
Christian Ortner: Hitler achtzig Jahre tot, aber politisch aktiv
Deutschland und Österreich bekommen nun eine „Koalition der Unbegeisterten“ und des weiter-wie-bisher. Das liegt nicht nur, aber auch daran, dass die Generation der Babyboomer sich noch immer stark von Schuldgefühlen für die Nazi-Verbrechen ihrer Vorfahren leiten lässt, meint exxpress-Kolumnist Christian Ortner und findet das ehrenwert, aber in den Konsequenzen halt etwas mühsam.
Es ist jetzt exakt fünfzehn Jahre her, dass der deutsche Publizist Thilo Sarrazin sein Buch Deutschland schafft sich ab veröffentlichte. Seine zentrale These damals, also noch Jahre vor dem Beginn der massenhaften unkontrollierten Zuwanderung des letzten Jahrzehnts: „Das westliche Abendland sieht sich durch die muslimische Immigration und den wachsenden Einfluss islamistischer Glaubensrichtungen mit autoritären, vormodernen, auch antidemokratischen Tendenzen konfrontiert, die nicht nur das eigene Selbstverständnis herausfordern, sondern auch eine direkte Bedrohung unseres Lebensstils darstellen.“
Und nicht nur unseres Lebensstils, sondern auch unseres Lebens, wie wir nach unzähligen Anschlägen und Blutbädern wissen, wie etwa zuletzt im beschaulichen Villach.
Gehasst, gejagt, verleumdet
Zwar verkaufte sich Sarrazins Buch eineinhalb Millionen Mal und wurde damit zu einem der erfolgreichsten Sachbücher des deutschen Sprachraums, doch der Autor selbst wurde Opfer einer bis dahin noch nie gesehenen Hasswelle. Er musste seinen Job als Bundesbank-Direktor aufgeben und wurde aus seiner Partei, der SPD, ausgeschlossen, nachdem deren damaliger Vorsitzender Siegmar Gabriel über das Buch und den Autor öffentlich erklärt hatte, es seien genau solche Thesen gewesen, die Deutschland einst „nach Auschwitz“ geführt hätten. Gabriel hat sich für diese unglaubliche Entgleisung übrigens bis heute nicht entschuldigt.
Heute weiß jeder, der sich nicht mit linken oder grünen Scheuklappen der Dimension XXXL vor dem Anblick der Wirklichkeit schützt, wie recht der nun 80-jährige Sarrazin hatte. Sein einziger Irrtum damals war, wie er heute freimütig einbekennt, die Situation eher noch zu optimistisch eingeschätzt und die Dynamik der Entwicklung unterschätzt zu haben.
Rechtsruck nach links?
Womit wir auch schon bei den aktuellen Regierungsbildungen in Deutschland und in Österreich sind, die ja beide unter dem Eindruck eines massiven politischen Rechtsrucks abgehandelt werden, welcher nicht zuletzt jenen Problemen geschuldet ist, die Sarrazin so präzise wie kein anderer vorhergesagt hatte. Zwischen der „Bedrohung unseres Lebensstils“ und den nun vom Wähler bestimmten politischen Mehrheiten besteht ein klarer Kausalzusammenhang.
Um so faszinierender – und gleichzeitig erschreckender – ist, dass vor allem bürgerliche Menschen, die in der Islamisierung ein mächtiges Problem sehen und gleichzeitig für solide Staatsfinanzen plädieren, derzeit vor einem gewaltigen Problem stehen: Egal, was sie wählen, sie bekommen am Ende eine Art Mitte-links-Regierung. Eine Regierung, die schon wegen ihrer Zusammensetzung aus CDU und SPD in Deutschland und aus ÖVP und SPÖ in Österreich gleichsam per definitionem nicht jene radikalen Maßnahmen umsetzen kann und will, die sowohl in der Migrationspolitik als auch in der Finanzpolitik dringend notwendig wären.
Ist es Deutschland die berüchtigte „Brandmauer“ gegen die AfD, die eine derartige „Koalition der Unbegeisterten“ (so das deutsche Onlinemedium The Pioneer) de facto erzwingt, so ist es in Österreich der gelegentlich irrlichternde Politikstil der FPÖ, der sie – vorerst – von der Regierung fernhält, verbunden mit den Ängsten mancher in der ÖVP, sich hier einen politisch nicht ganz stubenreinen Partner anzulachen.
Hitler ist tot, aber er lebt
Das Ergebnis ist in beiden Fällen gleich: Eine Regierung, von der absehbar ist, dass sie nicht einmal annähernd geeignet sein wird, die gewaltigen Probleme mit der angemessenen Radikalität und dem notwendigen Tempo zu lösen.
Es ist skurril, aber achtzig Jahre nach seinem Ableben im Berliner Führerbunker ist Adolf Hitler nach wie vor so eine Art untoter Akteur, der aus dem Jenseits heraus noch immer das politische Geschehen in Deutschland beeinflusst, denn ohne ihn gäbe es ja weder eine Brandmauer noch braune Ränder der FPÖ. Oder, wie es die konservative Publizistin Ayan Hirsi Ali jüngst diagnostizierte: „Ein fehlgeleitetes kollektives Schuldgefühl für die Nazi-Gräueltaten, an denen sie zu Lebzeiten nicht beteiligt waren, hindert die deutschen Babyboomer daran, die gescheiterten Politiken des pathologischen Antirassismus und der Massenmigration zu beenden.“
Es ist übrigens nicht zum ersten Mal, dass die Geschichte so in die Gegenwart wirkt. Man kann ja durchaus auch die Grenzöffnung des Jahres 2015 für Millionen irreguläre Migranten als unterbewussten Versuch deuten, mittels dieses Mega-Gutmenschentums den Holocaust irgendwie auszugleichen; und auch der hysterische „Kampf gegen rechts“ der jüngeren Vergangenheit lässt sich so interpretieren.
Die Partei, die fehlt
Welche fatalen Wirkungen dieser Fluch hat, der über der Politik in Deutschland wie in Österreich liegt und der nicht schwinden will, war gleich unmittelbar nach der Bundestagswahl zu beobachten. Hatte CDU-Chef Friedrich Merz noch vor dem Urnengang getönt, „es wird ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen. Das gilt ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch“, erklärte er gleich nach der Wahl: „Niemand von uns will die Grenzen schließen.“
Hier wird offenbar, was in beiden Ländern das vielleicht größte strukturelle Problem der Politik ist: das Fehlen einer klassischen konservativ-bürgerlichen Partei mit allen dazugehörigen Attributen. Sowohl CDU als auch ÖVP sind das schon lange nicht mehr, stattdessen haben sie sich opportunistisch einem Zeitgeist unterworfen, der ihren Wurzeln und Werten diametral entgegenstand.
Werte, Werte, Werte
Ich bin angesichts der jüngsten Wahlergebnisse ziemlich sicher, dass eine derartig runderneuerte bürgerliche Partei, die zu ihren traditionellen, bürgerlichen und auch konservativen Werten steht, ein politisch so erfolgreiches Projekt sein könnte, dass es vielleicht irgendwann sogar einmal die Politik dominieren könnte. – Mit dem angenehmen Nebeneffekt übrigens, dass in diesem Fall auch keine Brandmauern mehr gebraucht würden, um AfD oder FPÖ einzudämmen.
Dass eine erfolgreiche und damit mehrheitsfähige konservativ-bürgerliche Politik die beste Garantie gegen jeden Rechtsextremismus ist, trommelte schon vor einem halben Jahrhundert der legendäre bayerische CSU-Politiker Franz Josef Strauß. Moderne konservative Politik könnte sich ja wieder einmal daran erinnern.
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