
Kommentar Alex Todericiu: Rumäniens Frust: Rechtes Ostergelächter
Nach außen hin gibt sich Rumänien modern, demokratisch und regelkonform – ein Partner, der europäische Werte vertritt und sich vernünftig an internationale Vorgaben hält. Doch im Inneren zeigt sich auch ein zusätzliches Bild: Neid, Herrschsucht und Verlogenheit feiern nicht selten in der gesamten Gesellschaft fröhliche Urständ.
Niemand gönnt dem anderen den Aufstieg, und doch beugt sich jeder den Spielregeln der Macht. Die nationalen Eliten profitieren davon, während die Bevölkerung zerrieben wird zwischen den Versprechungen der EU, den Verlockungen des Nationalismus und der harten Realität eines Landes, in dem wahre und notwendige Veränderungen nur selten aus sich selbst heraus entstehen.
Diese Situation verstärkt sich, weil Rumänien sich in einem Netz widersprüchlicher Dynamiken verstrickt hat. Viele junge und tüchtige Rumänen wählen entweder die Anpassung oder die Auswanderung. Wer sich nicht unterwerfen will, verlässt das Land. Wer bleibt, akzeptiert das System und arrangiert sich mit den intransparenten und ineffizienten Strukturen, in denen persönliche Loyalitäten verschiedenster Gruppen gegeüber oft mehr zählen als Talent oder Leistung.
Neid als unsichtbare Triebkraft
Das politische System des Landes gleicht immer mehr einer elitären Festung. Wer aufsteigen will, muss sich einfügen, wer es nicht tut, bleibt außen vor. Diese Mentalität prägt nicht nur die wirtschaftlichen und politischen Strukturen, sondern auch die Denkweise vieler Bürger: Nach oben wird gebuckelt, nach unten getreten…
Die jüngste Annullierung der Präsidentschaftswahl Anfang Dezember 2024 zeigt eindrucksvoll, wie tief das Misstrauen in die demokratischen Institutionen reicht. Während das Verfassungsgericht die Entscheidung mit Manipulationen begründete, hält etwa die Hälfte der Bevölkerung die Annullierung für falsch. Gleichzeitig glauben bereits 54 Prozent, dass Russland in die Wahl eingegriffen hat. Die nationale Politik ist so in sich verstrickt, dass selbst Manipulationen keinen klaren Schuldigen haben.
Die Venedig-Kommission des Europarats warnte vor den Folgen dieser Entscheidung und betonte, dass eine Wahlannullierung nur unter extremen Umständen gerechtfertigt sei. Vor allem kritisierte sie gedämpft, dass der rumänische Staat geheime Informationen, die publik gemacht worden sind, als Hauptgrundlage dieser Entscheidung genutzt habe – eine Praxis, die demokratischen Prinzipien widerspricht und das Vertrauen weiter untergräbt.
Doch anstatt eines gesunden gesellschaftlichen Neuanfangs, der auch eine politische Erneuerung aller Parteien einleiten könnte, wächst derzeit nur die gesellschaftliche Akzeptanz nationalistischer Parteien. Die rechtskonservative Parlamentspartei AUR (18,3 % bei den Wahlen im Vorjahr) könnte zur stärksten Kraft aufsteigen, während die etablierten Parteien wie PSD (Sozialdemokraten), PNL und die UDMR, die Vertretung der ungarischen Volksgruppe (beide gehören der EU-Volkspartei an), stark an Rückhalt verlieren.
George Simion, Vorsitzender der Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR), wurde im Januar 2025 beim Brüsseler Kongress der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR) einstimmig zum Vizepräsidenten der Formation gewählt. Diese Partei wurde 2009 von britischen und polnischen Konservativen gegründet. Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 hat die Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer 78 Abgeordnete im Europäischen Parlament.
Widerspruch zu Ostern
Nationalismus wird aber in Rumänien – meinen viele – nicht aus Überzeugung gewählt, eher aus Frust über das bestehende System. Denn auch die heutige Regierung in Amt agiert schlichtweg zu grob, unbeholfen und wenig durchdacht in ihrer Arbeit.
Gleichzeitig, aber rechtzeitig vor der Präsidialwahlwiederholung am 4. Mai 2025 zeigt sich ein prägnanter Widerspruch: Während nationalistische Strömungen erstarken, wächst das Vertrauen in die Europäische Union und die NATO auf Rekordhöhen. Fast drei Viertel der Rumänen sehen Vorteile in der EU-Mitgliedschaft, während die Mehrheit einen Austritt aus der EU und der NATO klar ablehnt.
Doch dieses Vertrauen bedeutet nicht, dass es keine Spannungen gibt: 57 Prozent der Rumänen sind der Meinung, dass ihr Land seine nationalen Interessen auch dann verteidigen sollte, wenn es zu Konflikten mit Brüssel oder Washington führt.
Eines aber ist gewiss: Nach Ostern bringt die wiederholte rumänische Wahl – komme, was wolle – ein rechtes Ostergelächter. Statt einer echten demokratischen „Auferstehung“ wird es vermutlich wieder Hohn und Spott über das Wahlergebnis geben, befürchten Beobachter der Bukarester politischen Szene.
Hinzu kommt der allgemeine Vertrauensverlust in die etablierten Medien und die politische Elite. Über die Hälfte der Bevölkerung fühlt sich von den Medien fehlinformiert, während die politische Führung meistens als korrupt und unfähig angesehen wird. Diese Mischung aus Neid, Frust und Misstrauen sorgt für eine explosive politische Lage.
Eine soziologische Studie, die von der Firma GfK, bereits 2018 im Auftrag von der rumänischen Agentur PressOne durchgeführt wurde, zeigt, dass 80 % der Befragten ein negatives Gefühl verspüren, wenn sie ihre eigene berufliche oder familiäre Situation bewerten müssen. 23 % der Befragten betrachten den Neid als die wichtigste negative Eigenschaft der Rumänen, womit er auf Platz zwei hinter der Leichtgläubigkeit liegt, für die sich 24 % entschieden haben.
Neidgenossenschaft als Tabu
Der Kabarettist Helmut Qualtinger formulierte einmal: „Die größte Genossenschaft auf Erden ist die Neidgenossenschaft.“
Neid ist jedoch in Rumänien ein Tabuthema, weil er mit historischen Ungerechtigkeiten, kulturellen sowie religiösen Normen und sozialer Scham verknüpft ist. Statt offen darüber zu sprechen, wird Neid oft unterdrückt oder auf subtile Weise in sozialen Vergleichen und Misstrauen ausgedrückt. Es ist eigentlich erstaunlich, dass dieses Gefühl tabuisiert ist, wo doch die Gesellschaft so auf Konkurrenz und Wettbewerb zugeschnitten ist.
Doch genau in dieser Verdrängung liegt die Gefahr. Ein Gefühl, das nicht ausgesprochen wird, wirkt umso stärker im Verborgenen. In Rumänien glauben viele, dass Neid die unsichtbare Kraft ist, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt untergräbt, politische Instabilität begünstigt und Misstrauen gegenüber Institutionen und Mitmenschen verstärkt.
Schon George Barițiu, rumänischer Historiker, Journalist und Politiker, der 1838 die “Gazeta de Transilvania”, die erste rumänischsprachige Zeitschrift in Siebenbürgen, gründete, erkannte bereits im 19. Jahrhundert die zerstörerische Kraft des Neids. 1871 schrieb er über die nationalen Laster der Rumänen: „Gott bewahre dich vor rumänischem Neid, ungarischer Wut und dem langanhaltenden Hass der Sachsen.“
Ironischerweise klebt heute ausgerechnet ein Sachse, Rumäniens Langzeitpräsident, in Bukarest weiterhin an seinem Amt – mit bröckelnder Legitimität und schwindender Autorität.
Neid erstickt Demokratie
Neid war in der Geschichte oft ein Motor für Veränderung – mal als treibende Kraft für mehr Gleichheit, mal als Brandbeschleuniger für Spaltung. Wenn die Frustration brodelt, wie in Rumänien heute der Fall ist, spricht man im Englischen von „discontent“ – ein Wort, das die unterschwellige Unzufriedenheit und das diffuse Gären einer Gesellschaft einfängt. Denn fast jeder hat sie schon gespürt: jene Momente, in denen der Staat versagt, in denen Willkür herrscht…
Die größte Genossenschaft auf Erden bleibt auch in Rumänien die Neidgenossenschaft – ob ausgesprochen oder nicht.
Dr. Alex Todericiu, geb. 1967 in Bukarest, ist ein österreichischer Unternehmensberater
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