Die entstehende Weltordnung ist vom Wiederaufleben zwischenstaatlicher Konkurrenz geprägt. Wer in diesem Wettbewerb bestehen will benötigt eine kluge Industriepolitik, militärische Autonomie, und Unabhängigkeit im Energiesektor. Leider erfüllen sowohl die EU als auch die meisten Mitgliedstaaten. Brüssel versprach 2023, dass die EU innerhalb von zwölf Monaten in der Lage sein wird, bis zu 1,7 Millionen Geschosse 155 mm Kaliber Artilleriemunition zu produzieren, um die Kriegsanstrengungen in der Ukraine zu unterstützen. Ein Jahr später jedoch erreichte diese Zahl kaum ein Drittel des ursprünglichen Versprechens.

Und auch dieses Jahr wird wahrscheinlich nicht viel besser werden. 2025 ist kaum fünf Wochen alt, und der Wettbewerb zwischen China und den Vereinigten Staaten im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) ist eine völlig neue Phase eingetreten. Das neue chinesische KI-Modell DeepSeek könnte zum Sputnik-Moment im KI-Rennen werden, und es wird interessant sein zu sehen, ob die USA ein Apollo-11-Äquivalent auf die gleiche Weise schaffen können, so wie sie letztendlich die Sowjetunion im Wettstreit um den ersten Mann am Mond bezwingen konnten. Auffällig ist auch die völlige Abwesenheit Europas in diesem Wettbewerb. Seit fast dreißig Jahren veröffentlicht die Europäische Union Pläne, wie sie auf der globalen Bühne als gleichberechtigter Akteur auftreten kann. Es begann mit der Lissabon-Strategie aus dem Jahr 2000, die darauf abzielte, die EU innerhalb von zehn Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen, der zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt fähig ist“. Nachdem keines dieser ehrgeizigen Ziele erreicht wurde, wurde die Lissabon-Strategie durch die „Strategie Europa 2020“ ersetzt, die ein „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ versprach. Nach weiteren 10 Jahren unerreichter Ziele im Jahr 2025 wird diese „Strategie“ nun durch den „Wettbewerbsfähigkeitskompass“ („Competitiveness Compass“) ersetzt werden.

Hoffnungen in Mario Draghis „Wettbewerbsbericht“

Hohe Hoffnungen wurden auch in Mario Draghis „Wettbewerbsbericht“ gesetzt, der die strukturellen Mängel der EU-Wirtschaftspolitik analysieren sollte. Bei der Bewertung der Herausforderungen, vor denen die EU steht, wies Draghi auf drei kritische Probleme hin, die sofortige Maßnahmen erfordern. Erstens stellte er zutreffend fest, dass Europa seinen agilen Konkurrenten in Bezug auf unternehmerische Dynamik erheblich hinterherhinkt. Zweitens äußerte er Bedenken, dass die ehrgeizigen Klimaziele der EU dem Block erhebliche Nachteile bringen, was er teilweise auf einen „Mangel an natürlichen Ressourcen“ zurückführt. Schließlich betonte Draghi die Sicherheitsrisiken durch Abhängigkeit von nicht-europäischen Mächten, ein Problem, das angesichts der aktuellen Entwicklungen im Krieg in der Ukraine zunehmend drängend geworden ist.

Viele dieser Probleme sind jedoch durch Eigenverschulden verursacht worden: Die EU hat sich der Illusion hingegeben, man könnte die erste ausschließlich durch Wind und Sonne betriebene Großmacht der Geschichte werden. Um den Mangel an unternehmerischer Vitalität der EU anzugehen, argumentiert Draghi, dass „Europa seine kollektiven Bemühungen grundsätzlich umleiten muss, um die Innovationslücke mit den USA und China zu schließen, insbesondere in fortgeschrittenen Technologien.“ Draghi äußert spezifische Besorgnis über die rückständige Position des Blocks im Bereich künstliche Intelligenz (KI). Leider wird Europa ohne reichliche Energieversorgung nicht zu den USA oder China aufholen können. Trotz häufigen Lippenbekenntnissen zur Klimapolitik befindet sich die US in einer beneidenswerten Situation des Energieüberflusses: Washington ist zur Hauptstadt eines globalen Energie-Powerhouses geworden, das so viel Erdgas produziert, dass es oft Schwierigkeiten hat, Käufer zu finden. Technologieunternehmen nutzen diesen Überfluss, um mit billiger Energie fortschrittliche KI-Modelle auf die kosteneffektive Weise zu trainieren.

Selbstzerstörerische Politiken

Doch anstatt den Ernst der Lage zu verstehen, scheint die EU weiterhin auf selbstzerstörerische Politiken zu setzen. Die EU schätzt ihren eigenen Einfluss häufig zu hoch ein, während sie den Einfluss ihrer Gegner unterschätzt. Nach sorgfältigen Berechnungen liegt der Anteil der EU an der globalen Ölproduktion unter 0,4 Prozent, und ihr Beitrag an Erdgas beträgt nur 2,3 Prozent. Im Jahr 2021 machte die EU nur 3,8 Prozent der weltweiten Kohlenproduktion aus, mit 309 Millionen Tonnen von insgesamt 8.057 Millionen Tonnen. In einer Welt, die von Energie bestimmt wird, ist Europa ein Zwerg während Staaten wie China, Russland und die USA Riesen sind.

Am Ende hat sich in den letzten 15 Jahren nichts zum Besseren gewendet: Die Wirtschaft der Eurozone ist in dollarbezogenen Werten um etwa 6 Prozent gewachsen, während die USA einen Anstieg von 82 Prozent verzeichneten, wie Daten des Internationalen Währungsfonds zeigen. Folglich hat das durchschnittliche EU-Land nun ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen als alle US-Staaten mit Ausnahme von Idaho und Mississippi, wie ein kürzlich veröffentlichter Bericht des European Centre for International Political Economy, eines unabhängigen Brüsseler Think Tanks, hervorhebt. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, könnte die Lücke im Pro-Kopf-Wirtschaftsoutput zwischen den USA und der EU bis 2035 der aktuellen Diskrepanz zwischen Japan und Ecuador entsprechen, warnt der Bericht.

Europa steht kurz davor, in die zweite Hälfte eines weiteren verlorenen Jahrzehnts einzutreten, und die derzeitige Führung scheint nicht gewillt, etwas dagegen zu unternehmen.