Das Lied („Wasted Love“) ist wahrscheinlich eher Geschmackssache als geschmackvoll, aber als selbsternannter Konservativer und K.u.K.-Nostalgiker war ich wohl auch nicht die Zielgruppe. Der 24-jährige Johannes Pietsch, der den Song teilweise selbst geschrieben hat, bevor er beim Songcontest auftrat, versteht jedoch wesentlich mehr von Musik als ich: Als Student der Opernschule der Wiener Staatsoper und der Musik- und Kunstprivatuniversität der Stadt Wien befindet er sich in den besten musikalischen Händen, die Österreich zu bieten hat, und es ist großartig, dass das für einen sensationellen Sieg gereicht hat. Pietsch, der unter dem Künstlernamen JJ auftritt, ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass Kultur keine Grenzen kennt: Geboren als Sohn eines Österreichers und einer Philippinin, wuchs er in Dubai auf, bevor die Familie nach Österreich zurückkehrte.

Erfolgreiche Auslandsösterreicher, die zurückkehren, sind leider mehr die Ausnahme als die Regel, doch wenn die Bedingungen im Heimatland stimmen, steigen auch die Anreize, wiederzukommen. In der musikalischen Ausbildung ist Österreich nach wie vor weltweit führend, weshalb talentierte Künstler gerne in unser Land kommen. Man stelle sich vor, wir könnten dies in anderen Bereichen wiederholen: Von Physik über Medizin bis hin zu künstlicher Intelligenz wäre es mit den richtigen Rahmenbedingungen möglich, in die Weltspitze aufzusteigen.

Start-up-Nation Israel

Dass dies tatsächlich realisierbar ist, zeigt die Zweitplatzierung des Staates Israel. Österreich ist flächenmäßig mehr als dreimal so groß, aber bei der Einwohnerzahl hat Israel leicht die Nase vorn (9,1 Millionen zu 8,9 Millionen). Israel wird oft als Start-up-Nation und Innovationsmotor bezeichnet, und es lässt sich kaum leugnen, dass das Land die leistungsfähigste Hightech-Wirtschaft im Nahen Osten aufgebaut hat. Während viele seiner Nachbarn vom Export fossiler Brennstoffe abhängig sind, entfallen über 40 % der israelischen Exporte auf den Hightech-Sektor. Israelische Start-ups konnten trotz des Krieges über 12 Milliarden Dollar an Investitionen anziehen, verglichen mit weniger als einer Milliarde Euro in Österreich.

Trotz der zahlreichen Herausforderungen, denen sich das Land gegenübersieht, ist die wirtschaftliche Dynamik in Israel bemerkenswert. Natürlich wirken diese Probleme in vielen Fällen auch als Katalysator: Wer sich als kleines Land einer Übermacht von Gegnern gegenübersieht, muss sich einen permanenten technischen Vorsprung bewahren. Das ist allerdings leichter gesagt als getan. Die Europäische Union versucht seit Jahren, den lahmen Tech-Sektor in Europa wiederzubeleben – mit mäßigem Erfolg.

Israel ist tief mit der europäischen Kultur und Zivilisation verbunden

In den letzten Tagen haben mich einige Zuschriften erreicht, in denen gefragt wurde, warum mit Israel ein „asiatisches“ Land am Eurovision Song Contest teilnehmen darf. Geografisch gesehen ist diese Feststellung zwar korrekt, doch persönlich habe ich Israel nie als asiatisches oder arabisches Land wahrgenommen. Die Türkei, die ebenfalls an Eurovision und europäischen Sportereignissen teilnimmt, erscheint mir deutlich weniger europäisch als Israel. Während Erdogan eine Politik der Islamisierung Europas vorantreibt, gibt es keine vergleichbare „Judäisierung“ Europas, die von Netanyahu aktiv unterstützt wird. Wer Israel und die jüdische Religion nicht als tief mit der europäischen Kultur und Zivilisation verbunden sieht, wird auch mit Monotheismus und Christentum Probleme haben, da beide aus dem Judentum abgeleitet sind. Die europäische Zivilisation ist ohne den jüdischen Beitrag kaum denkbar, und Europa leidet bis heute unter dem brutalen Ende der deutsch-jüdischen Symbiose.

Wer daran zweifelt, sollte sich zum Beispiel die Biografie Felix Mendelssohn Bartholdys oder auch die des Gründers des modernen Zionismus, Theodor Herzl, näher ansehen. Für Herzl war klar, dass die Sprache in einem jüdischen Staat Deutsch sein müsse: „Wir können doch nicht Hebräisch miteinander reden. Wer von uns weiß genug Hebräisch, um in dieser Sprache ein Bahnticket zu kaufen?“ Diese 1895 geschriebenen Worte wurden durch den Holocaust überholt, und die Sprache Israels ist seitdem Hebräisch. Dennoch ändert dies wenig am grundlegenden europäischen Charakter Israels.

Kultur hängt letztendlich nicht von der Region, sondern von den Menschen ab

Wären die USA so rasant zur Weltmacht aufgestiegen und Europa abgestiegen, wenn der Holocaust und die Vertreibung der europäischen Jüdinnen und Juden nicht stattgefunden hätten? Ich bezweifle es. Und wer der Meinung ist, Israel könne aufgrund seiner Geographie nicht europäisch sein, dem würde ich einen Besuch in Malmö, Teilen von Paris oder London nahelegen und diese Erfahrungen dann mit einem Besuch in Tel Aviv vergleichen.

Spätestens dann wird man schnell zu dem Schluss kommen, dass Kultur letztendlich nicht von der Region, sondern von den Menschen abhängt. Das zu verstehen fällt uns in Europa leider immer schwerer, aber vielleicht kann der Song Contest ja ein wenig zur Aufklärung beitragen.