
Moskau provoziert – aber der Westen darf Aserbaidschan nicht in eine Falle treiben
Eine Kolumne über Verantwortung, Realpolitik und kluge Zurückhaltung im Südkaukasus von Heinz-Christian Strache.
Russland hat es wieder getan: Mit Polizeigewalt gegen aserbaidschanische Bürger demonstriert der Kreml, dass er noch immer glaubt, über seine ehemaligen Sowjetrepubliken verfügen zu können wie zu imperialen Zeiten. Zwei Tote, zahlreiche Gefolterte – ein düsteres Signal, das in Aserbaidschan tief wirkt.
Doch so berechtigt die Empörung auch ist: Der Westen muss jetzt aufpassen, dass er nicht aus gutem Willen einen strategischen Fehler begeht. Aserbaidschan ist nicht die Ukraine. Und die Situation im Südkaukasus verlangt nicht nach moralischer Eskalation, sondern nach nüchterner Diplomatie.
Offensiv, aber angeschlagen
Denn Russland ist zwar offensiv und aggressiv, aber angeschlagen. Der Kreml hat kein Interesse an einem neuen Konfliktherd – sucht aber sehr wohl nach Vorwänden, um legitime Selbstbehauptung als „vom Westen gesteuerte Provokation“ zu brandmarken. Genau dieses Drehbuch kennen wir aus Georgien und der Ukraine. Aserbaidschan könnte als nächster Akteur in Moskaus Propagandanarrativ geraten – falls der Westen unbedacht agiert.
Und das ist keine Theorie: Russische Medien verbreiten bereits, Baku lasse sich „vom Ausland steuern“. In dieser Logik wäre jeder selbstbewusste Schritt Aserbaidschans ein NATO-Manöver – und jeder westliche Kontakt ein Kriegsgrund. Wer nun also auf Konfrontation mit Russland setzt, riskiert die Stabilität einer ganzen Region.
Dabei hat Aserbaidschan bislang bemerkenswerte außenpolitische Souveränität bewiesen. Präsident Ilham Alijew navigiert geschickt zwischen Moskau, Brüssel, Ankara, Peking, Teheran und Tel Aviv. Der Westen täte gut daran, diese Balance zu respektieren – und nicht, wie Russland oder Iran, Druck auf ein souveränes Land auszuüben.
Was Aserbaidschan jetzt braucht, ist keine Belehrung, sondern Partnerschaft. Nicht die Drohung mit Konsequenzen, sondern das Angebot gemeinsamer Interessen. Nicht „bist du mit uns oder gegen uns?“, sondern: „Wie können wir gemeinsam mehr erreichen?“
Keine Schwäche
Das ist keine Schwäche – das ist kluge Außenpolitik. Wer glaubt, Einfluss in der Welt entstehe durch moralisches Muskelspiel, hat aus den Fehlern der letzten zwei Jahrzehnte nichts gelernt. Einfluss entsteht durch Verlässlichkeit, Respekt und Geduld.
Aserbaidschan steht an einer geopolitisch sensiblen Stelle – zwischen Energie-Transit und Energiepartner für Europa, religiösen Spannungen und sicherheitspolitischen Fallstricken. Ein falscher Schritt kann hier mehr zerstören als gewinnen. Deshalb gilt jetzt: Finger weg von Eskalation. Wer Moskau entgegentreten will, sollte nicht mit Druck auf Baku beginnen.
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