Das News-Magazin wollte in das Innere der beiden Staatschefs Wolodymyr Selenskyj und Wladimir Putin blicken. Eine Cover-Story versuchte sich am 15. April in einer Art psychoanalytischer Ferndiagnose. Das ging ordentlich schief, befand der Journalist und Kolumnist Christian Ortner fünf Tage später in einem Beitrag für den Blog “Mena-Watch”.

Aus Selenskyi wird ein Vampir

Es geht um die Beschreibung der Psyche des ukrainischen Präsidenten, der bekanntlich Jude ist. Hier wurden Bilder verwendet, die man aus der Nazi-Zeit kennt, sagt Ortner. Zunächst zeigte sich Horst Pirker, Geschäftsführer der Verlagsgruppe News,  einsichtig und entschuldigte sich – einen Monat später klagt er.

Bei Ortner hatte der Artikel Verwunderung erregt: “Da erfahren wir zuerst staunend, dass der von Putins Killertruppen in Kiew gejagte Selenskyj ein ‘Histrioniker’ sei, also so etwas wie eine männliche Hysterikerin; was wohl auch seinen Verfolgungswahn vor Putins Killern erklären dürfte.” Von ihm gehe eine enorme Bedrohung aus, denn, so ist in News zu lesen: “Das Motiv des Histrionikers ist, seine innere Leere aufzufüllen; was er wie ein Vampir unablässig tun muss und das, indem er lügt und blendet, um sich selbst zu beweisen, wie großartig er ist.”

Bilder, die man aus dem "Stürmer" kennt

Mit dem Vampir, der “lügt und blendet”, begibt sich das Magazin in sprachliche Niederungen, in die man sich ansonsten besonders gerne im Dritten Reich vorwagte, schrieb Ortner: “Denn einen jüdischen Politiker mit einem ‘Vampir’ zu vergleichen, der das Blut braver Christenmenschen saugt, wagten in der Geschichte des deutschsprachigen Presswesens zuletzt etwa der Stürmer, der Völkische Beobachter und ähnliche Publikationen, seit 1945 ist diese schöne Tradition ja leider umständehalber etwas aus der Mode gekommen.”

Ein paar Wochen nach seiner Entschuldigung will Horst Pirker auf einmal keinen Antisemitismus mehr erkennen.APA/HERBERT NEUBAUER

Bemerkenswerterweise wird Selenskyjs vermeintlicher Hang zum Vampirismus ausgerechnet mit seinen Vorfahren, die im Holocaust ermordet worden sind, begründet: “Triebfeder kann hier, wie gesagt, das psychologische Trauma der jüdischen Vorfahren (…) sein.”

Zuerst wollte Pirker den Vorwurf prüfen lassen

Bereits in den sozialen Medien erregte die News-Story Empörung, noch bevor Ortner seinen Artikel verfasste. Schließlich erklärte Pirker: “Den Vorwurf des Antisemitismus lasse ich umgehend von berufener Seite prüfen.” Christian Ortner bezeichnete das als “eine ganz hervorragende Idee”. Nur anscheinend ist Pirker am Ende zu anderen Schlussfolgerungen gekommen. Vor dem Wiener Handelsgericht reichte der News-Manager Klage gegen Ortner und Mena-Watch ein. Dass seinem Medium “direkt und unverblümt” Antisemitismus vorgeworfen wird, will Pirker so nicht auf sich sitzen lassen.

“Mena-Watch” ist ein “unabhängiger Nahost-Blog”, der sich auch mit Antisemitismus befasst. Ortner ist dort Gastkolumnist. Ortner ist nicht allein mit seiner Kritik. Publizistikprofessor Maximilian Gottschlich etwa sieht in der “sublimen Verknüpfung diagnostizierter oder vermuteter psychischer Störungen mit der mehrfach angesprochenen jüdischen Biografie Selenskyjs” letztlich “eine Opfer-Täter-Umkehr, wie sie sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Antisemitismus zieht”.