Rudolf Öller: Der gute Prediger
Die Bibel ist das vielleicht aufregendste Buch der Geschichte. Wer die Bibel noch nie zur Hand genommen hat, glaubt, dass es sich um eine langweilige Lektüre handelt, doch das ist ein Irrtum, findet eXXpress-Kolumnist Rudolf Öller.
Nach der Mordgeschichte von Kain und Abel in der Genesis erschien im Zusammenhang mit dem großen Hochwasser auch der erste Alkoholiker. Es war Noah, der sich im Suff daneben benommen hat. Erstaunlich, dass ein Trunkenbold auserwählt wurde, die Tierwelt zu retten. Auch der Sex kommt nicht zu kurz. König David beobachtete eine attraktive Frau namens Batseba in ihrem Bad. Da die Schöne schon verheiratet war, schickte David ihren Mann Urija, einen Soldaten, in die vordersten Kampflinien einer Schlacht. Urija fiel und David schnappte sich die Witwe. Einige Frauen waren so hart wie Männer. Judith wartete, bis der verhasste König Holofernes schwer betrunken war. Dann schlug sie ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopf ab. Wer Erotik mag, liest bei Salomon nach: „Freunde, esst und trinkt, berauscht euch an der Liebe!“, und wer Krimis und Western bevorzugt, der sollte einen Tipp des Hollywoodstars Mel Gibson beherzigen und das erste Buch der Makkabäer lesen.
Mein Kampf
Das Neue Testament als Basis des Christentums ist das Gegenteil des Alten Testaments. Hier geht es nicht um „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, sondern um Vergebung.
Eine Frage, die regelmäßig auftaucht, lautet: „War Jesus ein Linker?“ Diese Frage muss aus mehreren Gründen klar verneint werden. Zunächst waren und sind ideologisch denkende und agierende Menschen in der Regel nicht friedlich. Wer das nicht glaubt, hat weder „Mein Kampf“ noch „Das kommunistische Manifest“ gelesen. Radikale Ideologien haben nichts mit Verzeihung oder Frieden und schon gar nichts mit Demut zu tun.
Der Samariter
Die Linken haben Jesus oft vereinnahmt. Immerhin hat er die Tische der Händler im Tempel umgestoßen. Das hat etwas Aufsässiges. Andererseits gibt es im Lukasevangelium das Gleichnis des barmherzigen Samariters. Man muss den Bibeltext genau lesen: „Ein Mensch ging von Jerusalem nach Jericho hinab und fiel unter Räuber, die ihn auszogen und ihm Schläge versetzten … und ihn halbtot liegen ließen. Zufällig ging ein Priester jenen Weg hinab, und als er ihn sah, ging er an der entgegengesetzten Seite vorüber. Ebenso kam auch ein Levit, der an den Ort gelangte, sah ihn und ging … vorüber. Ein Samariter, der auf der Reise war, kam zu ihm, und als er ihn sah, wurde er innerlich bewegt. Er trat hinzu, verband seine Wunden und goss Öl und Wein darauf. Er setzte ihn auf sein eigenes Tier, führte ihn in eine Herberge und sorgte für ihn. Am folgenden Morgen zog er zwei Denare heraus und gab sie dem Wirt und sprach: Kümmere dich um ihn, und was du noch dazu verwenden wirst, werde ich dir bezahlen, wenn ich zurückkomme.“
Der Samariter kümmerte sich also persönlich um diesen Elenden, der geschlagen und blutend am Wegrand lag. Der Samariter rief nicht laut nach kommunaler und staatlicher Hilfe. Er brachte den Verletzten persönlich zur Herberge und sorgte mit seinem eigenen Geld dafür, dass er gepflegt wurde. Das Gleichnis des Samariters spricht also von tätiger Hilfe, nicht von staatlichen Organisationen.
Was die Bergpredigt betrifft, so berichtet der Evangelist Matthäus weder von einem Volksaufstand noch einer gewalttätigen Revolution. Die Leute wurden damals von den Pharisäern bevormundet und von den Römern unterdrückt und ausgeplündert. Sie hatten Angst vor den Steuereintreibern und den Soldaten. Das Volk, das zu den Reden des Mannes aus Galiläa kam, lauschte keinem Hass-, sondern einem guten Wanderprediger. Die Menschen hatten damals von den arroganten Pharisäern und ausbeuterischen Römern die Nase gestrichen voll – so wie wir heute von „woken“ Meinungswächtern und korrupten EU-Politikern.
Einige Beispiele in den Evangelien scheinen direkt aus Lehrbüchern zur Wirtschaft entlehnt zu sein. Es geht um die Entlohnung in einem Weinberg, um die Freude über die Entdeckung einer verloren geglaubten Drachme und um eine Erzählung des abreisenden Herrn, der seinen Dienern Kapital hinterlässt. Nach seiner Rückkehr konnte ihm derjenige seiner Diener, dem er fünf Talente gegeben hatte, stolz vermelden, dass er sein Kapital verdoppelt hat. Ebenso derjenige, dem er zwei Talente anvertraut hatte. Den armen letzten Diener, der das ihm anvertraute Geld aus Angst vor Räubern vergraben hatte, beschimpfte er. Jesus von Nazareth war also kein Linker, sondern ein Realist.
Die Pharisäer im Tempel
Der Evangelist Lukas berichtet von einem Gleichnis eines Pharisäers und eines Zöllners im Tempel. Die Zöllner waren angestellte Steuereintreiber der Römer: „Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern … sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!“
Jesus hatte ein Problem mit Heuchlern, die mit Fingern auf andere zeigten. Diese unausstehlichen Moralisten treten in asozialen Medien scharenweise auf. Sie sind intrigant, erklären selbstherrlich, was gut und böse ist und scheuen nicht davor zurück, andere anonym zu denunzieren.
Friede den Menschen
Es ist dumm, Jesus als linken Prediger darzustellen angesichts der Trümmerhaufen und Mordopfer, die Kommunisten hinterlassen haben und der Pfuschwerke, die die meisten Politiker links der Mitte produzieren. Jesus zeigte Verständnis für menschliche Schwächen – er verzieh sogar einer Prostituierten ihre Sünden –, aber er sprach nie von Enteignung, nie von Gleichmacherei.
Im Zusammenhang mit der Geburt des Jesus von Nazareth taucht einer der schönsten Sätze der Bibel auf: „Und Friede den Menschen auf Erden!“ Das Programm des Mannes aus Galiläa war nie Hass auf Weiße oder andere Menschengruppen. Sein Programm lautete: „All lives matter“.
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