Daniela Holzinger: Es läuft nach Plan - wie Putin sein Land blamiert
Lange hielt man ihn für den starken Mann im Osten. Ein lebendig gewordenes Reiterstandbild, das seine Nation barbusig zu alter Größe und den dekadenten Westen gnadenlos vorführt. War das alles nur Lug und Trug? fragt eXXpress Kolumnistin Daniela Holzinger.
Ist die Rede von einem „Potemkin’schen Dorf“ meint man eine schöne Fassade mit Nichts dahinter. Ein Schein, der trügt und genau zu diesem Zwecke erschaffen wurde. Eine Lüge oder zeitgenössisch: „Fake News“. Historisch soll das Ganze auf den russischen Fürsten Potjomkin zurückgehen.
In seiner Funktion als Gouverneur Neurusslands, habe er ganze Dörfer aus bemalten Kulissen errichten lassen, um – eh klar – einer Frau zu imponieren.
Bei der Durchreise seiner Angebeteten, die niemand geringerer als Kaiserin Katharina II. war, sollte das ärmliche Land einen guten Eindruck machen. So die Erzählung.
Manche Historiker vermuten den Ursprung der „Potemkin’schen Dörfer“ jedoch vielmehr in einer höfischen Intrige, als im Süden des damaligen russischen Kaiserreiches.
Potjomkin hatte nämlich nicht nur den direkten Draht zur Kaiserin, sondern dem geschuldet auch kreative Neider.
Putins Krieg läuft nach Plan. Immer!
Unabhängig davon scheint sich in Russland aber bis heute ein gewisser Hang zur selektiven Wahrnehmung und Interpretation dessen, was wir gemeinhin als „Realität“ bezeichnen, erhalten zu haben. Für Putins Aufstieg vom regionalen KGB-Offizier zum annähernd unumschränkten Machthaber dürften alternative Fakten sogar so etwas wie Konstruktionsprinzip gewesen sein.
Zur Erschaffung eines Lügengebäudes, dessen Zusammenbruch wir seit dem Morgen des 24. Februar beobachten können. Dem Tag als sowjetische – pardon – putinistische Truppen die Grenze zum Nachbarland überschritten. Statt Nazis und unterdrückte, ihrer Befreiung entgegenfiebernde Russen, stieß man auf selbstbewusste, pro-europäische, freiheitsliebende Ukrainer und sehr bald an die eigenen Grenzen.
Der Sturm auf Kiew blieb nach wenigen Tagen stecken. Statt modernster Militärtechnik, staute sich alter Sowjet-Müll auf ukrainischen Straßen. Ein leichtes Spiel für die nun zunehmend organisierten Verteidiger. Was folgte war jedoch kein Rückzug, sondern eine erste von vielen „taktischen Umgruppierungen“ und Kriegsverbrechen – Rache will ja geübt sein.
Längst ist die, für nur wenige Tage anberaumte „Spezialoperation“ zum totalen Krieg mutiert. Russlands glorreiche Armee lässt vor der Welt ihre Hosen runter und hat nicht viel mehr als den alten Holzhammer auszupacken. Vorgebliche Präzisionsraketen treffen Wohnhäuser, Theater, Kultureinrichtungen, Schulen, Kindergärten, zivile Konvois und flüchtende Menschen.
Statt des angeblich überlegenen Wunderpanzers T14 schickt Putin seine Soldaten in fahrenden Särgen Baujahr 1962 ins Gefecht und tausendfach in den Tod. Doch glaubt man der russischen Führung, läuft alles „nach Plan“. Immer.
Was rauchen die Russen?
Auch die Versenkung des Schwarzmeer-Flaggschiffs „Moskwa“ ändert daran wenig. Hatte ihr Untergang doch nichts mit angeblich ukrainischen Anti-Schiffsraketen zu tun, sondern war lediglich das Resultat eines unachtsam weggeworfenen Zigarettenstummels – wie man rasch wusste.
Es dürften übrigens die gleichen „Zigaretten“ gewesen sein, die wenig später auch einen Luftwaffenstützpunkt auf der besetzten Krim ausradierten.
Smoking Kills. Eh klar, aber ich frage mich schon, was bitte rauchen die? Zumindest an Glimmstängeln dürfte es den Russen also nicht mangeln. Dafür an allem anderen.
Kleidung, Schuhe, Verpflegung, die große Armee scheint aus dem letzten Loch zu pfeifen. Neben ukrainischen Kämpfern, die aussehen, als wären sie gerade einem Actionfilm entsprungen, wirken die Invasoren wie Sandler. Denen – Achtung Treppenwitz – jetzt sogar die Winteruniformen fehlen könnten. Geht’s nach dem Duma-Abgeordneten und Ex-Militär Andrej Guruljow, sind rund 1,5 Millionen Kälte-Uniformen plötzlich „spurlos“ verschwunden.
Aber keine Panik, im Moskauer Verteidigungsministerium bleibt man dabei: Es läuft. Und zwar genau nach Plan. Immer. Ob die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive, 60.000 russische Gefallene, weitgehende internationale Isolation und ein massives Erstarken von NATO und EU jemals wirklich zum Plan gehörten, darf jedoch bezweifelt werden.
Überlegenheit westlicher Demokratie
Die Wahrheit ist: Nach mehr als einem halben Jahr Krieg und 100.000 Toten steht Putin- Russland mit dem Rücken zur Wand. Seine Armee hat sich vor der Welt blamiert und ihren Schrecken genauso wie den Krieg verloren.
Wie in vielen diktatorischen Systemen hat auch der Kreml zu lange seinen eigenen Lügen geglaubt und jene verfolgt, die es wagten unangenehme Wahrheiten auszusprechen. Beispiel: Winteruniformen. Anstatt zu fragen, wie diese „verschwinden“ konnten, sollte man sich ernsthaft mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass sie niemals existierten. So wie die angebliche Vernichtung der ukrainischen Luftwaffe in den ersten Invasionsstunden. So wie angebliche Präzisions- und Wunderwaffen im eigenen Arsenal oder auch die NATO-Nazis jenseits der ukrainischen Grenze nie existiert haben.
Die Überlegenheit westlicher Demokratien ist daher letztlich nicht in irgendeinem Panzer, einer Rakete oder einem Flugzeug zu suchen, sondern in der Fähigkeit offene Debatten zu führen, sich permanent selbst zu hinterfragen und daraus zu lernen.
Auch wenn es uns manchmal als schwach, manchmal als dekadent und manchmal als unfähig erscheinen lässt. Wir werden jeden Tag besser. Immer. Das nämlich ist der Plan.
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