Ruth Pauli: Bildung nur für die oberen 10.000?
Die Olympischen Spiele sind zu Ende und die errungenen Medaillen heben den Nationalstolz wie sonst nur (seltene) Fußball-Siege der Nationalelf und (häufigere) Ski-Triumpfe. Die Bewunderung für die erfolgreichen Sportler gilt dabei auch etwas, was wir unseren eigenen Kindern nicht mehr zumuten wollen: der Bereitschaft zu ausdauerndem Training, dem Willen zur Leistung und der Freude am Wettbewerb. Und wir finden es ganz natürlich, dass im Sport das Talent, die besondere Begabung auch intensiv gefördert und unterstützt werden. Warum ist genau das alles aber in unserem Schulsystem verpönt?
Wenn unsere Schulen eine riesige Baustelle sind, dann hat das in erster Linie eine Ursache: dass Bildungspolitik zu einem ideologischen Schlachtfeld verkommen ist, das sich in erster Linie um das Schild über dem Eingang kümmert, aber sehr wenig darum, welche Bedürfnisse die Köpfe der Kinder haben, die dort hineingehen.
Natürlich, im städtischen Raum hat die Flut der Kinder, deren Deutschkenntnisse kaum mehr als rudimentär sind, die Problematik zugespitzt. Die Lehrer haben kaum eine Chance, dass wenigstens der Großteil der Klasse ihrem Unterricht folgen kann – es sei denn, sie senken auch die elementarsten Ansprüche. Die Folge ist ein fragwürdiges Ausbildungsniveau beim Lesen, Schreiben und Rechnen, worauf die weitere Bildung aufbauen soll, aber meist nicht kann.
Das wiederum verursacht einen Run auf die Privatschulen, die längst nicht mehr nur von der High-Snobiety gestürmt werden. Die Unzufriedenheit mit dem Zustand der Ausbildung in den öffentlichen Schulen veranlasst immer mehr Eltern, zusätzlich zum Steuer-Obolus für das Schulsystem auch noch beachtliche Schulgelder zu investieren, damit ihre Kinder gute Chancen im Leben haben.
Viel Geld fließt zusätzlich in außerschulische Ausbildungen. Der Englisch-Kurs im Vorschulalter, der Chinesisch-Kurs für den Zweitklässler, die aus der allgemeinen Ausbildung immer stärker verdrängten Musik- und Kunstausbildungen – all das ist zum Statussymbol geworden.
Rückbesinnung wäre wichtig
Es ist paradox: Jahrzehntelang hat man sich bemüht, alles für alle gleich zu machen, „Elite“-Schulen wie die Gymnasien abzuschaffen, Noten zu verteufeln, um ja keine Unterschiede aufkommen zu lassen – all das hat nicht dazu geführt, dass das breite Bildungsniveau gestiegen wäre und Kinder aus „bildungsfernen“ Familien plötzlich die großen Chancen eröffnet bekommen hätten. Im Gegenteil: Das Bankkonto der Eltern entscheidet heute über den Bildungsweg und damit über die Zukunftschancen der Kinder. Für die Finanzschwächeren bleibt ein Schulsystem, das ein Viertel der Pflichtschulabsolventen als funktionelle Analphabeten ins Leben schickt. Das ständige Hinunterschrauben der Ansprüche im Namen einer imaginären Gleichheit hat Bildung zum Privileg der Finanzkräftigen gemacht.
Ungerechter kann es gar nicht sein.
Wichtig wäre eine Rückbesinnung. Natürlich müssen die Ziele verfolgt werden, die schon Maria Theresia bei der Einführung der Schulpflicht hatte: dass alle Kinder Lesen, Schreiben und Rechnen – und die deutsche Sprache – am Ende der Schulpflicht beherrschen. Und womöglich auch leidlich Englisch, ohne das in der Welt von heute gar nichts mehr geht.
Aber wir müssen auch endlich wieder die Talentierten, die Begabten und die Hochbegabten fördern. Im öffentlichen Schulsystem. Talente und Begabungen sind keine Frage des Geldes, es gibt sie überall. Gute Lehrer können sie erkennen und fördern. Sie wissen auch, dass die Entwicklung des Talents Fleiß, Ausdauer und Hingabe braucht, dass ein gesunder Wettbewerb anregend wirkt und dass junge Menschen gefordert werden wollen.
Im Sport wissen das alle. Und dieser Sportsgeist könnte unseren Schulen guttun. Vielleicht sollten wir als nächste Schulreform die Noten durch Medaillen ersetzen?
Unbeeindruckt von dystopischen Meinungstrends und spitzzüngig gegen Nonsense-Gerede artikuliert sich auch Ruth Pauli (70). „Erst denken, dann twittern“, warnte die Autorin und langjährige ehemalige Innenpolitik-Redakteurin einmal. Schon früh blickte die gebürtige Wienerin über den österreichischen Tellerrand, ihre Studien- und Forschungsjahre führten sie in die USA, die Sowjetunion und nach Frankreich. Nach der Promotion über russische Literatur arbeitete sie unter anderem bei der „Wochenpresse“, der „Presse“ und dem „Kurier“. Sie brachte mehrere Bücher heraus, ob als Übersetzerin, Autorin oder als Herausgeberin.
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