Rudolf Öller: Nobelpreisträger
Der Nobelpreis für unseren grandiosen Professor Zeilinger wurde in Österreich euphorisch kommentiert. Vielen Österreichern scheint dennoch bewusst zu sein, dass im Bereich Forschung und Entwicklung ein gewisser Aufholbedarf herrscht, findet eXXpress-Kolumnist Rudolf Öller.
Österreich zählte bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu den führenden Forschungsnationen der Welt. Das hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg geändert. Exxpress-Kolumnist Christian Ortner hat vor einigen Jahren in einem Pressekommentar geschrieben: “Nur folgerichtig ist, dass Wien zwar hochattraktiv für grundsicherungsaffine Zuwanderer ist, dafür aber seit Menschengedenken keinen Wissenschaftsnobelpreisträger hervorgebracht hat, keine global wahrnehmbare Spitzenleistung in der Kunst, über keine Hochschule verfügt, die Weltrang hätte. Wohlig wälzt sich Wien im Mittelmaß und fühlt sich auch noch wohl dabei.”
Diese Sichtweise mag defätistisch sein, aber auch ein Nobelpreisträger Zeilinger kann an der Situation wenig ändern, denn sein Nobelpreis ist einer der ganz wenigen, der durch Forschungsarbeit in Österreich verdient wurde. Sehen wir uns einige “österreichische” Nobelpreise an. Konrad Lorenz (1903 – 1989) hat die wichtigsten Arbeiten, die zu seiner Ehrung führten, in Deutschland gemacht. Max Perutz (1914 – 2002) hat die räumlichen Strukturen seiner untersuchten Moleküle in Cambridge (Großbritannien) entschlüsselt. Eric Kandel (* 1929) wurde in Wien geboren, seinen Nobelpreis hat er sich in den USA verdient. Für Martin Karplus (* 1930) gilt das gleiche. Carl Ferdinand Cori (1896 – 1984) wanderte in jungen Jahren in die USA aus. Dort erarbeitete er sich gemeinsam mit seiner Frau Gerty Cori (1896 -1957) den Chemienobelpreis. Diese Liste ist unvollständig. Die meisten Nobelpreisträger, die aus Österreich verjagt wurden und im Ausland Erfolg hatten, waren übrigens Juden.
Aderlass
Die Nationalsozialisten haben nicht nur Juden verfolgt. Es mussten auch “Gesinnungsjuden” büßen, die mit der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler und Künstler nicht einverstanden waren. Das führte in Deutschland und Österreich zu einer Auswanderung brillanter Köpfe und in der Folge zu einem Niedergang der Wissenschaft, was neudeutsch mit “brain drain” beschrieben wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es, bis sich Deutschland von dem Aderlass erholt hatte. Heute zählt Deutschland wieder zu den wissenschaftlichen Großmächten, wie die wachsende Zahl an Nobelpreisträgern zeigt. Auch die Schweiz, Schweden und die Niederlande sind Österreich hinsichtlich Spitzenforschung davongelaufen.
Geld
Das sei halt eine Sache des Geldes, heißt es, es werde zu wenig für Forschung ausgegeben. Geld spielt sicher eine Rolle, aber Geld allein bewirkt noch wenig. Es muss auch richtig eingesetzt werden. Der großartige Quantenphysiker und Nobelpreisträger Richard Feynman schreibt in seiner Autobiografie (“Sie belieben wohl zu scherzen, Mr. Feynman!”), dass er am weltberühmten California Institute of Technology (CALTECH) in Pasadena – ein Vorort von Los Angeles – blieb, obwohl andere Universitäten ihm ein höheres Gehalt geboten hatten. Für Feynman war ein inspirierendes Umfeld wichtiger als Geld. Bildungspolitiker sollten seine Autobiografie lesen. Sie ist erhellender als die “evidenzbasierten” Studien, die nur für Schubladen produziert werden.
Ich kann aus eigener Anschauung bestätigen, dass an vielen Universitäten außerhalb Österreichs ein kreatives und produktives Klima herrscht, das in dieser Qualität und Größenordnung bei uns selten ist. Gute Fachleute können in Österreich zwar ausgebildet werden, doch diejenigen, die in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) nach einem erfolgreichen Team suchen, zieht es in die Schweiz, nach Deutschland, Holland, Frankreich, England, Singapur oder in die USA.
Wie es sich für Soziologen gehört, werden zur Verbesserung der Situation meist unscharfe und allgemeine Forderungen gestellt und nebenbei die flächendeckende Einführung der Gesamtschule gefordert. Die Vorschläge aus den Orchideenfächern sind nett, aber sie kratzen nur an der Oberfläche der Probleme.
Bürokratie
Erstens sind Professoren meist so lange mit dem Ausfüllen von Formularen beschäftigt wie mit Forschung. Die Bürokratie wirkt immer lähmender. Zweitens ist der Neid in Österreich stärker ausgeprägt als beispielsweise in angelsächsischen Ländern, wo das Wort “Streber” unbekannt ist. Wer bei uns als Freiberufler mehr als der Durchschnitt verdient, steht unter Generalverdacht. Professor Zeilinger ist als eine Art Popstar der Forschung davon ausgenommen. Ein drittens Problem ist die Geldverschwendung für einige Orchideenfächer. Bei den Gender “wissenschaften” und verwandten Bereichen in der Politologie können wir durchaus von Pseudowissenschaften sprechen, deren Absolventen in Kammern und bei Parteivorfeldorganisationen als Gleichheits-, Diversitäts- und andere “Forscher” untergebracht werden müssen.
Eine Untersuchung der Lebensläufe von Nobelpreisträgern zeigt, dass Geld und Ansehen des Elternhauses keine Rolle spielen. Nobelpreisträger kommen heute sogar häufiger aus Unter- und Mittelschichtfamilien als aus wohlhabenden oder reichen Verhältnissen. Eine Eigenschaft vereint fast alle Nobelpreisträger. Sie haben allgemeinbildende höhere Schulen besucht und abgeschlossen, eine Schulform deren Qualität in Österreich immer stärker unter Druck gerät. Professor Zeilinger hat zu einer Zeit in Wien maturiert, als unsere Gymnasien noch ein sehr hohes Niveau hatten.
Rudolf Öller ist promovierter Genetiker der Universität Tübingen und seit Jahrzehnten sowohl als Kolumnenschreiber als auch als Buchautor publizistisch tätig. Öller ist gebürtiger Oberösterreicher, hat in AHS und BHS Naturwissenschaften und Informatik unterrichtet und war ehrenamtlicher Rettungssanitäter, Blaulichtfahrer und Lehrbeauftragter beim Roten Kreuz. Er lebt heute in Vorarlberg.
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