Bernhard Krumpel: Ermittlungsbehörden & Betroffene - eine Welt voller Missverständnisse?
Gerade in den letzten Monaten war bemerkbar, dass das Verhältnis zwischen Ermittlungsbehörden und Betroffenen oftmals zerrüttet ist. Selbst Personen, die sich nichts vorzuwerfen haben, ziehen sich zurück und gehen in eine Verteidigungshaltung, die der Aufklärung nicht dienlich ist. Eventuell wäre eine höhere Gewichtung der Anfangsverdachtsprüfung sinnvoll.
Für die Behörden beginnen die Ermittlungen mit einem Anfangsverdacht. Für die Betroffenen sind es oftmals Unterstellungen. Denn in vielen zehntausenden Fällen stellte sich im Zuge der Ermittlungen heraus, dass der Vorwurf nicht mit der Realität übereinstimmt. Erst kürzlich wurden vier Anzeigen gegen Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka unter anderem wegen Fehlen eines Anfangsverdachts eingestellt. Das ist kein Einzelfall. In Vorlesungen zum Thema „Litigation PR“ verwende ich unter anderem eine im Jahr 2018 publizierte Recherche der mittlerweile eingestellten Rechercheplattform „Addendum“. Unter dem Titel „Ein Streifzug durch den Strafprozess“ wurde festgestellt, dass in einem Jahr (2016) aus mehr „als einer halben Million Anzeigen am Ende zwölf Prozent Anklagen und sechs Prozent Schuldsprüche werden“. Dass an den meisten Anzeigen nichts dran ist, wissen auch die Behörden. Dennoch ist jeder Fall für sich zu bewerten. Somit bedeutet das Wort „Einzelfallbetrachtung“ eine Menge Arbeit für Staatsanwälte, Jahre beruflich und privat reduzierter Lebenszeit für Beschuldigte und tausende Stunden Ermittlungsarbeit für die Polizei.
Dass ermittelt wird, soll nicht Thema sein. In vielen Fällen ist es sogar gut für die Betroffenen, wenn genau ermittelt wird, um einen Verdacht nachweislich endgültig aus der Welt zu schaffen. Nach einer Verfahrenseinstellung ist schließlich alles behördlich abgeklärt. Das ist allerdings leider eine sterile, realitätsferne Betrachtung.
Ermittlungen kosten die Betroffenen richtig viel Geld
Den Betroffenen kosten diese Ermittlungen viele Nerven und richtig viel Geld. Ich denke dabei an einen Vorstand, welcher der Untreue und der Bilanzfälschung verdächtigt, schlussendlich aber nach Jahren freigesprochen wurde. Ihm sind aufgrund der zumeist jahrelangen Ermittlungen Kosten in Höhe hunderttausender Euro entstanden, die keiner ersetzte. Das war allerdings die harmlose Seite. Für einen Finanzvorstand sind solche Beschuldigungen gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit. Mit einem derartigen Vorwurf konfrontiert, bekommt er keinen neuen Job im Finanzbereich. Es folgte eine Depression, Frau und Kinder waren bald weg. Schlussendlich, um ihm Halt zu geben, stellte ihn ein Freund in einer hierarchisch deutlich untergeordneten Position an. Dennoch: Er war froh, wieder arbeiten zu können. Dass seine Reputation durch Leaks und Unterstellungen bewusst angegriffen wurde, traf ihn persönlich. Ich habe heute noch seinen Satz im Ohr: „Ich hätte das alles nie für möglich gehalten, hätte ich es nicht selbst erlebt.“ Ich habe mit ihm nicht zusammengearbeitet, aber immer wieder Personen medientechnisch beraten, gegen die ermittelt wurde. Eines habe ich immer erlebt. Ein tiefes Misstrauen gegenüber den Ermittlungsbehörden, gepaart mit der Geisteshaltung, dass alles ausschließlich nachteilig für den Beschuldigten ausgelegt werde. Dieses Misstrauen wird vom Umfeld zumeist gefördert.
Ausweitung der Anfangsverdachtsprüfung sinnvoll?
Das hat zur Folge, dass Informationen nur spärlich weitergegeben werden und die Behörden auf ihre subjektiven Interpretationen eines „Tathergangs“ angewiesen sind. Ursache ist, dass die Betroffenen das Gefühl entwickeln, einziges Ziel der Behörden sei, sie zur Strecke bringen. Diese emotionale Situation steigert sich zudem dadurch, dass die Beschuldigten mit Sachverhalten konfrontiert werden, die für sie völlig absurd sind. Zudem werden für den einzelnen normale Alltagshandlungen als „lebensfremd“ bezeichnet. Denn der oftmals verwendete Satz „bei lebensnaher Betrachtung“ ist immer eine subjektive Einschätzung. In etwa so, wie es in Österreich Millionen Teamchefs gibt, die bei lebensnaher Betrachtung eine andere Formation auf das Fußballfeld geschickt hätten. Sollte dann noch eine behördliche Zwangsmaßnahme erfolgen, wie etwa einer Hausdurchsuchung, ohne dass der Betroffene in irgendeiner Form zu den Vorwürfen vorab Stellung nehmen konnte, entsteht ein Gefühl der Willkür. Außerdem macht sich Verärgerung breit, wenn etwaige beschlagnahmte Geräte, die allerdings für den Alltag benötigt werden, ewig lang verschollen sind. All das führt zu einer Verteidigungshaltung, die menschlich verständlich ist, aber das Verfahren verlängert. Eventuell wäre es ratsam, einer Anfangsverdachtsprüfung mehr Raum zu geben. Etwa durch eine routinemäßige Befragung von Betroffenen unter Wahrheitspflicht bereits in diesem frühen Stadium. Eine derartige Vorgangsweise würde den Behörden und den Betroffenen helfen, noch mehr Klarheit über die Relevanz einer (anonymen) Anzeige zu bekommen.
Behörden machen ihren Job
Die zuvor angesprochene Verteidigungshaltung hat bei allen Fällen, die ich miterleben konnte, eine negative Auswirkung auf die Kooperationsbereitschaft. Dabei müssen sich Betroffene immer wieder vor Augen halten, dass sich Behörden im Rahmen ihrer Möglichkeiten bewegen. Als Betroffener sollte man sich daher trotzdem aufraffen, an der Aufklärung bestmöglich mitzuwirken. Das bedeutet, beispielsweise mittels Einbringung belegbarer Stellungnahmen offensiv auf die Behörden zugehen. Oder genau abzuwägen, ob es tatsächlich einen Mehrwert hat Rechtsmittel einzubringen. Denn diese verzögern durch den Instanzenzug womöglich die Aufklärung und bedeuten zusätzliche Arbeit für die Behörde. Dabei liegt eine schnelle Aufklärung im beiderseitigen Interesse. Bei den Behörden arbeiten Menschen, die nicht das kolportierte Bild einer Anklage- sondern einer Ermittlungsbehörde stärken wollen. Es wäre deshalb gut, wenn auch die Justiz ihre Tätigkeiten mit verstärkter Informationsarbeit breiter darstellt. Beispielsweise indem versucht wird, auf die oft geäußerten Fragestellungen klare Antworten zu geben. Wie etwa die klassische Frage: „Warum dauern Verfahren so lange?“ Bis es so weit ist, kann ich jedenfalls auf die Informationsplattformen „staatsanwaelte.at“ und „richtervereinigung.at“ verweisen.
Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.
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