Ralph Schöllhammer: Die neue Trennlinie - Warum die Zukunft den Patrioten gehört
Der scheinbar unaufhaltsame Aufstieg globalistischer Eliten stößt auf wachsenden Widerstand. Doch die wahre Schlacht tobt nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen jenen, die noch an Gemeinschaft glauben, und jenen, die sie für überholt halten.
Wenn Sie diesen Text lesen, werden wahrscheinlich schon die üblichen Warnhinweise aufleuchten: Nationalismus, Globalismus – das sind doch Begriffe aus der rechten Ecke, Verschwörungstheorien, gefährliche Simplifizierungen. Aber wie Ludwig Wittgenstein einmal treffend bemerkte: Unscharfe Sprache führt zu unscharfem Denken. Und genau deshalb ist es Zeit, dass wir uns die Deutungshoheit über diese Begriffe zurückholen – bevor es zu spät ist.
Seit dem Aufstieg Donald Trumps, dem Brexit-Referendum und dem Erstarken verschiedener europäischer Parteien rechts der Mitte hat sich eine bemerkenswerte Interpretation durchgesetzt: All diese Entwicklungen seien das politische Äquivalent des Ebolavirus, gefährlich und irrational. Die Wähler dieser Parteien? Entweder zu ungebildet, um ihre wahren Interessen zu verstehen, oder sie werden durch geschickte Populisten verführt, die ihre Ängste schüren und falsche Narrative bedienen.
Diese Sichtweise ist nicht nur arrogant – sie ist fundamental falsch. Neue Studien zeigen eindeutig: Menschen wählen diese Parteien nicht wegen geschickter Manipulation, sondern weil sie deren Parteiprogramme tatsächlich teilen. Sie wissen sehr genau, wofür die verschiedenen politischen Kräfte stehen, und sie treffen bewusste Entscheidungen. Die wachsende Enttäuschung über die CDU in Deutschland oder die ÖVP in Österreich resultiert nicht aus dem bösen Einfluss der AfD oder FPÖ, sondern aus etwas viel Banaleren: Wahlversprechen werden systematisch gebrochen.
Nehmen wir die übliche Antwort darauf: “Ja, wer glaubt denn heute noch wirklich, dass Parteien das umsetzen, was sie im Wahlkampf ankündigen?” Das mag sich eine Elite, die es sich in sicheren Posten gemütlich gemacht hat, leisten können – für die meisten Menschen ist das jedoch ein Luxus, den sie sich schlicht nicht leisten können.
Die wahre Frontlinie
Der amerikanische Sozialwissenschaftler Michael Lind erkannte bereits 2016 die eigentliche Trennlinie unserer Zeit: Es ist nicht mehr der klassische Links-Rechts-Gegensatz, sondern der Konflikt zwischen Patrioten und multikulturellen Globalisten. Dieser Kulturkampf bestimmt die politische Landschaft weit mehr als die traditionellen ideologischen Differenzen. Alles andere – ob Free Palestine oder die LGBTQ-Bewegung – sind nur Elemente dieses größeren Kampfes.
Jetzt werden Sie vielleicht einwenden: “Aber sind nicht die Nationalisten automatisch auch Rassisten?” Seien wir ehrlich: Ein Rassist wird eher zum Nationalismus neigen als zum Kosmopolitismus. Aber nur weil etwas Überlappungen hat, bedeutet es nicht, dass es deckungsgleich ist. Ein Stalinist neigt wahrscheinlich eher nach links, aber das macht nicht jeden Linken zum Stalinisten.
Und hier liegt etwas Wichtiges, das in der Debatte völlig untergeht: Es gibt durchaus so etwas wie einen gesunden, kulturell fundierten Patriotismus. Er wendet sich zwar gegen multikulturellen Globalismus, basiert aber nicht auf ethnischer Überlegenheit, sondern auf dem Konzept einer Leitkultur. Diese Leitkultur muss nicht anderen überlegen sein – sie definiert lediglich die Spielregeln innerhalb einer bestimmten Gesellschaft.
Hier stoßen wir auf das Kernproblem des Multikulturalismus. Wenn man Kultur ernst nimmt – und wie der Ökonom Douglass North richtig erkannte, ist Kultur letztendlich ein anderes Wort für Institutionen und diese wiederum für Spielregeln –, dann kann eine funktionierende Gesellschaft per Definition niemals multikulturell sein.
Denken Sie an Sport: Man kann nicht gleichzeitig Fußball und Basketball spielen. Man kann nicht Handball- und Schachregeln parallel anwenden. Genauso wenig funktioniert es, wenn ein Teil der Gesellschaft bei Konflikten auf den Rechtsstaat vertraut, während ein anderer Teil das Gesetz in die eigene Hand nimmt. Widersprüchliche Wertvorstellungen können nur dann nebeneinander existieren, solange sie nicht kollidieren – und das tun sie früher oder später immer.
Wenn Welten aufeinanderprallen
Der amerikanische Bürgerkrieg liefert das vielleicht dramatischste Beispiel: Eine Gesellschaft konnte nicht zur Hälfte behaupten, Menschen seien Eigentum, während die andere Hälfte dies als zutiefst unmoralisch verwarf. Zwei derart gegensätzliche Moralvorstellungen können nicht parallel existieren – eines muss sich durchsetzen. (Und bevor jetzt unzählige Zuschriften kommen: Mir ist bewusst, dass der amerikanische Bürgerkrieg Dimensionen hatte, die über die Sklaverei hinausgingen. Aber Sie verstehen den grundsätzlichen Punkt.)
Das Interessante dabei: Solche Wertkonflikte entstehen nicht nur durch Migration. Sie können sich auch innerhalb etablierter Gesellschaften entwickeln, wie wir es heute in den urbanen Elitenmilieus beobachten. Diese neuen Kosmopoliten stehen in vielen Bereichen im direkten Widerspruch zu den Werten der Mehrheitsbevölkerung – und das ist kein Zufall.
Schauen Sie sich die Prioritäten an: Für den Patrioten gilt ein einfaches Prinzip: Steht mein Land, meine Gemeinschaft nach einer politischen Entscheidung besser da als vorher? Das ist sein Kriterium. Ihm ist relativ gleichgültig, wie es anderen dabei ergeht – nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Verantwortung gegenüber den eigenen Bürgern.
Für die neuen globalen Progressiven hingegen ist das Wohlbefinden österreichischer oder deutscher Arbeiter kein primärer Fokus ihrer Politik. Sie denken in universellen Kategorien: Was bedeutet eine Politik für die Welt? Deshalb hören wir ständig, Österreich oder Deutschland müsse “das Weltklima retten” – obwohl wissenschaftlich eindeutig belegt ist, dass sich das Weltklima nicht in Wien oder Berlin entscheidet, die wirtschaftlichen Folgen der Klimapolitik für diese Länder aber sehr wohl real sind.
Warum wir Gemeinschaft brauchen
Lassen Sie mich etwas Fundamentales klarstellen: Patriotismus ist weit mehr als nostalgische Sentimentalität oder gar versteckte Bigotterie. Er ist eine psychologische Notwendigkeit und eine moralische Verpflichtung. Bereits Emil Durkheim, Max Weber und andere große Soziologen erkannten: Menschen sind soziale Wesen, gefangen in einem selbst gewobenen Netz sozialer Beziehungen. Diese Idee, dass individualistische Selbstverwirklichung das höchste Gut sei, ist eine moderne Illusion – und zwar eine gefährliche.
Warum? Weil diese emotionale Bindung an die Gemeinschaft Vertrauen schafft, und Vertrauen ist die Grundlage für das, was Soziologen “Sozialkapital” nennen. Hohe Sozialkapitalwerte korrelieren mit niedrigen Kriminalitätsraten, geringen Transaktionskosten und höherem Wohlstand. Wenn ich den Mitgliedern meiner Gemeinschaft vertraue, brauche ich weniger Überwachung, weniger Bürokratie, weniger Kontrolle. Ich brauche keinen Superstaat, weil ich selbst das Bedürfnis habe, mich an die Regeln zu halten.
Das ist übrigens kein romantisches Wunschdenken. Der Soziologe Richard Sosis hat in einer faszinierenden Studie gezeigt: Gemeinschaften, die von ihren Mitgliedern etwas verlangen – sei es in Form von Beiträgen, vor allem aber in Form von Zeit –, halten wesentlich länger und überleben länger. Das macht auch Sinn: Wenn ich in eine Gemeinschaft investiere, wenn ich Teil davon bin, entwickle ich Loyalität und das Bedürfnis, diese Gemeinschaft weiterzuführen.
Die Illusion des Weltbürgertums
Der moderne Kosmopolitismus hingegen ist – und hier muss ich deutlich werden – intellektuell faul und letztendlich nihilistisch. Ein “Weltbürger” kann sich nur dadurch definieren, dass er der eigenen Tradition, Kultur und dem eigenen Staat keine Sonderstellung einräumt. Für ihn ist das alles dasselbe wie alles andere. Aber schauen wir uns das genauer an: Es gibt weder eine Weltregierung noch einen Weltstaat. Der Kosmopolit ist eine Chimäre – er existiert nicht wirklich.
Diese Haltung ist das, was der Soziologe Rob Henderson einen “Luxusglauben” nennt – etwas, an das man nur glauben kann, wenn man von den negativen Konsequenzen der eigenen Ideologie weitgehend isoliert ist. Das klassische Beispiel kennen wir alle: Offene Grenzen befürworten, während die eigenen Kinder Privatschulen besuchen und man selbst in Nobelvierteln wohnt, die Migranten ohnehin nie erreichen.
Erinnern Sie sich noch an die Panik, als der Gouverneur von Texas einige Busse mit Migranten nach Martha’s Vineyard fahren ließ? Plötzlich war die kosmopolitische Solidarität sehr schnell sehr endlich.
Die Weisheit des Darius
Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte erzählen, die diese ganze Problematik wunderbar illustriert. Sie spielt sich um 440 vor Christus am Hof des persischen Königs Darius ab – der antike griechische Historiker Herodot hat sie uns überliefert.
Darius ließ einige anwesende Griechen zu sich rufen und stellte ihnen eine verstörende Frage: Für welchen Geldbetrag wären sie bereit, die Leichen ihrer Väter zu verspeisen – also Kannibalismus zu betreiben? Die Griechen reagierten mit Schock und Entsetzen. Es gebe keinen Geldbetrag auf der Welt, erklärten sie, der dafür ausreichen würde.
Daraufhin – und das ist der geniale Teil – ließ Darius einige Mitglieder der Kallatiai zu sich rufen, einem Volk aus den östlichen Teilen seines Imperiums. Während die Griechen noch anwesend waren, fragte er sie mit Hilfe eines Dolmetschers: Für welchen Geldbetrag wären sie bereit, ihre toten Väter einzuäschern, also zu verbrennen?
Die Kallatiai gerieten völlig außer sich. Allein der Vorschlag sei so ungeheuerlich, riefen sie, dass man in dieser Luft nicht mehr atmen könne. Warum diese heftige Reaktion? Nun, die Kallatiai ehrten ihre verstorbenen Väter tatsächlich durch eine Form des rituellen Kannibalismus, während für die Griechen das Verbrennen der Toten das Selbstverständlichste der Welt war.
Was Darius in seiner Weisheit demonstrierte: Obwohl beide Völker ihre Vorfahren ehren wollten – die Absicht war völlig dieselbe –, taten sie es auf so unterschiedliche Weise, dass ein Kompromiss schlicht unmöglich war. Und Darius war klug genug zu erkennen: Würde er versuchen, seine eigenen Bräuche seinem gesamten Imperium aufzuzwingen, hätte er schneller eine Revolution, als er glauben könnte.
Was auf dem Spiel steht
Wir stehen heute vor einer ähnlichen Weichenstellung: Entweder fallen wir zurück in tribale Strukturen, weil große Staaten nicht mehr zusammengehalten werden können, oder wir erleben ein Revival des kulturellen Patriotismus mit all seinen positiven Effekten für Vertrauen, Zusammenhalt und Wohlstand.
Vergessen wir dabei nicht: Funktionierende Gesellschaften von der Größe moderner Nationalstaaten sind eine historische Ausnahme, nicht die Regel. Die Spezies Homo sapiens gibt es seit etwa 250.000 Jahren – zivilisierte Gesellschaften existieren bestenfalls seit 12.000 Jahren, wenn wir großzügig sind. Das, was wir haben, ist kostbar und fragil.
Heute erleben wir genau das Phänomen, das Darius so weise erkannte: Wenn sich das Gefühl ausbreitet, dass die eigenen Werte systematisch in Frage gestellt werden, während der Staat gleichzeitig mit allen anderen Gruppen solidarisch ist, nur nicht mit der eigenen Bevölkerung, dann schwindet die Bereitschaft zur Loyalität. Und ohne diese Loyalität – ohne dieses Band zwischen Bürgern und Staat – zerfällt das Ganze.
Die Patrioten sind nicht die Rückständigen, wie man uns glauben machen will. Sie sind die Realisten. Sie verstehen, dass Gemeinschaft eine Leistung ist, die täglich neu erbracht werden muss. Und sie sind bereit, diese Leistung zu erbringen, weil sie wissen: Die Alternative ist das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen.
Das ist keine Schwarzmalerei. Das ist John Lennons “Imagine” zu Ende gedacht: “Imagine no countries, nothing to kill or die for, no religion too, everybody lives in peace.” Eine schöne Utopie – aber eben das: eine Utopie. Denn ohne die “alten Loyalitäten”, die er so verächtlich macht, gibt es keine Gesellschaft. Ohne sie gibt es nur noch Individuen, die auf sich selbst zurückgeworfen sind. Und das, wie Emil Durkheim schon vor über hundert Jahren erkannte, macht Menschen nicht glücklich – es macht sie krank.
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