Christian Ortner: Erleben wir gerade den Zusammenbruch des Kapitalismus?
Zur freien Marktwirtschaft gehört auch, dass Unternehmen pleite gehen, die nicht fit genug fürs Überleben sind, hat eXXpress-Kolumnist Christian Ortner gelernt. Wenn der Staat aber alles rettet, was sich nicht rechtzeitig auf einen Baum flüchten kann, ist das mehr Sozialismus als Marktwirtschaft, und das geht schief.
Was wir in diesen Tagen erleben, so formuliert es der in der Finanzbranche ziemlich berühmte Gründer des mächtigen US-Investmentfonds Citadel, Ken Griffin, sei »ein Zusammenbruch des Kapitalismus vor unseren eigenen Augen«.
Was er damit meint: Die amerikanische Regierung hat nach dem Zusammenbruch der mittlerweile berühmt-berüchtigten Silicon Valley Bank nicht nur, wie gesetzlich vorgeschrieben, Einlagen bis zu 250.000 Dollar abgesichert, sondern schlicht und ergreifend alle Einlagen, selbst wenn es um hohe Millionenbeträge erfolgreicher Firmen geht.
Das freut zwar die betroffenen Anleger, verstößt aber grob gegen die Regeln einer freien Marktwirtschaft. Denn nach deren grausamen, aber höchst effizienten Gesetzen muss eben in Konkurs gehen, wer schlecht wirtschaftet, und im Falle einer Bank haben dann eben auch die Anleger das Nachsehen; abgesehen von den ganz kleinen eben.
Dass die US-Regierung nun offenbar alle Sparer rettet, führe zu immer riskanteren Gebarungen der Banken (»Moral Hazard«) insgesamt, fürchtet nicht nur Investmentbanker Griffin zu Recht.
Es ist paradox, aber leider logisch: Je mehr Regierungen Banken, die sich verspekuliert haben, retten, um so instabiler wird das ganze Finanzsystem.
Europa macht es noch schlechter
Wenn das die schlechte Nachricht war, dann kommt die ganz schlechte in diesen Tagen nicht aus den USA, sondern aus Europa, genauer gesagt: ausgerechnet aus der Schweiz. Denn dort hat die Regierung in einer – übrigens rechtlich sehr umstrittenen Nacht- und Nebelaktion – die erfolgreiche Großbank UBS gezwungen, ihren chronisch defizitären Konkurrenten Credit Suisse zu schlucken und damit vor einer drohenden Pleite zu retten.
Auch hier, auf der anderen Seite der Welt, war angesichts des unglaublich massiven Markteingriffs »der Zusammenbruch des Kapitalismus vor unseren eigenen Augen« zu beobachten. Denn mit Marktwirtschaft hat dieser vom Staat erzwungene Rettungsversuch genau Nüsse zu tun.
Das Ganze erinnert leider ein wenig an Österreich im Jahr 1929, als Louis Nathaniel Freiherr von Rothschild, Hauptaktionär der profitablen Creditanstalt, gezwungen wurde – angeblich gar per bei der Jagd auf ihn gerichteter Schrotflinte –, die insolvente Bodencreditanstalt zu übernehmen.
Was bedauerlicherweise dazu geführt hat, dass zwei Jahre später auch die bis dahin erfolgreiche Creditanstalt pleite war. Ein Schicksal, das der Schweiz 2023 hoffentlich erspart bleiben wird.
Monströse Staatsbank
Faktum ist, dass nun jedenfalls ausgerechnet in der Schweiz, die bisher mit Kapitalismus und Marktwirtschaft extrem erfolgreich war, eine riesige »Staatsbank« entsteht, wie die Neue Zürcher Zeitung es nannte. Denn der Staat ist ja nicht nur Geburtshelfer der neuen Mammutbank, er springt ihr auch mit sehr viel Geld und Garantien bei – und hat damit natürlich auch das Sagen. »Die massgeblich von den Bürokraten – nicht aber von den Banken – aufgegleiste Übernahme dürfte dazu führen, dass das neue Geldhaus als quasistaatliches Konstrukt wahrgenommen wird. Denn in einem privatwirtschaftlichen Rahmen und unter Beachtung aller üblichen Gesetze und Mitbestimmungsrechte wäre die Akquisition nie möglich gewesen. Die neue UBS entstand per Dekret.« (NZZ)
Die Zeitenwende
Wie in den USA und mitten in Europa jetzt Banken gerettet werden, indem »ein Zusammenbruch des Kapitalismus« hingenommen wird zugunsten planwirtschaftlicher Methoden, passt leider ins große Bild der gegenwärtigen Zeitenwende, bei der in der ganzen EU wieder dirigistische Maßnahmen die bewährte Marktwirtschaft ersetzen.
Interessanterweise, und das ist vielleicht das besonders Bedenkliche daran, ist es immer häufiger und immer mehr der Verweis auf einen tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Notstand, mit dem gröbste Verstöße gegen die Marktwirtschaft und manchmal auch schon die Rechtsstaatlichkeit verteidigt werden. Mal ist es die Corona-Pandemie, mal der Klimawandel, und mal eben die Gefahr eines Finanz-Crashs, mit dem Notstandsmaßnahmen begründet werden.
Daran sollten wir uns besser nicht gewöhnen. Wenn es nicht gelingt, die erprobten und verlässlichen Gesetze von Wettbewerb, Marktwirtschaft und Rechtsstaat auch dann zu verteidigen, wenn es kurzfristig weh tut, dann stehen wir vor Problemen, deren Größe wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.
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