Christian Ortner: Wenn die Republik zum Raubtier wird
Wenn sich überschuldete Staaten nicht mehr anders helfen können, plündern sie einfach die Sparkonten ihrer Bürger. Wer glaubt, in Österreich könne das ganz sicher nie passieren, ist entweder etwas naiv oder unverbesserlicher Optimist, befürchtet exxpress-Kolumnist Christian Ortner.
Gold ist in den letzten Tagen so teuer geworden wie überhaupt noch nie: über 4000 Dollar müssten vor dem Wochenende für eine einzige Unze (etwa 28 Gramm) des edlen Metalls bezahlt werden. Das hat viele verschieden Ursachen, doch eine wesentliche ist das zunehmende Misstrauen der Sparer und Anleger gegenüber den gewaltigen Schuldentürmen, die von den Regierungen weltweit aufgehäuft werden, von den USA über Frankreich und Italien bis hin zu Deutschland oder Österreich.
Doch der Umstand, dass Österreichs Staatschulden vor allem in den vergangenen Jahren vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind, lässt die Masse der Österreicher und Österreicherinnen trotzdem erstaunlich kalt. Das Thema wird von Zeitungskommentatoren, einzelnen Politikern und einigen Ökonomen beklagt – der durchschnittliche Wähler hat, jedenfalls allen mir bekannten Umfragen zufolge, im wahrsten Sinne des Wortes andere Sorge. Zu hohe Preise im Supermarkt, zu hohe Mieten, die Angst um den eigenen Job, die unguten Auswirkungen der Zuwanderung aus der muslimischen Welt – das treibt die Leute um. Die Staatsverschuldung in Relation zur Wirtschaftsleistung hingegen kaum.
Schulden, na und?
Schon der legendäre Langzeitkanzler Bruno Kreisky (SPÖ) brachte diese ortstypisch nonchalante Attitüde gegenüber Staatschulden mit seinem berühmt gewordenen Sager „Mir machen ein paar hundert Millionen mehr Schulden weniger Sorgen als ein paar hundert Arbeitslose“ auf den Punkt. (Am Ende hatte er übrigens beides, mehr Schulden und mehr Arbeitslose, aber das ist eine andere Geschichte).
An dieser weit verbreiteten ökonomischen Ignoranz hat sich bis heute leider nicht viel geändert. Die Verbindlichkeiten des Staates werden nicht als die eigenen empfunden, was leider ein großer Irrtum ist. Denn die aktuell knapp 60.000 Euro Staatschulden pro Person sind die Verbindlichkeiten jedes einzelnen Österreichers; Säuglinge und Greise inbegriffen. Eine vierköpfige Familie kommt so auf knapp eine Viertelmillion Euro Schulden, die unsichtbar über ihren Köpfen schwebt. Natürlich zusätzlich zu allenfalls vorhandenen Konsum- oder Immobilienkrediten.
Sorglos in die Pleite
Na und, werden Sie jetzt vielleicht einwenden, deswegen wird ja trotzdem nicht morgen früh der Gerichtsvollzieher bei mir klingeln und 60.000 Euro von mir haben wollen?
Stimmt. Aber vor allem deswegen, weil der nahezu bankrotte Staat viel einfachere Methoden hat, um an das Geld der Bürger zu kommen, wenn es gar nicht anders geht: Er nimmt es sich einfach. Doch davon etwas später.
Nun steht Österreich gewiss nicht unmittelbar vor so einer dramatischen Situation. Aber trotzdem wird das Eis immer dünner, auf dem die globale Schulden-Party tanzt. In den USA hat etwa jüngst der dort berühmte und legendäre Hedgefonds-Manager Ray Dalio öffentlich davor gewarnt, die US-Wirtschaft würde in den nächsten zwei, drei Jahren einen „schuldenbedingten Herzinfarkt“ erleiden, der dazu führen wird, dass „die Währungsordnung, wie wir sie kennen, zusammenbricht”. Und der Harvard-Ökonom Kenneth Rogoff prophezeite jüngst sogar eine „große amerikanische Schuldenkrise in spätestens vier bis fünf Jahren“.
Ähnliches Ungemach geht auch von Frankreich aus, das dermaßen überschuldet ist, dass dem Land ein zweites Griechenland-Schicksal droht. Mit dem kleinen Unterschied freilich, dass Frankreichs Schulden viel zu groß sind, um von Deutschland geschultert werden zu können. Das übrigens, angesichts der neuen Schulden für Bundeswehr und Infrastruktur, auch nicht mehr als Retter in der Schulden-Not taugt wie früher.
Man muss daher kein hauptamtlicher Schwarzseher und Untergangsprophet sein, um zu befürchten, dass auch in Europa früher oder später eine neue Finanzkrise losbricht, die Staaten in kritische Lagen bringen wird – und, wie schon 2008, plötzlich sehr, sehr viel Geld notwendig sein wird, um Staatspleiten abzuwenden.
Viele Wege zum Geld der Bürger
Wie man das macht als Staat, lehrt uns die Geschichte bestens. In Zypern wurden beispielsweise 2013 alle Bankeinlagen über 100.000 Euro im Wege eines „Haircut“ teilweise enteignet, und zwar einfach über Nacht. Einen anderen Weg ging Italien 1992, dort stahl der Staat ohne Vorankündigung 0,6 Prozent von allen Spareinlagen, natürlich entschädigungslos. Andere Länder zwangen ihre Bürger, Goldbestände zu einem unrealistisch niedrigen Kurs gegen weitgehend wertloses Papiergeld umzutauschen oder eher dubiose Staatsanleihen anzukaufen. Beliebt waren auch immer Zwangshypotheken und Sondersteuern auf Immobilien, da Immobilien nun einmal nicht sehr mobil sind. Der staatlichen Enteignungskreativität sind keine Grenzen gesteckt: Ungarn etwa transferierte 2010 zwangsweise solide private Pensionskassen ins weniger solide staatliche Rentensystem, um die Schuldenlast zu mildern.
Bei uns doch nicht?
Zu glauben, irgendetwas in der Art sei in Österreich völlig undenkbar, wäre leider ein bisschen naiv – das haben nämlich die Menschen überall dort, wo ihnen der Staat plötzlich über Nacht ihren Besitz klaute, auch gedacht.
Sogar in den USA, die jahrzehntelang als bester und verlässlichster Schuldner der Welt galten, wird neuerdings offen darüber diskutiert, US-Staatsanleihen zwangsweise in solche mit hundert Jahren Laufzeit und keinen Zinsen umzutauschen, um Washingtons Schuldenproblem zu entsorgen. Wir sehen: Alles ist möglich, sicher ist buchstäblich nichts.
Der geschundene Mittelstand
Am meisten bluten würde dabei, wie fast immer in der Geschichte, der soziale Mittelstand. Denn den Armen kann der Staat umständehalber nichts wegnehmen, und die Superreichen wissen sich meist zu helfen. Oder, wie es Lenin seinerzeit so klar formuliert hat: „Der Weg, die Bourgeoisie zu zerschlagen, besteht darin, sie zwischen den Mühlsteinen der Besteuerung und der Inflation zu zermahlen.“
Betrachtet er aus dem sozialistischen Jenseits, wie der Mittelstand schon heute malträtiert wird und er aller Wahrscheinlichkeit auch für die nächste Finanzkrise wird bluten müssen, wird Lenin nicht unzufrieden sein.
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