Grundrechte sind kein Spielball der Politik!
Ein besorgniserregendes Signal für den Rechtsstaat: Eine friedliche Gebetsversammlung in Wien wurde von der Polizei zunächst untersagt – während Abtreibungsbefürworter ungehindert demonstrieren durften. Zugleich setzen sich die Grünen für sogenannte „Schutzzonen” ein. Doch Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit dürfen nicht wegen politischem Druck geopfert werden.
Die internationale Organisation „40 Tage für das Leben" organisiert Gebetsversammlungen vor Abtreibungskliniken. Die Beter wünschen sich, dass Frauen „Ja" zu ihrem Kind sagen können. Felix Böllmann (rechts) ist der Leiter der europäischen Rechtsabteilung bei ADF International.Screenshot Instagram 40tagefuerdasleben.de / ADF International / exxpress Collage
Von Dr. Felix Böllmann
Die Nachricht ist alarmierend: Eine friedliche Gebetsversammlung in Wien im Rahmen der internationalen Initiative 40 Tage für das Leben wurde von der Polizei kurzfristig zurückgewiesen – mit der Begründung, es handle sich nicht um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts. Gleichzeitig durften Abtreibungsbefürworter am selben Ort ein schwarzes Zelt aufschlagen. Im zweiten Anlauf wurde die Gebetsversammlung doch genehmigt. Die erstmalige Absage wirft jedoch Fragen auf: Warum werden friedliche Beter zurückgewiesen, während eine Gegenaktion ohne erkennbare Auflagen stattfinden darf? Und wie ernst nehmen die Behörden Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Österreich noch?
Besorgniserregend ist ebenfalls, dass ein neuer Antrag der Grünen vom 24. September 2025 explizit die Initiative 40 Tage für das Leben als Anlass für die Einführung sogenannter „Schutzzonen“ nennt – ein Vorgang, der den Eindruck erweckt, dass staatliche Maßnahmen gezielt gegen eine bestimmte friedliche Gruppe gerichtet werden sollen.
Es geht um den Schutz von Grundrechten
Es geht hier nicht in erster Linie um die Frage der Abtreibung. Es geht um die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Diese Rechte gehören zum unverzichtbaren Fundament unserer Demokratie. Sie schützen gerade auch friedliche Minderheiten und Meinungen, die nicht dem Mainstream entsprechen.
Die Europäische Menschenrechtskonvention, die EU-Grundrechtecharta und die österreichische Bundesverfassung garantieren allen Menschen das Recht, ihre Meinung frei zu äußern und sich friedlich zu versammeln. Staatliche Behörden haben nicht nur die Pflicht, diese Rechte zu dulden, sondern sie aktiv zu schützen. Wenn friedliche Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung, gleich, ob dabei auch gebetet wird, plötzlich nicht mehr als Versammlung gelten sollen, ist das ein gefährlicher Präzedenzfall. Besonders brisant: In den Vorjahren hatte 40 Tage für das Leben auf Basis einer gleichlautenden Anwendung beanstandungsfrei stattgefunden. Was hat sich seitdem geändert? Etwa die Grenzen des Sagbaren aus Sicht der Behörde?
Regensburg als positives Gegenbeispiel
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Deutschland: Der Bayrische Verwaltungsgerichtshof hat kürzlich entschieden, dass monatliche Gebetsversammlungen vor einer Abtreibungseinrichtung weiterhin zulässig sind – trotz politischen Drucks und neuer gesetzlicher Regelungen. Der Beschluss bestätigt die Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Regensburg in der die Richter klar stellten, dass pauschale Gefahrenbehauptungen keine Grundlage für Verbote sind. Sie hoben hervor, dass friedliche Gebetswachen rechtlich geschützt sind und nicht pauschal unterbunden werden dürfen.
Diese Eilentscheidung ist wegweisend. Sie erinnert daran, dass Grundrechte nicht dem Zeitgeist oder politischem Druck geopfert werden dürfen. Gerade in sensiblen Kontexten wie dem garantierten Recht auf Leben ist es wichtig, dass die Meinungsvielfalt sichtbar bleibt – solange dies friedlich und respektvoll geschieht.
Gefährliche Entwicklung
In Wien hingegen erleben wir eine bedenkliche Entwicklung: Es droht, dass Behörden die Grenzen des öffentlich Sagbaren mithilfe des Versammlungsrechts verschieben. Wer friedlich betet, könnte plötzlich nicht mehr unter das Demonstrationsrecht fallen. Das öffnet Tür und Tor für willkürliche Einschränkungen.
Noch problematischer wird es, wenn gleichzeitig Gegendemonstrationen, die auf eine Einschränkung von Grundrechten (Zensurzonen um Abtreibungseinrichtungen) abzielen, von den Behörden als zulässig erachtet werden – so, wie es im Fall der 40 Tage für das Leben-Gebetsversammlung zunächst war. Man muss auch darauf hinweisen, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof bereits 2023 die Wiener Polizei aus ähnlichen Gründen verurteilt hat. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass hier nicht nach Recht und Gesetz entschieden wird, sondern nach politischer Opportunität, indem man nur Gegenstimmen zulässt, die eigentliche öffentliche Versammlung und deren Beitrag zur öffentlichen Debatte aber verhindert.
Das Recht schützt alle – auch die, mit denen wir nicht übereinstimmen
Wir dürfen nicht vergessen: Meinungs- und Versammlungsfreiheit gelten nicht nur für Mehrheitspositionen oder für Ansichten, die bequem sind. Sie sind gerade dafür da, dass Minderheiten gehört werden. Wer heute den Beter zum Schweigen bringt, darf sich morgen nicht wundern, wenn die eigene Meinung unterdrückt wird.
Natürlich gilt auch: Niemand darf bedrängt oder belästigt werden – schon gar nicht in einer persönlichen Notlage. Aber dies rechtfertigt kein pauschales Verbot friedlicher Gebete im öffentlichen Raum. Unser Rechtssystem bietet längst Mittel, um tatsächliche Belästigungen zu unterbinden. Es braucht keine neuen Zensurzonen, die legale Grundrechtsausübung unter Generalverdacht stellen.
Ein Appell an die Rechtsstaatlichkeit
Österreich versteht sich als Rechtsstaat und europäische Demokratie. Dazu gehört, dass Behörden nicht parteiisch handeln, sondern Grundrechte auch dann verteidigen, wenn dies unbequem ist. Die Polizei ist verpflichtet, die Versammlungsfreiheit zu schützen – nicht sie zu relativieren.
Die Entscheidung aus Regensburg sollte auch in Wien gehört werden: Friedliche Gebete und Demonstrationen sind rechtlich stark geschützt – aus gutem Grund! Die pauschale Unterstellung, sie seien etwas anderes als eine Versammlung, ist rechtlich haltlos und politisch gefährlich.
Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind kein Privileg, sondern ein Recht. Ein Staat, der sie selektiv gewährt, untergräbt die Basis unserer demokratischen Ordnung.
Gerade deshalb müssen wir wachsam sein: Wenn Grundrechte im Kleinen eingeschränkt werden, drohen sie im Großen an Substanz zu verlieren.
Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Felix Böllmann, dem Leiter der europäischen Rechtsabteilung bei der christlichen Menschenrechtsorganisation ADF International.
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