Bernhard Krumpel: Politische Parallelgesellschaft
Das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen hat zweifelsohne gelitten. Aber mehr gelitten hat der Glaube an die Politik. Der Scherbenhaufen ist derart hoch, dass er kaum mehr überblickbar ist.
Es ist erschütternd. Gleichgültig, mit wem man spricht, an der Politik wird derzeit kein gutes Haar gelassen. Seit vielen Jahren spreche ich mit unterschiedlichsten Personen über gesellschaftspolitische Themen. In der eigenen Blase zu leben, ist zwar angenehm, aber aus evolutionärer Sicht verlorene Zeit. Immer nur die eigene Meinung bestärkt zu bekommen, ist intellektuell wenig reizvoll. Allerdings ist aktuell ein Diskurs außerhalb der politischen „Hardliner-Szene“ schwierig, denn es herrscht breitflächiges Desinteresse vor. Zusammengefasst geht die derzeitige Stimmung in die Richtung, dass „nur versucht wird, andere fertigzumachen, aber die wichtigen Themen in diesem Land, bleiben liegen.“ Aktuell hat es etwas mit Masochismus zu tun, politische Analysen durchzuführen. Die Gefahr, im Zuge dessen in einer Depression zu landen, ist groß wie nie.
Parteipolitik wird den Menschen zusehends egal
Vor einigen Jahren war es noch spannend. Mehrere Parteien waren gleichzeitig, innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraums, im Umbruch. Kurz ersetzte Mitterlehner, Kern stellte seinen Plan A vor, Beate Meinl-Reisinger folgte auf Matthias Strolz und auch bei den Grünen war viel in Bewegung. In den Parteien wurden die politischen Strategien zukunftsorientiert überdacht und teilweise neu geordnet.
Heute stehen wir an einer demokratiepolitischen Klippe. Den Menschen, die ihr Einkommen aus politikferner Arbeit beziehen, wird die Parteipolitik zunehmend egal. Ein minimaler Bruchteil der rund 8 Millionen Österreicher dokumentieren ihr Lagerdenken auf Twitter, einer Plattform, wo die ohnehin schon seltenen sachlichen Diskurse binnen Sekunden abgetötet werden. Das ist symptomatisch für die derzeitige Situation. Hass, Neid und Missgunst haben das Land fest im Griff und füttern die parteipolitische Appetitlosigkeit breiter Bevölkerungsteile. Kein Wunder: Wir hören jeden Tag, wer gegen wen oder was ist, aber nicht, wofür. Eine fatale Situation. Denn Politik sollte sich gerade jetzt Zukunftsfragen widmen. Genau dieser Blick in die Zukunft wird durch endlosen Streit und Hader überlagert, Grenzen des Anstands gibt es nicht mehr. Das ist sehr schade. Denn wir haben in allen Parteien großartige, engagierte und faszinierende Menschen. Politiker, die intellektuell fordern, die Ideen und Visionen für das Land haben. Aber auch diese leiden an der Stimmung in diesem Land, dringen mit ihren Themen medial nicht mehr durch. Die Folge ist Desinteresse und Diskursverweigerung seitens der Bevölkerung. So sind wir auf dem besten Weg in eine Parallelgesellschaft. Auf der einen Seite ein immer kleiner werdender Teil der politikinteressierten Bevölkerung, auf der anderen Seite die immer grösser werdende Fraktion, die sich für Parteien nicht mehr interessiert.
Diese aggressive Stimmung zwischen den Fraktionen nützt also niemanden. Für die meisten Wähler ist alles schon viel zu verwirrend geworden, denn diese verfolgen das politische Treiben nicht mit der Intensität einiger Interessierter. Und was macht das Gehirn in komplexen Situationen? Es schaltet ab. Im Übrigen auch eine Kommunikationsstrategie: Themen so verwirrend zu machen, dass sich Menschen nicht mehr dafür interessieren, weil der Aufwand, den Überblick zu bewahren, schlichtweg zu groß wird. Denn – man glaubt es kaum – die meisten haben mit ihrem Leben schon genug zu tun. Das hat Auswirkungen, die Politikverdrossenheit erreicht neue Höhen.
Das ist keine zu unterschätzende Situation. Gerade wenn abzusehen ist, dass der Post-Corona-Herbst für viele kleine und mittlere Unternehmen nicht so laufen wird, wie erhofft. Es sind genau diese vielen puzzleartigen Entwicklungen, welche die Lebenswelten der Menschen aufwirbeln, Unsicherheit sowie Existenzängste schüren und radikale „Reformer“ nach oben spülen. Diese werden gewählt, weil sie Neues versprechen. Sie schwimmen auf den Sehnsüchten der Menschen, schüren Hoffnungen und bieten im Endeffekt nichts Verwirklichbares an. Hoffen wir daher, dass die Wähler die Politik nicht aufgeben.
Die Österreicher interessieren sich für die Zukunft
Denn Österreich ist ein tolles Land. Es geht uns – auch im innereuropäischen Vergleich – sehr gut. Wir ÖsterreicherInnen sind gut ausgebildet und leistungsbereit. Wir haben ein über weite Strecken funktionierendes Sozialsystem, die Gesundheitsversorgung ist vorbildhaft und hat sich selbst in der Pandemie bewährt. Das ist die Gegenwart. Aber da ich Vater von zwei Kinder bin, interessiere ich mich insbesondere dafür, was morgen ist. Genauso wie Millionen andere Österreicher und Österreicherinnen. Es drängen sich elementare Fragen auf: Wie schaffen wir es, Wohlstand und Natur an unsere Kinder weiterzugeben? Wie können wir Österreich so weiterentwickeln, dass Wirtschaftsstandort und Sozialstaat weiterhin vereinbar bleiben? Hoffnung geben zahlreiche ÖsterreicherInnen, die bewiesen haben, dass es möglich ist, trotz widrigster Umstände erfolgreich zu sein. Sich nicht in schwierigen Situationen aufgegeben haben, sondern beispielhaft für viele andere ÖsterreicherInnen stehen. Ein wesentlicher Grund, warum es uns heute sehr gut geht. Es gibt diese Mutmacher – und was es damit auf sich hat, lesen Sie hier nächsten Sonntag.
Er zählt in Österreich zu den besten Kommunikationsexperten. Die Rede ist vom PR-Profi und Politik-Insider Bernhard Krumpel (49). Sein Motto: „Always stay focused“. Klaren Fokus benötigte er unter anderem bei seinen komplexen Jobs für Politiker, Ministerien und Konzerne. Neben seiner Beratungstätigkeit gibt der Wirtschaftssoziologe gerne sein Wissen an Studenten weiter. Er ist Verfasser von Fachartikeln, wie etwa zur Aktionärsrechte-Richtlinie und deren Auswirkung auf die Unternehmenskommunikation, sowie Mitherausgeber von drei Buchbänden mit dem Titel „Spezialgebiete der PR“.
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