Russlands Teilmobilisierung – 300.000 Mann – klinge für europäische Ohren natürlich enorm, meint Nikolaus Amhof, Parteivorstand für Militärangelegenheiten bei der FPÖ Wien und ausgebildeter Offizier. Doch wenn man die Größe von Russlands Bevölkerung berücksichtige, sei diese Mobilisierung nicht annähernd so groß, wie allgemein behauptet wird. Übertragen auf Österreich würde das in etwa der Einberufung von 15.000 Soldaten entsprechen. „Das ist weit entfernt von einer Ausschöpfung“, unterstreicht Amhof im Interview mit eXXpress-Redakteur Stefan Beig. Er rechnet nun mit einer stufenweisen Eskalation Russlands durch weitere Einberufungen.

Bei der Ukraine sei die Mobilmachung in Wahrheit viel höher. „Man hat hier ein viel größeres Potenzial ausgeschöpft als auf der russischen Seite und wesentlich mehr Ressourcen verbraucht.“

„Die Russen machten sich zunächst Illusionen – das ist typisch“

Auch der gängigen Behauptung, dass die nun über Putins Mobilmachung eingezogenen Männer so schlecht oder gar nicht ausgebildet seien, widerspricht Amhof. „Es werden hier Personen eingezogen mit Naheverhältnis zum Heer, ehemalige Zeitsoldaten.“ Möglicherweise könnte die Ausbildung des Personals bei künftigen Einberufungen für Russland noch zum Problem werden.

Auf eine Generalmobilmachung verzichte Präsident Wladimir Putin wohl primär deshalb, weil er nicht auf den Widerstand der Ukraine vorbereitet war. „Russland hat sich von Anfang an viele Illusionen gemacht. Das ist typisch für die russischen Verhältnisse. Deshalb hat so gut wie jeder Konflikt der russischen Armee mit einer Katastrophe begonnen – ob im napoleonischen Zeitalter, ob bei den beiden Weltkriegen oder bei den Schweden-Kriegen“. Doch dann habe sich das Blatt oft gewendet – zugunsten Russlands.

Die Unterstützung der Ukraine durch den Westen ändert nichts an Russlands Überlegenheit

Dennoch gebe es Schwächen Moskaus, vor allem aufgrund von Potemkinschen Dörfern, mit denen sich Russland Illusionen aufbaue. Amhof sieht Defizite der russischen Armee vor allem bei Logistik und bei modernen Kommunikationsmitteln. Auch dass die Luftwaffe bisher kaum im Einsatz war, überrascht ihn nicht. „Zurzeit findet eine Erneuerung der russischen Armee statt, und die Luftwaffe ist davon am meisten betroffen, denn hier gibt es auch am meisten Potemkinsche Dörfer. Auch wenn das Russland nicht gerne hört: Das Problem ist, dass die russische Luftwaffe nicht als strategische Luftwaffe aufgebaut ist. Es handelt sich eher um eine Art fliegende Hilfsartillerie, nicht um strategische Kräfte wie im NATO-Verband.“

Nichtsdestotrotz sind aus Amons Sicht die russischen Streitkräfte den ukrainischen letztlich klar überlegen. Dass die Ukraine – anders als frühere Gegner Russlands – nun mit westlichen Waffen und westlichem Know-How unterstützt werde, ändere daran grundsätzlich nichts. „Ich rechne mit einer weiteren Ausschöpfung der Kräfte. Was die Unterstützung der ukrainischen Kräfte betrifft, so macht man sich da einige Illusionen. Die indirekte Unterstützung für eine Kriegspartei stößt auf Grenzen.“ Entscheidend seien die auf beiden Seiten verfügbaren Großeinheiten. „Auf Russlands Seite sind die eingesetzten Verbände größer. Eine Wiederauffrischung dieser Verbände ist viel einfacher, als neue Großverbände aus dem Boden zu stampfen.“ Die Unterstützung für die Ukraine werde wohl nur auf ein gewisses Niveau anlaufen – „aber schwer darüber“.

„Russland mobilisiert weitere Kräfte, weil der Spaziergang ins Wasser gefallen ist“

Das habe man auch im amerikanischen Sezessionskrieg (1861 bis 1865) gesehen. Damals seien die Nordstaaten – so wie jetzt Russland – gewaltig überlegen gewesen, doch die Südstaaten hätten sich überraschenderweise mit aller Kraft verteidigt. Sie erhielten auch Unterstützung von europäischen Staaten. Deshalb hat der Krieg deutlich länger gedauert, als die Nordstaaten erwartet hatten – vier Jahre – doch am Ende mündete er im totalen Zusammenbruch des Südens.

Nikolaus Amhof beziffert Russlands Überlegenheit gegenüber der Ukraine mit 10:1. Die überraschend erfolgreiche Gegenoffensive der Ukraine Ende August sieht er nicht als Wendepunkt. Vielmehr sei sie für Russland der Anstoß gewesen, umzudenken: „Der geplante Spaziergang ist ins Wasser gefallen wegen des erfolgreichen und harten Widerstands der ukrainischen Bevölkerung.“ Russland sei daher zum Schluss gekommen: „Wenn wir mit den bisherigen Kräften nicht zum Erfolg gelangen, müssen wir weitere Kräfte mobilisieren.“

„Nur zwei Dinge könnten Russlands Plan vereiteln…“

In einem bevorstehenden Abnützungskrieg sei es nicht so wichtig von welcher Seite Russland nun angreifen werde. Entscheidend sei nun für den Kreml immer mehr Druck aufzubauen, bis der Leidensdruck auf der ukrainischen Seite zu groß werde. Amhof ist sich sicher: „Putin wird nicht aufgeben.“

Nur zwei Dinge könnten Russlands Plan noch vereiteln: „Widerstand im großen Stil bei der eigenen Bevölkerung, die nicht mehr mitmachen will, oder dass eine andere Großmacht in den Krieg direkt eingreift“. Dann wären die russischen Kriegsziele nicht mehr umsetzbar.

„Russlands ist für die USA ein Geschäftsmodell“

Misstrauisch zeigt sich Amhof gegenüber der Rolle der Vereinigten Staaten, die sich gegen den Krieg ausgesprochen haben. „Diesen Krieg hätten die USA leicht verhindern können, etwa indem sie vor dem Einmarsch, der ja militärisch aufgeklärt war, eine Garantieerklärung für die Ukraine abgegeben hätten. Dafür wäre es nicht notwendig gewesen, die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Unter Androhung eines sofortigen Eingreifens wären die Russen dort nie einmarschiert.“

Man müsse sich daher fragen, welche Vorteile die USA aus diesem Krieg ziehen und welche Ziele sie verfolgen. Sie wollen weder einen totalen Sieg Russlands, noch seine totale Niederlage, konstatiert der FPÖ-Politiker. „Russland ist für sie ein Geschäftsmodell. Solange es existiert, kann man es als Bedrohungsfaktor hinstellen, und damit die NATO und eine gewisse Vorherrschaft über Europa rechtfertigen.“ Was also wollen die USA? „Meiner Meinung nach einen endlos langen Krieg. Der nützt ihnen jeden Tag, den er weitergeht.“

„Die Vereinigten Staaten sind der große Gewinner dieses Konflikts“

Es gebe zahlreiche Vorteile für die USA, zum einen wirtschaftliche – „der Energiemarkt wird nun in ihre Richtung umgelenkt“, ebenso erlebe man nun eine Festigung der NATO. Für das Militärbündnis habe ein großes Problem bestanden, solange Putin der Gute war. Doch nun könnten die USA sagen: „Alle müssen hinter uns stehen, sonst kommt es zur Katastrophe, weil der Einmarsch ins nächstes Land erfolgt.“ Hinzu kommen die Einnahmen des militärischen Komplexes. „Die Vereinigten Staaten sind der große Gewinner dieses Konflikts. Jeder Tag arbeitet für sie.“

US-Präsident Joe Biden: Ist der Krieg in seinem Interesse?

Die Beteiligung an einem Wirtschaftskrieg widerspricht der Neutralität

Kritik übt Nikolaus Amhof am Verhalten Österreichs. Als neutraler Staat dürfe es sich nicht an den Sanktionen beteiligen, und zwar aufgrund der Rechtslage, derzufolge ein neutraler Staat völkerrechtlich verpflichtet ist, „alles zu unterlassen, was die eine oder andere Seite begünstigt. Das ist das Wesen der Neutralität.“ Und: „Ein Krieg zwischen zwei größeren Staaten ist der klassische Neutralitätsfall.“ Damit steht für den FPÖ-Politiker fest: „Sich an einem Wirtschaftskrieg gegen eine der kriegsführenden Parteien zu beteiligen, kann man nicht als neutrale Handlung bezeichnen.“

Im Übrigen sei die Neutralität „als Grundnorm der Verfassung anzusehen. Um die Neutralität abzuschaffen muss man eine Volksabstimmung durchführen.“ Darüber hinaus inkludiere die Neutralität aber Verpflichtungen, wie die Aufrechterhaltung der Landesverteidigung. „Man muss sein eigenes Land und seine eigenen Grenzen verteidigen, in einem gewissen Ausmaß. Dazu hat sich Österreich verpflichtet. Diese Verpflichtung muss nun eingemahnt werden. Die entsprechenden Ressourcen müssen dem Bundesheer zur Verfügung gestellt werden.“