Bernhard Krumpel: Die große Impf-Verwirrung
Zuerst gab es Bedenken gegen den Einsatz von AstraZeneca. Dann hat es geheißen, man verlässt sich auf die Europäische Arzneimittelbehörde EMA. Diese erteilte grünes Licht für den Impfstoff, nachdem einige Länder den Impfstoff blockiert, andere ihn für über 65-jährige ausgesetzt hatten. Nun setzt Deutschland AstraZeneca für unter 60-jährige aus. Rettet nun Russland Europa?
Noch Anfang März 2021 titelten Medien, dass AstraZeneca nur für unter 65-Jährige empfohlen werde. Zu unsicher seien die Forschungsergebnisse für ältere Menschen gewesen. Dann meinte die Europäische Arzneimittelbehörde EMA, mit AstraZeneca sei alles fein. In den sicherlich vielgelesenen Beipackzettel wurde lediglich die Warnung vor möglichen Blutgerinnseln aufgenommen. Wenige Wochen später beschließen die deutschen Gesundheitsminister von Bund und Ländern, dass AstraZeneca nur noch für Menschen ab 60 Jahren verwendet werden soll. Dies, nachdem die dortige Ständige Impfkommission eine diesbezügliche Empfehlung ausgesprochen hatte. Mittlerweile folgten auch andere Länder, wie beispielsweise Kanada, diesem Schritt. Zu häufig traten in Kombination mit der Impfung vor allem bei Frauen tödliche Hirnvenenthrombosen auf. Mittlerweile gibt es an einem deutschen Verwaltungsgericht die erste Klage, bei der ein Mann Biontech statt AstraZeneca für sich einklagen möchte.
So eine Slalomfahrt in wenigen Wochen bei einem derart heiklen Thema ist schon beinahe Goldmedaillenverdächtig. Dass damit das Vertrauen in den für die Herdenimmunität so wichtigen Impfstoff gestiegen ist, kann definitiv bezweifelt werden. AstraZeneca hat lediglich marketingtechnisch reagiert und den Impfstoff nun in Vaxzevria umbenannt. Damit kommt „AstraZeneca“ im Namen selbst nicht mehr vor. Denn dieses hin und her verunsichert massiv und ist aus Imagesicht für das Unternehmen und den viel wichtigeren europäischen Impfplan hochtoxisch. Zumal die USA verkündet haben, keine Impfdosen zu exportieren, da sie alle einstweilen selbst benötigen. Deshalb bieten sich nun unterschiedliche Varianten für die europäischen Staaten. Entweder „Augen zu und durch“ mit dem Argument der „Nutzen-Risiko-Relation“ oder vermehrtes Setzen auf Alternativen, wie etwa Sputnik V. Österreich macht beides.
Putin als Retter Europas?
So kommt nun der russische Staatspräsident Putin ins Spiel als Retter in der Not. Eine Million Impfdosen wurden allein Österreich in Aussicht gestellt. In verschiedenen Ländern Europas, beispielsweise Italien, soll der noch nicht behördlich zugelassene Impfstoff Sputnik V hergestellt werden. Sputnik wird also AstraZeneca Marktanteile wegnehmen. Als Präsident Putin letztes Jahr den wissenschaftlichen Durchbruch verkündete und Sputnik der Welt präsentierte, wurde in Europa fleißig über Sputnik gespottet. Seitdem hat Russland geschickt daran gearbeitet, Europa ins Impfboot zu holen. Es begann mit Ungarn und wird zweifelsohne in einer Zulassung durch die EMA enden. Das wäre ein großer politischer Sieg für Russland: Während die USA protektionistisch agieren, der mit Milliarden Euro an europäischem Steuergeld entwickelte Impfstoff AstraZeneca in ständiger Kritik steht, hilft Russland dem von der Pandemie schwer gezeichneten Europa. Quasi ein kyrillisch geschriebener Marshall-Plan, bei dem sich die russische Staatskassa gut füllen wird. Insofern ist das amerikanische Impfdosenembargo ein Gottesgeschenk für Putin.
Es ist zudem kaum vorstellbar, dass Putin der europäischen Impfkampagne selbstlos Unterstützung anbietet. Warum sollte er auch? Vielleicht erleben wir heuer noch, dass Sanktionen gelockert werden.
Militärhilfe
Aber zurück zur Impfkampagne. Im Kampf gegen die unsichtbaren Viren gewinnen nun auch die in Sachen Logistik bestgeschulten Militärs an Bedeutung. In den USA wird die tadellos laufende Impfkampagne „Operation Warp Speed“ seit Mai 2020 von einem Vier-Sterne-General geleitet. Der Logistikexperte Gustave F. Perna wurde noch von Donald Trump mit dieser Aufgabe betraut und kommt schneller voran als prognostiziert. Auch in Israel hilft die Armee an vorderster Impffront. Und laut Wirtschaftswoche bietet die deutsche Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) offensiv Unterstützung an: „Wenn genügend Impfstoff in den Ländern bereitsteht, können wir mit der Bundeswehr in ganz Deutschland pro Tag bis zu 20 000 Impfdosen verimpfen.“
Es hängt also alles an der Zahl der Impfdosen und nicht an der Logistik. Fehlen die Dosen, erhöht sich der Druck auf die europäischen Regierungen. Vorausblickend hat Russland im Februar 2021 den Preis für seinen Impfstoff Sputnik V um die Hälfte auf Euro 9,60 gesenkt, allerdings vorerst nur für das russische Impfprogramm. Eine grenzüberschreitende Preisreduktion würde den Bestelldruck auf Europas Politiker weiter erhöhen. Insofern könnte 2021 für Putin und die Hersteller von Sputnik V ein gutes Jahr werden. Denn die Zulassung durch die EMA wird kommen.
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