
Christian Ortner: Die Weisheit des schwarzen Kardinals
Ausgerechnet ein afrikanischer Kirchenfürst erklärte vor dem Konklave den Europäern, warum ihre Kultur den Bach hinuntergeht, wenn sie so weiter machen wie bisher. Eine fundamentale Kritik, die exxpress-Kolumnist Christian Ortner auf einer kurzen Reise nach Asien verstehen gelernt hat.
Will man seine Heimat etwas besser verstehen, kann eine Reise ans andere Ende der Welt manchmal durchaus hilfreich sein. So habe ich unlängst im Zuge einer Tour durch Südkorea rein zufällig ein junges koreanisches Paar kennengelernt, beide offensichtlich gut gebildet, halbwegs wohlhabend und mit großer Neugierde für die Welt ausgestattet. Ob sie denn schon einmal in Europa gewesen seien, fragte ich, was sie bedauernd verneinten. Aber doch, sie würden natürlich gerne einmal den Alten Kontinent besuchen. Zuerst wahrscheinlich Paris oder London, hakte ich nach.
Und darauf die mit etwas pikiertem Unterton vorgetragene Antwort: Nach Paris oder London eher nicht, die meisten ihrer Freunde seien nämlich schon dort gewesen und hätten berichtet, dass es schmutzig, verkommen, unzivilisiert und unsicher geworden sei, so wie irgendwo in der dritten Welt. Weswegen sie wohl eher nach Warschau, Prag oder Budapest reisen würden.
Natürlich ist das nicht repräsentativ und wenn man so will, rein anekdotisch. Und trotzdem sagte es über die Zustände im Westen Europas einiges aus, wenn das der Blick ist, mit dem die jungen asiatischen Eliten mittlerweile auf dieses (westliche) Europa schauen.
Wien, eine Stadt der dritten Welt
Was noch nachvollziehbarer wird, wenn man das öffentliche Leben in asiatischen Metropolen wie etwa dem koreanischen Seoul mit jenem zum Beispiel in Wien vergleicht: Zustände wie in der berüchtigten Wiener U6 sind dort unvorstellbar, alles ist sauber wie auf einer Intensivstation, niemand ist laut oder sonst unangenehm, und auch das Telefonieren in den Öffis ist schwerstens verpönt.
Kein Wunder, dass die Metropolen Westeuropas eher heruntergekommen wirken auf Reisende aus dermaßen zivilisierten Kulturen.
Dass Städte wie etwa Warschau, aber auch andere im Osten Europas heute wesentlich europäischer im klassischen Sinn erscheinen, weil dort etwa verschleierte Frauen im Straßenbild höchstens in Gestalt von Touristinnen aus den Golfstaaten auszumachen sind, und auch keinerlei jungen Männer aus Afghanistan, Syrien oder Somalia samt ihren kulturellen Besonderheiten das öffentliche Leben bereichern, hat natürlich ganz zentral mit der gescheiterten Migrationspolitik der letzten zehn Jahre zu tun.
Europas verlorene Wurzeln
Es war ausgerechnet ein schwarzer Kardinal aus dem afrikanischen Staat Guinea, der kurz vor dem Konklave in Rom ganz offen ausgesprochen hat, was in diesem Kontext das eigentliche Problem des westlichen Europas ist: „Meine größte Sorge ist, dass Europa das Gefühl für seine Ursprünge verloren hat. Es hat seine Wurzeln verloren …“, meinte der greise Kardinal Robert Sarah. „Ich fürchte, der Westen stirbt. Ihr werdet zunehmend von anderen Kulturen, anderen Menschen überflutet, die euch zahlenmäßig nach und nach dominieren und eure Überzeugungen, eure Kultur vollständig verändern werden.“
Dies so offen auszusprechen, gilt heutzutage selbst in der grundsätzlich ja eher konservativen katholischen Kirche als unschicklich, denn wie viele andere Institutionen hat auch sie sich in den letzten Jahren dem Zeitgeist hinterhertrabend den Werten der Wokeness unterworfen. Was aber nichts daran ändert, dass immer mehr einfache Menschen in den Metropolen Westeuropas sehr gut verstehen, was der Kardinal aus Afrika meint – weil sie selbst genauso fühlen.
Die gute Nachricht: Dagegen, dass „unsere Überzeugungen, unsere Kultur“ vollständig verändert werden, regt sich in Europa nicht nur der bekannte politische Widerstand, sondern zunehmend, wenn auch öffentlich noch etwas wenig beachtet, auch jener auf der kulturell-gesellschaftlichen Ebene. So hat sich beispielsweise rund um weltweit bekannte, konservativ-liberale Intellektuelle wie den britischen Historiker Niall Ferguson, den kanadischen Psychiater Jordan Peterson, den britischen Publizisten Douglas Murray oder den amerikanischen Publizisten Konstantin Kisin eine globale Plattform namens Alliance for Responsible Citizenship (ARC) gebildet, deren Ziel nicht weniger als die Restauration westlicher Werte in deren Ursprungsländern ist. Das Echo auf diese Initiative ist einigermaßen beeindruckend: Im Februar dieses Jahres trafen einander über fünftausend Menschen aus allen Kontinenten in London, um drei Tage darüber zu debattieren, wie dieses Unterfangen zu bewerkstelligen wäre.
Schluss mit dem Schuld-Kult
Dabei wurde eines klar: Wenn die traditionellen Werte des Westens wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Individualismus, Wissenschaftlichkeit, Marktwirtschaft und Eigentum eine Renaissance erleben sollen, gibt es eine ganz wesentliche Voraussetzung: Wir müssen endlich aufhören, uns kollektiv in einem Schlamm aus historischen Schuldgefühlen zu suhlen. Europa hat in seiner Geschichte Fehler gemacht und auch Verbrechen begangen, keine Frage – aber trotzdem hat es die großartigste Zivilisation hervorgebracht, die es je gegeben hat. Auch wenn es heute in unseren Metropolen nicht immer danach aussieht.
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