Frankreichs Premier Emmanuel Macron herzte in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, und Charles Michel, dem Präsidenten des Europäischen Rates, kann’s gar nicht schnell genug gehen: Die Ukraine soll rasch den Status des EU-Beitrittskandidaten erhalten – und damit noch mehr EU-Geld (und noch mehr Waffen).

Dazu will EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen einen mehrere hundert Milliarden Euro umfassenden Fonds für die Ukraine auflegen: „Wir werden die Ukraine wieder aufbauen.“ Ihr Optimismus überrascht.

Gerade von der Leyen müsste wissen: Vetternwirtschaft ist in der Ukraine allgegenwärtig. Eine korrupte Elite bereichert sich zulasten der Bürger. Daran haben Gelder der EU und die Bedingungen, an die ihre Vergabe geknüpft war, noch nie etwas geändert.

Nach wie vor dominieren Oligarchen und Interessengruppen das Land

Seit mehr als 20 Jahren pumpt die EU-Kommission Milliarden in das Land. So sollen dort etwa Anti-Korruptionseinrichtungen entstehen. Die grassierende Vetternwirtschaft galt ja auch als Haupthindernis für eine Annäherung an die EU. Das wurde offen gesagt. Nur haben schon die bisherigen Gelder nie die erwünschte Wirkung erzielt. Das kritisierte offen der europäische Rechnungshof am 23. September 2021: Es profitierten primär Oligarchen und staatsnahe Lobbys.

Gipfeltreffen zwischen EU und Ukraine am 9. Juli 2018: Selenskyjs Vorgänger, Präsident Petro Poroschenko (l.), wird von EU-Ratspräsident Donald Tusk (M.) und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (r.) begrüßt.APA/AFP/POOL/OLIVIER HOSLET
Herzliche Begrüßung auch beim Ukraine-EU-Gipfel am 13. Juli 2017: Poroschenko (l.) umarmt Juncker.APA/AFP/Sergei SUPINSKY

Ab 2014 stellte die EU-Kommission 7,8 Milliarden Euro (für Makrofinanzhilfe und Hilfsprogramme) bereit. Der Erfolg: „Korruptionsbekämpfungseinrichtungen sind gefährdet und das Vertrauen in derartige Stellen ist nach wie vor gering“, erklärt der Rechnungshof-Bericht.

Sehr verbreitet sei Machtmissbrauch auf höchster Ebene, „durch den sich einige wenige Personen auf Kosten der Allgemeinheit einen Vorteil verschaffen“ und dadurch „der Gesellschaft schweren und weitreichenden Schaden zufügen. Diese Art von Korruption rührt hauptsächlich von Oligarchen und Interessengruppen her.“

Schon in den vergangenen Jahren war die Kommission viel zu nachsichtig gegenüber der Ukraine

Offensichtlich hat die Kommission bereits damals beide Augen fest zugedrückt: „Dutzende Milliarden Euro gehen jedes Jahr infolge von Korruption verloren“, heißt es im Bericht. Dabei „sind der EU die Verbindungen zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen seit langem bekannt.“

Dennoch wurde „keine echte Strategie zur Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene entwickelt. Beispielsweise werden illegale Kapitalströme, einschließlich Geldwäsche, nur am Rande thematisiert”, kritisieren die Prüfer.

3. März 2021: Selenskyi spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Präsidenten des Europäischen Rates in Kiew.APA/AFP/POOL/SERGEY DOLZHENKO

Wunschdenken blendete die Kommission schon damals: Sie gelangte „zu übertrieben positiven Einschätzungen“. Als Beispiel wird der visafreie Reiseverkehr erwähnt. Dessen Umsetzung sei nie infrage gestellt worden, obwohl zwei der drei Voraussetzungen für EU-Hilfe nicht erfüllt wurden.

Fazit: „Obwohl die Ukraine Unterstützung unterschiedlichster Art von der EU erhält, untergraben Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und gefährden die Entwicklung des Landes“, erklärte Juhan Parts, das für den Bericht zuständige Mitglied des Europäischen Rechnungshofs.

Von der Leyen begrüßt Selenskyjauf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft in Brüssel am 15. Dezember 2021.APA/AFP/POOL/Stephanie LECOCQ

Von der Leyen glaubt an die Reformen, denn: „Die Ukrainer sind hochmotiviert“

Scheinbar unbeeindruckt von all dem versicherte Ursula von der Leyen der „Wiener Zeitung“: „Die Ukrainer wollen die nötigen Reformen mit Hochdruck umsetzen.“ Von der Leyens Eindruck: „Sie sind hochmotiviert.“

Wie der Einfluss von Oligarchen und Interessensgruppen diesmal zurückgedrängt werden soll, verriet die EU-Kommissionspräsidentin nicht.

PS: Bereits vor Wochen warnte der Finanzwissenschaftler Prof. Markus C. Kerber (TU Berlin) im Gespräch mit dem eXXpress: Was die EU hier vorhat ist rechtswidrig, undemokratisch und gigantische Geldverschwendung zulasten der Steuerzahler: „Die Europäische Kommission hat scheinbar vollständig den rechtlichen Rahmen, in dem sie tätig werden darf, aus den Augen verloren.“