Bernhard Krumpel: Götterdämmerung
Vor der Pandemie benötigten Gesundheitsminister in der Arbeit viel Geduld und eine besondere Moderationsfähigkeit. Denn das Gesundheitswesen in Österreich ist im Wesentlichen Ländersache. Dann kam COVID. Ein ursprünglich Ausgleich suchender Moderator zwischen den in der Gesundheitspolitik besonders zahlreichen Interessensgruppen, musste über Nacht zum durchsetzungskräftigen Manager werden. Eine Rolle, die dem grundsätzlich sympathisch zurückhaltend wirkenden Minister Anschober nicht angeboren wurde.
Mit dem Satz „Das Virus nervt jeden“ hat Innenminister Nehammer vor einem halben Jahr den Gemütszustand der Bevölkerung am Punkt getroffen. Die Aussage hat seitdem an Bedeutung zugenommen. Ein Ende der Pandemie ist zwar sichtbar, aber nicht greifbar. Das schlägt sich auf das Gemüt der Menschen. Einige suchen den Schuldigen für die fortlaufenden Einschränkungen des Lebens. Vereinzelt, aber lautstark wird in Folge mit dem Finger auf Gesundheitsminister Anschober gezeigt. Ungerechterweise. Seine beruhigende Stimmlage hat zwar mit der Zeit ihre meditativ-entspannende Wirkung beim Zuhörer verloren, aber er hat die Pandemie weder ausgelöst, noch kann er sie wegzaubern.
Vor COVID war die primäre Herausforderung eines Gesundheitsministers wie ein zahnloser Schäferhund die Herde der Gesundheitsverantwortlichen in den Bundesländern zu umkreisen. Gesundheitspolitische Initiativen wurden moderierend in die Gruppe hineingestreichelt, in der Hoffnung, dass diese das Wohlwollen finden. Das System ließ auch kaum etwas anderes zu. Denn viele Facetten im Bereich der Gesundheit liegen im Kompetenzbereich der Bundesländer. Zudem funktioniert die Versorgung grundsätzlich auch sehr gut und laufende Systeme werden selten hinterfragt.
Dann kam Corona. Plötzlich musste der Moderator zum Manager werden. Entscheidungen treffen, Vorgaben machen und Gesetze schreiben, welche die persönliche Freiheit der Menschen stark einschränken können. Ein spürbar schwieriger Spagat für Minister Anschober. So ein plötzlicher und unvorbereiteter Spagat, kann – das wissen Mediziner – zu einem Dammbruch führen. Genau hier stehen wir jetzt. Ein guter Teil der Bevölkerung ist mürbe. Die oft prophezeiten „letzten harten Wochen“ glaubt niemand mehr, die öffentliche Kritik an den „nicht Fisch, nicht Fleisch“-Maßnahmen wird zunehmend heftiger. Der Gesundheitsminister hat bisher unglaublich hart gearbeitet, sein Bestes gegeben – dennoch wird es ihm am Ende niemand danken.
Spahn: „Abstieg eines Superstars“
Das ist aber kein österreichisches Phänomen. Politiker in nahezu allen Ländern erleben gerade eine coronabedingte Götterdämmerung. In Deutschland heißt Anschobers Amtskollege Jens Spahn (CDU). Tatkräftig und reformfreudig ging Spahn vor Corona ans Werk. Seine durchs deutsche Parlament geschleusten Pläne werden unseren nördlichen Nachbarn noch viele Milliarden Euro kosten. Denn in Deutschland spielen die Bundesländer in der Gesundheitspolitik eine noch aktivere Rolle als in Österreich. Das heißt: Will ein Bundespolitiker etwas ändern, dann wird es garantiert teuer. Spahn wurde eine große Zukunft prophezeit, doch auch er hat wegen der schleppenden Impfkampagne und anderer Kritikpunkte viel an Reputation verloren. Denn selbst innerhalb der eigenen Partei hat sich die Kritik an ihm vom CDU-Parteichef Laschet bis Bayerns Ministerpräsident Söder verfestigt. „Abstieg eines Superstars“ titelte kürzlich die deutsche Wirtschaftswoche einen Artikel über den ehemaligen Hoffnungsträger. Das deutsche Nachrichtenmagazin Focus schrieb vor ein paar Tagen „Laschet muss Spahn opfern, wenn er noch Bundeskanzler werden will“. Wenigstens da widersprach Söder. Im Vergleich zu Spahn geht es Anschober also heute politisch blendend.
Ein Blick in die Slowakei zeigt, dass es auch in anderen europäischen Ländern coronabedingt im politischen Gebälk knirscht. In Italien startet die Regierung nun abseits der EU-Strategie mit der Testung von Sputnik V, um etwas Druck aus dem politischen Dampfkessel zu nehmen.
Stille Helden
Ungeachtet der Politik haben wir in Österreich aber viele Gründe, um auf uns stolz zu sein. Stolz auf Direktoren und Lehrern, die mit großem persönlichem Einsatz alles geben, um Kindern das „Home-Schooling“ schmackhaft zu machen. Stolz, auf ÄrztInnen, Krankenschwestern und Pfleger, die in kontaminierten Ansteckungszonen tagtäglich viele Stunden lang ihr Bestes geben. Stolz auf PolizistInnen, die tagtäglich mit tausenden Menschen zu tun haben und dennoch ungeimpft für unsere Sicherheit sorgen. Stolz auf viele andere, die in aller Stille bereit sind mehr zu leisten, als sie müssten – nur damit das „Werkl“ Österreich weiterrennt. Aber auch stolz auf die Politiker, die jetzt Verantwortung übernehmen und alles geben, damit wieder Normalität einkehrt. Minister Anschober ist einer von ihnen.
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