Christian Ortner: Brieftasche festhalten, die EU hat einen Plan
In Brüssel wird wieder einmal darüber nachgedacht, wie den finanziell solideren Nordstaaten mehr Geld abgepresst werden kann, um damit Italien, Frankreich & Co vor der Pleite zu bewahren, befürchtet Exxpress-Kolumnist Christian Ortner – und wundert sich etwas, dass niemand dagegen auf die Barrikaden geht.
Es gehört zu den eher irritierenden Eigenheiten der hiesigen Innenpolitik, dass sie sich mit erstaunlicher Leidenschaft um Themen von höchst überschaubarer Relevanz kümmert, während sie gleichzeitig oft wirklich gewichtige Fragen weitgehend ignoriert, auch wenn diese massive Auswirkungen auf das ganze Land haben.
In den letzten Wochen des Jahres 2022 war das wieder einmal gut zu beobachten. Zentrale Themen des innenpolitischen Disputs waren da so menschheitsbewegende Themen wie »Grüß Gott« gegen »Guten Tag«, irgendwelche politischen Interventionen in ORF-Landesstudios und ähnlicher Kleinkram.
Man könnte glatt meinen, dies sei ein unfassbar glückliches Land, das absolut keine anderen Sorgen hat.
Brüssel will wieder mal Geld
Ist es nur leider nicht. Aber die wirklich gewichtigen Themen werden hierzulande, teils auch von den Medien, oft unter ferner liefen abgehandelt, vor allem dann, wenn sie vergleichsweise schwierig zu verstehen, zu kommunizieren und vor allem in politisches Handeln zu übersetzen sind.
Deshalb werden vermutlich nur eher wenige Wähler und Leser mitbekommen haben, was die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kurz vor Weihnachten in einer Rede vor dem EU-Parlament vorgeschlagen hat:
»Wir müssen unsere starke europäische industrielle Leistung im globalen Kampf gegen den Klimawandel mobilisieren. Und das erfordert eine gemeinsame europäische Industriepolitik mit einer gemeinsamen europäischen Finanzierung«, formulierte sie in der gewohnten Bürokratensprache und kündigte die Gründung eines »EU-Souveränitätsfonds« an, aus dem diese gemeinsame Industriepolitik gespeist werden soll.
Klingt irgendwie fad und ohne Bedeutung für die wirklichen Menschen in der wirklichen Welt außerhalb der Brüsseler Blase? – Ich fürchte, das zu glauben wäre ein ziemlicher Fehler. Denn was Frau von der Leyen da anvisiert, ist nicht zum ersten Mal eine Überwälzung der (viel zu hohen) Schulden von EU-Ländern wie Italien, Griechenland, Spanien und Frankreich zuerst auf die ganze EU und damit in einem zweiten Schritt auf Deutschland oder auch Österreich und ein paar andere Mitgliedsstaaten.
Es geht also dabei nicht um ein paar bürokratische Details, sondern um die Frage, wie viel wir an dann noch höheren Steuern in ein paar Jahren zahlen werden müssen. Oder welche Leistungen der Staat dann nicht mehr erbringen kann, weil er selbst auch pleite ist.
Legal, illegal, ganz egal
Weil aber eine derartige »Vergesellschaftung« der Schulden der kreditsüchtigen Südstaaten der Union nach europäischem Recht kategorisch untersagt ist, versuchen diese immer wieder, Methoden zur Umgehung dieses Verbots zu finden.
So nahmen die Mitgliedsstaaten jüngst erst Hunderte Milliarden Euro an gemeinsamen Schulden auf, angeblich, um die Folgen der Corona-Pandemie abzumildern; allein Italien lukriert da weit über 200 Milliarden Euro.
Das ist zwar an sich verboten, wurde aber mit der absoluten Einmaligkeit der Pandemie begründet und dem Versprechen versehen, dies sei »eine einmalige Ausnahme«.
Jetzt soll es mit dem geplanten »Souveränitätsfonds« die nächste sogenannte Ausnahme geben.
Wenn die Ausnahme zum Normalfall wird
Sollte das durchgehen, können wir sicher sein, dass solange Ausnahme an Ausnahme folgen wird, bis das Unzulässige ganz normal geworden ist. Und wir in Deutschland, Holland oder Österreich endgültig die Schuldenpolitik der Italiener oder Franzosen bezahlen dürfen.
Die Methode Juncker
Es ist eine Methode des Rechtsbruchs, die in der EU durchaus Tradition hat. Von der Leyens Vorgänger Jean Claude Juncker hat diese Vorgehensweise schon 1999 launig so beschrieben: »Wir beschließen etwas, stellen das in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.«
Genauso ist es, und deshalb ist es ein Fehler der österreichischen Politik – Regierung wie Opposition –, nicht zumindest einen gemeinsamen Aufstand gegen die zunehmende illegale Vergemeinschaftung der Schulden der EU-Staaten zu versuchen. Das wäre vielleicht doch etwas wichtiger, als über die Frage von »Grüß Gott« und »Guten Tag« albernen Kulturkrieg zu führen.
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