
Christian Ortner: Kickl, Trump und der große Stimmungswandel
Wenn heute in Washington der 47. Präsident der USA angelobt wird, ist das die Folge jenes tektonischen politischen Bebens, das in Wien gerade dem FPÖ-Chef die Tür zum Kanzleramt öffnet, meint Exxpress-Kolumnist Christian Ortner.
Es war ein scheinbar unbedeutender Nebensatz in der kurzen Erklärung zum Thema Budgetsanierung, die FPÖ-Chef Herbert Kickl am vergangenen Montag abgab und eigentlich nichts mit dem Thema zu tun haben schien, denn Kickl kündigte „ein Zurück zur Normalität in allen Lebensbereichen” an.
Eine verschlüsselte Botschaft
Nun kann man über Herrn Kickl aus gutem Grund dieser oder jener Meinung sein, aber dass er über ein hohes Maß an Intelligenz verfügt, bestreiten nicht einmal seine schärfsten Kritiker.
Ich glaube deshalb nicht, dass er dies einfach so dahingesagt hat, sondern, dass er damit unterschwellig eine ganz besondere Botschaft kommunizieren wollte.
Mehr noch: Kickl zeigt damit, dass er, anders als der unglückliche Karl Nehammer, sehr präzise eine Änderung der grundlegenden politischen Befindlichkeiten, Stimmungen und Sehnsüchte der großen Mehrheit der Menschen erfasst hat, also des »Zeitgeistes«, wenn man so will.
Es ist natürlich ein Zufall, aber ein in mehrerer Hinsicht aussagekräftiger, dass die Grundzüge einer möglichen Regierung von FPÖ und ÖVP rund um den heutigen Tag der Angelobung von Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten Gestalt angenommen haben.
Gründen statt Gendern
Denn sowohl Trump als auch Kickl symbolisieren ein nahezu weltweites Phänomen, das der renommierte Historiker Niall Ferguson jüngst in einem Essay als „Vibe Shift” definiert hat. Diese Bezeichnung ist im Deutschen nicht ganz einfach zu übersetzen, am besten trifft es wohl „atmosphärischer Umbruch”, „Stimmungswandel” oder „eine tektonische Verschiebung des politischen Klimas”.
Das Bedürfnis nach einer Rückkehr zu einer Art von jener „Normalität” – was auch immer das im Detail sein mag –, wie Kickl sie adressiert hat, ist zweifellos ein ganz zentraler Teil jenes Stimmungswandels, der im Moment zahllose Nationen und Gesellschaften erfasst und weiter erfassen wird.
Der Historiker Ferguson tastet sich an diese „neue Normalität” demgemäß heran: „Wenn es beim kulturellen Stimmungswandel um den Kontrast zwischen ‘Gründer-Mentalität’ und ‘Diversitäts-, Gleichheits- und Inklusions-Regeln’ geht, dann dreht sich der globale politische Stimmungswandel um den Gegensatz zwischen ‘Frieden durch Stärke’ und ‘Chaos durch Deeskalation’. Es ist die Rückkehr der starken Hand und nicht mehr die zerfallende liberale Weltordnung.”
Die Rückkehr der Wirklichkeit
Zu einem ganz ähnlichen Befund kommt auch der konservative amerikanische Investor und Publizist Santiago Pliego, der ebenfalls einen „Vibe Shift” ortet und diesen so beschreibt:
„Im Grunde ist der Vibe Shift eine Rückkehr zur Realität, eine Ablehnung des Bürokratischen, des Feigen, des von Schuldgefühlen Getriebenen; eine Rückkehr zu Größe, Mut und freudiger Ambition. Der Vibe Shift bedeutet, das Falsche und Therapeutische zurückzuweisen und das Authentische und Konkrete zurückzugewinnen. Der Vibe Shift ist eine gesunde Skepsis gegenüber Überregulierung und eine Rückkehr zum menschlichen Urteilsvermögen. Der Vibe Shift bedeutet, nicht in Lügen zu leben, sondern stattdessen die Wahrheit auszusprechen – koste es, was es wolle. Der Vibe Shift bedeutet, sich unseren turbulenten Zeiten direkt zu stellen, sich der Schwarzmalerei zu verweigern und stattdessen aufzubauen.”
Da ist natürlich eine ordentliche Portion des für den amerikanischen Diskurs nicht ungewöhnlichen Pathos dabei, aber im Kern gibt es diesen Vibe Shift bei uns genauso.
Zwei Geschlechter reichen völlig
Es ist, stark vereinfacht gesagt, das Bedürfnis nach einer neuen, alten Normalität, in der es im Wesentlichen zwei Geschlechter gibt, aber dafür keinen Genderstern; Einfamilienhäuser und Urlaubsflüge erstrebenswert anstatt schambehaftet sind; dem notwendigen Umweltschutz nicht alles andere geopfert werden muss, schon gar nicht unser redlich erarbeiteter Wohlstand; in der illegale Migration unsere Lebensart und unseren Lebensstil nicht bis zur Unkenntlichkeit verändern, also vor allem verschlechtern – und in der ganz allgemein eine gesellschaftliche, soziale und finanzielle Stabilität herrscht, wie sie für Westeuropa über viele Jahrzehnte selbstverständlich war.
Erfolgreiche Politiker wie Donald Trump oder Herbert Kickl haben das verstanden und bauen auf dieser Erkenntnis ihre Politik auf.
Vollstrecker, nicht Gestalter
Es ist deshalb vermutlich ein großes intellektuelles Missverständnis, diesen und all den anderen sogenannten „populistischen” Politikern den Vorwurf zu machen, eine Politik zu betreiben, die mehr auf Disruption setzt als auf kuscheligen Konsens, die scheinbar „wohlerworbene Rechte” mit der Abrissbirne bedrohen und deshalb von den etablierten Eliten wenig geliebt wird. Vielmehr setzen derartige Politiker um, was der Zeitgeist erzwingt – und sind dadurch viel mehr Vollstrecker als Gestalter.
Man kann das bedauern oder begrüßen, nur eines kann man sicherlich nicht, nämlich so tun, als gäbe es diesen gewaltigen Vibe Shift nicht. Oder, wie es die libertäre Schriftstellerin und Denkerin Ayn Rand formuliert hat: „Man kann die Realität vermeiden, aber man kann die Konsequenzen des Vermeidens der Realität nicht vermeiden.”
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