Es ist bekannt, dass im Bereich der Wissenschaften immer schon geschummelt wurde. Nicht alle Betrügereien werden entdeckt. Seit der Jahrtausendwende ist es jedoch schwieriger geworden, mit Plagiaten durchzukommen, denn es gibt leistungsfähige Computerprogramme, wie etwa Scribbr, PlagAware und andere, die das Internet systematisch absuchen und sogar das Maskieren abgeschriebener Texte mit Hilfe synonymer Wörter entdecken.

Der bekannteste aktuelle Plagiatsvorwurf betrifft die Justizministerin Alma Zadic. Nach einem Anfangsverdacht im Jänner dieses Jahres wurde ein Gutachten einer vierköpfigen Gruppe von Wissenschaftlern veröffentlicht, mit dem massive Vorwürfe erhoben werden. Die Dissertation mit dem Titel „Transitional Justice in Former Yugoslavia. The Influence of the ICTY on the development of the rule of law in Bosnia and Herzegovina, Croatia and Serbia“ soll gleich 73 Plagiatsstellen aufweisen. Das Urteil der Plagiatsjäger ist hart: „Hätte die Verfasserin der Dissertation wirklich alle Stellen, an denen sie Gedanken in Form von Wortketten aus der Literatur bezogen hat, mit Quellen belegt, hätte fast jeder Satz der Arbeit eine Fußnote erhalten müssen. Dann aber wäre das Kriterium der Selbstständigkeit der Dissertation wohl nicht mehr erfüllt gewesen.“ Im Klartext: Die Dissertation sei ein Konglomerat längst vorhandener Textbausteine.

Abgekupferte Doktorarbeit

Der Fall liegt zurzeit bei der Universität Wien. Das Dilemma ist mit Händen zu greifen. Sollte die Universität der Justizministerin den Doktortitel aberkennen, dann würde zugegeben, dass die Universität Wien im Jahr 2017 einen komplett abgekupferten Text als wissenschaftliche Arbeit durchgehen ließ. Wird die Arbeit jedoch trotz der vielen inkriminierten Stellen nicht beanstandet, dann bleibt der Geruch zurück, dass man eine Kandidatin nur deshalb verschont hat, weil sie eine Migrantin ist, eine Frau ist und eindeutig zu den Guten zählt.

„Plagiatsjäger“ Stefan Weber sagte im März, dass er keine Aberkennung von Zadics Doktortitel erwarte. Er halte es für unwahrscheinlich, denn es muss der Kandidatin nachgewiesen werden, dass sie über die Fremdautorschaft hinwegtäuschen und Eigenautorschaft vorgeben wollte. Der Grund, warum Plagiatoren in Österreich öfter durchkommen, liegt in den schlampigen Zitierregeln der österreichischen Rechtswissenschaften. Diese entsprechen nicht den strengen Standards in Großbritannien, in den USA, in Deutschland und in anderen Ländern. In diesem Zusammenhang sagte „Plagiatsjäger“ Weber: „Ich glaube nicht, dass es in erster Linie ein Zadic-Problem ist … es ist ein Problem einer gewissen Zitier-Unkultur in den österreichischen Rechtswissenschaften.“

Schreibfabriken

Ein Problem wird im Zusammenhang mit den Plagiatsvorwürfen nur selten erwähnt. Es geht um die Schreibfabriken. Es ist kinderleicht, diese zu finden. Verschiedene Firmen und Agenturen bieten im Internet Bachelor-, Master- und Doktorarbeiten an. Es heißt da beispielsweise: Unverbindlich anfragen – Ihre Daten werden vertraulich behandelt. E-Mail an: …@acad-write.com.

Besonders häufig sind Angebote für „berufstätige Personen“, die selbstverständlich keine Zeit haben, eine läppische Doktorarbeit zu schreiben. Wer also eine nicht selbst verfasste Bachelor-, Master- oder Doktorarbeit haben will, kann im deutschsprachigen Raum unter dutzenden Schreib-Agenturen wählen, in den USA unter hunderten. Eine Durchforstung der Angebote bringt Interessantes zutage. Besonders günstig sind Bachelorarbeiten zu haben. Masterarbeiten sind schon teurer, bei Doktorarbeiten muss man tief in die Tasche greifen, aber das ist für betuchte Berufstätige kein Problem. Auffallend häufig sind Angebote in den so genannten Orchideenfächern, sowie in den Rechts- und der Wirtschaftswissenschaften. Selten bzw. außerordentlich teuer sind gekaufte Arbeiten in naturwissenschaftlichen und technischen Fächern, denn Fälschungen sind hier nur schwer zu erstellen.

Gekaufte wissenschaftliche Arbeiten werden nach dem Baukastenprinzip fabriziert. Texte werden geklaut, einige wenige Absätze selber geschrieben, und das Ganze wird wie ein LEGO-Haus zusammengesteckt und an mehreren Stellen durch Synonyma kunstreich verändert. Die Frage, warum diese Betrügereien nicht öfter bemerkt werden, ist leicht zu beantworten: Man schaut nicht immer penibel hin. Ein weiterer Grund ist der Mangel an Zeit. Je mehr Masterstudenten oder Doktoranden auf einen (wissenschaftlichen) Betreuer fallen, desto weniger Zeit bleibt für eine genaue Begutachtung. Das ist besonders in Österreich ein Problem. Akademisierungswahn und Facharbeitermangel lassen grüßen.

Der Trend zum wissenschaftlichen Betrug ist ärgerlich. Aus diesem Grund wird bei Top-Bewerbungen nicht mehr nur die Frage nach dem Titel gestellt, sondern wo der Titel erworben wurde. Motto: Oxford schlägt Klagenfurt, Stanford schlägt Krems. Schuld an dieser Entwicklung tragen diejenigen Institute, deren Professoren und Dozenten nicht immer genau hinsehen und dabei drittklassige Akademiker produzieren.

Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.