Christian Ortner: Pensionsraub durch Versteinerung
Wenn Selbstständige ihren wohlverdienten Ruhestand antreten, klaut ihnen der Staat einen Teil des ihnen zustehenden Geldes, beobachtet Exxpress-Kolumnist Christian Ortner – und findet das alles andere als in Ordnung.
) Wenn ein Unternehmen regelmäßig Geld von seinen Kunden entgegennimmt, ohne dafür eine Leistung zu erbringen, werden dies humorlose Staatsanwälte »gewerblichen Betrug« nennen und die Verantwortlichen, geht alles mit rechten Dingen zu, in den Knast wandern.
Wenn sich freilich der Staat so verhält, hat der geschädigte Bürger in aller Regel das Nachsehen. Denn der Staat kann Gesetze erlassen, die im Ergebnis für die Betroffenen dieselben unerquicklichen Auswirkungen haben wie ein betrügerisches Unternehmen, ohne dass sie sich dagegen wehren können; von Knast ganz zu schweigen.
Jedes Monat zählt
Diese eher unerfreuliche Erfahrung müssen heuer zum Beispiel jene tausenden Selbstständigen machen, die mit 65 Jahren ihren wohlverdienten Ruhestand antreten, oft nach vierzig+ Jahren oder mehr an anstrengender Arbeit als Handwerker oder Dienstleister.
Ihnen allen stiehlt der Staat Jahr für Jahr einen Teil ihrer mühsam erworbenen Ansprüche – oft, ohne dass die Bestohlenen das überhaupt merken.
Ein aufmerksamer Leser hat mich darauf hingewiesen, wie das funktioniert. Der Mann, Anfang 65, ruft bei seiner zuständigen Sozialversicherungsanstalt an, um zu erkunden, was er zu tun habe, um seine Ruhebezüge ausbezahlt zu bekommen.
Völlig korrekt wird ihm beschieden, er habe ein etwas umfangreiches Formular einzureichen, und das ist es auch schon.
Nun ist, wie allgemein bekannt, die Höhe der Pension im Wesentlichen abhängig von der Höhe der Monat für Monat einbezahlten Versicherungsbeträge einerseits und der insgesamt mit Erwerbsarbeit verbrachten Anzahl von Monaten über das ganze bisherige Leben andererseits. Je mehr Monate, umso mehr Rente, jedes Monat zählt also.
Nachgewiesen wird beides von Selbstständigen mit dem jährlichen Steuerbescheid des Finanzamts, welcher der Pensionsversicherung als Grundlage zur Berechnung der Höhe der Rente dient.
Kein Bescheid, kein Geld
Dieses bedenkend, stutzte der Leser kurz. Denn einen Einkommensteuerbescheid bekommt der Selbstständige ja naturgemäß erst nachdem er seine Steuererklärung abgegeben hat – jeweils für das Vorjahr, anders geht das ja nicht – und diese vom Finanzamt bearbeitet worden ist.
Wer etwa jetzt, viel früher ist es nicht möglich, seine Steuererklärung für 2022 macht, wird frühestens im Juni, manchmal auch später, seinen Bescheid haben.
Und hier beginnt die Sache schlecht zu riechen. Denn die Sozialversicherung berechnet die Pensionshöhe ausschließlich anhand der vorliegenden Steuerbescheide.
Unser Leser, der im November dieses Jahres 65 Jahre alt wird, hat also zu diesem Zeitpunkt noch keinen Bescheid für die ersten elf Monate dieses Jahres, in denen er natürlich brav weiter Beiträge zahlen musste.
Und ohne Bescheid werden die in dieser Zeit tatsächlich einbezahlten Beträge nicht berücksichtigt
Vorsicht, Versteinerung
Die naive Annahme, das werde dann eben bei Vorliegen des Steuerbescheides für 2023 nachgeholt und die Pension entsprechend erhöht, ist leider nicht fundiert. Jener Pensionsbetrag, der die letzten eingezahlten Beiträge nicht berücksichtigt, wird »versteinert«, wie das die Sozialversicherung so charmant nennt. Man könnte auch sagen: Die Betrogenen mögen sich brausen gehen.
Der Staat als Strauchdieb
Nun kann man einwenden, dass es dabei um Beträge geht, die nicht so dramatisch sind, maximal knapp hundert Euro pro Monat. Aber: »Nicht so dramatisch« multipliziert mit den Jahren des Pensionsbezugs bis zum Ableben summiert sich auch ganz schön; bei statistisch wahrscheinlichen fünfzehn Jahren in der Pension kommen da schon 15.000 Euro und mehr zusammen. Und zweitens wird ein nichtstaatlicher Betrüger vor Gericht mit dem Hinweis, seine Beute sei ja nicht so dramatisch, auch nicht sonderlich beeindrucken.
Dass jemand, der sein ganzes Leben lang gearbeitet und dabei in vielen Fällen fünfzig Prozent und mehr, rechnet man alle Steuern und Abgaben zusammen, brav an den Staat abgedrückt hat, von diesem zum Dank dafür am Ende auch noch dermaßen dreist über den Tisch gezogen wird, ist ethisch nicht viel anders zu bewerten wie das Treiben von Enkel-Trickbetrügern, Dämmerungseinbrechern oder anderen Strauchdieben.
Der legendäre schweizerische Bankier Konrad Hummler hat einmal festgestellt, Steuerhinterziehung sei »die Notwehr der freien Bürger«. Angesichts eines Staates, der seine Bürger dermaßen dreist um die Früchte ihres Arbeitslebens bringt, ist man fast geneigt, dieses Argument nachvollziehen zu können.
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