Abenteuers der EU-Führung, eine Teuerung, die sich gewaschen hat, und vor allem die unteren 50% der Einkommens- und Statuspyramide müssen um die Existenz ihrer Familien fürchten.
Überhaupt scheint es die rechte emotionale Gehirnhälfte zu sein, die heute politische Entscheidungen bestimmt. Jede Krise bewirkt bei den Regierenden sofort hysterische Schnappatmung und kopflose Überreaktionen. Die Corona-Epidemie legt dafür beredsames Zeugnis ab. Ohne Sinn und Verstand wurde bisher nach dem Prinzip, die totale und härteste Maßnahme ist immer die beste, vorgegangen. Fast täglich wurde der sprichwörtliche gordische Knoten mit einem neuen Schwert durchschlagen, die feinen Klingen blieben liegen. Man hat den Eindruck, dass in den Pandemiezeiten auf jede virale Maus, die irgendwo über den Flur gehuscht ist, mit dem Bihänder eingedroschen wurde, begleitet vom überheblichen und nervösen Moralgebrülle der Corona-Hysteriker.
Als besonders fatal wirkte sich der Umstand aus, dass das Heer der sogenannten Experten, heute ist ja fast jeder in diesem Land Experte für irgendetwas, sich täglich mehrfach widersprach. Waren für den einen die Gesichtsmasken der beste Schutz gegen eine Ansteckung, vermeldete die nächste gleich darauf, dass die Masken eigentlich wenig Sicherheit bieten. Teilte uns Virologe A mit, dass der Impfstoff XY keinerlei Nebenwirkungen hat, kam gleich darauf Virologe B und warnte vor den Gefahren von Herzmuskelentzündungen vor allem bei Jungen.
Europäische Konservative mit Grabenkämpfen beschäftigt
Besonders unerträglich die Prognostiker und Komplexitätsforscher. Sie geben bis heute wöchentlich irgendwelche Zahlen zum Verlauf der Epidemie heraus, die im Nachhinein von niemanden überprüft werden. Sieht man genauer hin, sind sie in der Regel weit daneben. Ginge es nach dem führenden „Komplexitätsexperten“, müssten wir jetzt gerade 30.000, wenn nicht gar 60.000 tägliche Omikron-Neuinfektionen haben. Davon kann aber keine Rede sein. Deshalb wird hektisch das Wasser von Kläranlagen untersucht, um am Ende aufgrund der dort vorgefundenen Virenlast neue Projektionen rechnen zu können, die man dann so hindrehen wird, dass die ursprüngliche übertriebene Ankündigung plausibel erscheint.
Sowohl die politische Linke als auch das Heer von Zukunftsforschern und Komplexitätsexperten will nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Zukunft unverfügbar ist und man für die Bewältigung der Gegenwart brauchbarere Hinweise in der Vergangenheit findet als in dem zusammenfantasierten Noch-nicht-dagewesenen. Und genau hier wäre der Anknüpfungspunkt des Konservatismus. Odo Marquard, der große deutsche Philosoph, hat den Satz geprägt „Zukunft braucht Herkunft“. Wer alle Brücken hinter sich abbricht und sich nur fiebrigen Zukunftsfantasien hingibt, der verliert nicht nur die Orientierung, sondern auch seine Werte, seinen Lebenssinn und seine psychische Stabilität. Konservativ sein heißt hier, dass man nicht nur überreizt irgendwelchen Zukunftstrends nachschnüffelt, sondern zumindest genauso viel Aufmerksamkeit der achtsamen Überprüfung des aus der Vergangenheit Überlieferten im Hinblick auf seine Brauchbarkeit für die Gegenwart widmet.
Aber anstelle das zu thematisieren, scheinen sich die Europäischen Konservativen lieber mit inneren Grabenkämpfen beschäftigen zu wollen. In Großbritannien wird der erfolgreiche Premier Boris Johnson abgeschossen, nur weil ihn die linksdominierte Presse mit ein paar persönlichen Petitessen quält, und sofort finden sich 10 Kandidaten, die in einen Kampf um seine Nachfolge eintreten. Das zeigt, dass die britischen Konservativen nur mehr ein Konglomerat aus machtgeilen Beutegemeinschaften sind, denen die eigenen Interessen näherstehen, als die des Parteiganzen. Ebenso in Deutschland. Dort hat die Mutti der Nation, Angela Merkel, im Alleingang die CDU/CSU zerlegt, vor allem durch ihre grenzenlose ideologische Beliebigkeit und irrwitzige Personalentscheidungen. Die Namen Kramp-Karrenbauer und Ursula von der Leyen werden die Gegenwart als Symbole für völlige Ausstrahlungslosigkeit und totale kommunikative Inkompetenz überdauern.
Selbst Tiroler Chef hat Nehammer zerzaust
Und zuletzt Österreich. Dort hat die ÖVP kaum einen Finger gehoben, um das Jahrhunderttalent Sebastian Kurz gegen eine beispiellose linke Medienkampagne zu verteidigen, mit der zuerst der freiheitliche Koalitionspartner und in der Folge dann der junge Kanzler abmontiert wurde. Und nun geht es mit dem Kurz-Nachfolger Nehammer genau so weiter. Anstelle den Mann, der alle Medien gegen sich hat, tatkräftig zu unterstützen, hebt aus den Bundesländern eine Kakophonie aus Stammtisch-Genörgel und Bassenatratsch-Gekeife an, die sich überwiegend Stilfragen der Kanzlerrhetorik widmet. Jedes kleine Witzchen, ob gelungen oder nicht sei dahingestellt, bekommt da eine dermaßen große Aufmerksamkeit, dass der Verdacht aufkommt, dass die, die sich dazu zu Wort melden, es nur deshalb tun, weil sie sonst ohnehin nichts Vernünftiges zu sagen hätten.
Fast jeder schwarze Bundesländer-Baron hat sich in den letzten Wochen sein Mütchen an Nehammer gekühlt. Selbst der neue Tiroler Chef hat, kaum ins Amt gekommen, als erste Tat Nehammer zerzaust. Und am Ende einer solchen Kampagne kommt dann, wie bei jedem Feldzug, der Tross der Irrelevanten. Die sitzen in der Regel im Europaparlament, weil sie in Österreich keiner mehr sehen kann. Dementsprechend hat auch Othmar Karas den Kanzler wegen des Orban-Besuches kritisiert. So tut man jedenfalls nichts anderes, als der Irrsinnskoalition aus SPÖ, Grünen und Neos die Tür noch einen Spalt weiter aufzustoßen.
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