Der deutsche Finanzexperte und Kläger der Europäischen Zentralbank (EZB) Prof. Markus C. Kerber von der TU Berlin sieht sich bestätigt. Bereits 2014 beschrieb er die EZB als „souveränen Diktator“: Sie bestimmt über den Ausnahmezustand, sowie über die dafür vermeintlich nötigen Maßnahmen und deren Dauer. Gleichzeitig sei die EZB – faktisch – keiner rechtlichen Kontrolle unterworfen, ihre weitreichenden Entscheidungen überschritten nicht nur ihr Mandat, ihnen fehle auch jede demokratische Legitimation. Dies alles hat der Wirtschaftswissenschaftler vor mittlerweile acht Jahren in seinem Aufsatz „Kommissarischer oder souveräner Diktator?“ festgehalten.

Was die EZB nun ins Auge fasst, um Italien neuerlich zu Hilfe zu eilen, könnte das alles untermauern, sagt Kerber, der sich darüber aber keineswegs freut.

Zinswende löste Verkaufswelle am Anleihemarkt aus

Eigentlich hat die EZB erst vor kurzem ein Ende der ultralockeren Geldpolitik samt Stopp der Ankäufe von Anleihen angekündigt. Unzählige Notfallprogramme hatte sie zuvor gestartet, um die Wirtschaft im Euroraum zu stabilisieren: APP, PSPP, CSPP und PEPP. Letzteres sollte – offiziell – die Preisstabilität während der Covid-19-Pandemie sicherstellen.

Prof. Kerber in einem Interview mit dem eXXpress

Im Juni hat die EZB darüber hinaus eine Anhebung des Leitzinses angekündigt. Allein diese Ansage löste wenig später eine Verkaufswelle am Anleihemarkt aus. Die Anleiherenditen – speziell jene der Südstaaten – stiegen in die Höhe. So lagen Staatsanleihen Deutschlands und Italiens zum ersten Mal seit mehr als zwei Jahren um bis zu 2,4 Prozentpunkte auseinander.

Rendite auf südliche Staatspapiere steigen in neue Höhen

Jeder weiß: Ob Staaten besser oder schlechter wirtschaften, hat Folgen für die Bonität ihrer Staatsanleihen. Und: Je höher die Nachfrage nach Staatsanleihen, desto geringer die Rendite (weil das den Kurs des jeweiligen Papiers nach oben treibt.) Um deutsche Staatsanleihen reißen sich die Anleger, um italienische nicht, da springen die italienischen Banken ein. Wenn nun der stark überschuldete italienische Staat unter steigenden Zinsen leidet, dann bereitet das nicht nur ihm, sondern auch den italienischen Banken immer größere Sorgen – und den französischen übrigens ebenso.

Der italienische Ministerpräsident und ehemalige EZB Chef Mario Draghi (r.) und Lagarde (l.) kennen sich schon lange.APA/ AFP PHOTO / THIERRY MONASSE

Für griechische Anleihen stieg die Rendite auf 4,6 Prozent (!) und für spanische Papiere auf zirka drei Prozent. Zum Vergleich: Zehnjährige deutsche Bundesanleihen notierten bei rund 1,7 Prozent. Diese hohen Risikoaufschläge spiegeln die Sorge wider, dass mit dem Ende der ultralockeren Geldpolitik die Unterstützung für diese Länder nachlassen könnte. Die unterschiedlich hohen Zinssätze in den Euro-Staaten sind daher eine der Hauptsorgen der EZB. Wenn die Zinsen im Süden zu stark zu steigen beginnen, droht eine Schuldenkrise.

Aus eine Notkaufprogramm in der Corona-Krise wird ein Transferprogramm

Was also wird die EZB tun? Offiziell weiß man nur so viel: Sie plant die Entwicklung neuer Instrumente. Als erstes Gegenmittel ist die flexible Wiederanlage der Gelder aus abgelaufenen Anleihen im Rahmen des billionenschweren Bond-Kaufprogramms PEPP angedacht. Anonyme Insider haben dazu schon einiges den Medien verraten. Offiziell bestätigt wurde das noch nicht.

Kerber rechnet mit der Etablierung eines – offiziell verbotenen – Transferprogramms zugunsten der überschuldeten Südländer. Mit Hilfe der Tilgungbeiträge aus deutschen Staatsanleihen im Rahmen des PEPP-Programms sollen italienische Anleihen gekauft werden! Kerber: „Das PEPP müsste umgetauft werden. Spätestens jetzt wird das Pandemische Notkaufprogramm zu einem niemals von Parlamenten oder Regierungen beratenen Transferprogramm zugunsten der Südländerschulden.“

Und weiter: „Die EZB wird ihren monetären Sozialismus bis zum letzten deutschen Blutstropfen verteidigen. Warum? Weil mit Änderung oder Untergang des Eurosystems jene Köpfe rollen würden, die jetzt in Frankfurt den Ton angeben. Ich hoffe, Unrecht zu haben.“

„Die EZB gibt der Preisstabilität keinen Vorrang mehr“

Die nächsten konkreten Schritte werden Kerber zufolge vermutlich sein, „dass die EZB zunächst die Wiederanlage der Tilgungsbeträge aus dem PEPP – immerhin 1,8 Billionen Euro – vollständig ‚flexibilisieren‘ wird , d.h. mit den Tilgungsbeiträgen aus deutschen Anleihen italienische Bonds zu erwerben gedenkt. Diese Garantie von Platzierungssicherheit berührt das Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Da auch diese Befreiung von allen Bindungen des PEPP Beschlusses auf Dauer keine Ruhe in den Markt bringen wird, dürfte die EZB mit einem ‚Anti-Fragmentierungsinstrument‘ aufwarten. In dem Maße, wie dessen Ziel die Beseitigung der Zinsdifferenziale im Euroraum – als Ausfluss des Wettbewerbs auf den Kapitalmärkten – ist, läge hierin ein neuer ‚ultra-vires-Akt‘ (zu dem die EZB also gar nicht befugt ist, Anm.).“

Nun sei das deutsche Bundesverfassungsgeschicht gefordert. „Die EZB gibt der Preisstabilität nicht nur keinen Vorrang mehr, sondern hat dieses Ziel für die Steuerung der Zinsen der Südländerschulden aufgegeben. Damit würde sie ihr Mandat verletzen.“