1848 - ein unbeliebtes Regime, das keiner mag, aber zunächst keiner bekämpft (Teil 2)
Oft werden politische Regimes nicht deshalb gehasst, weil sie totalitär, sondern weil sie ineffizient sind. So erging es auch dem Kaisertum Österreich in der Zeit des Vormärz, sagt Lothar Höbelt im Teil 2 der eXXpress-Serie. Gestern brachten wir Teil 1.
Das Kaisertum Österreich war unbeliebt, nicht weil es totalitär, sondern weil es ineffizient und zunehmend handlungsunfähig war. Niemand mochte es, wie Lothar Höbelt unterstreicht. Das Herrschaftssystem habe – im Gegensatz zur marxistischen Sichtweise – eben gerade nicht die bestehenden Klassenverhältnisse abgebildet: „Nicht eine einzige Klasse verteidigte das System. Sobald es hart auf hart ging, lehnten sich alle zurück, und sagten: Geht uns nichts an. Die da oben sind selber schuld.“
Lange Zeit herrschte dennoch Ruhe.
Ein handlungsunfähiges Regime, das keiner mehr will
Österreichs damaliges Paradoxon sieht Höbelt in einer „absoluten Monarchie, mit einem Monarchen, der ganz offiziell absolut regierungsunfähig war, und einer Staatskonferenz, die so zerstritten war, dass man ihr keine Entscheidung mehr zutraute.“ Staatskanzler Klemens von Metternich und Staatsminister Franz Anton von Kolowrat-Liebsteinsky lagen de facto im Dauerclinch. „Da war es kein Wunder, dass sich die Überzeugung durchsetzte: Es muß was g’scheh’n, sonst g’schieht was.“ Keiner war mit dem zunehmend handlungsunfähigen System zufrieden:
1) „Der politisch aktive Adel hielt das Herrschaftssystem für schlecht, weil es ihm die Gelder nahm und die Aristokratie keine Kredite erhielt“, unterstreicht Höbelt. „Die Adligen wollten ja gerne einen Modus Vivendi mit den Bauern finden und ihnen sagen: Nehmt Euch einen Kredit und zahlt ihn aus. Das ging aber nicht, weil der Staat alle Kreditressourcen beanspruchte.“
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2) Unzufrieden waren auch die reichen Bauern wegen der Abgaben an die Grundherren. Rechtlich gesehen waren sie nicht vollständig Eigentümer, weshalb sie nichts investierten. Nach 1848 sollte sich das ändern: „Es wurde dann schließlich bereinigt – im Sinne der Bauern.“ Zuvor waren aber gerade sie am Land die eigentlich Unzufriedenen. Die armen Bauern hingegen mussten keine Abgaben leisten, denn sie hatten ohnehin nichts.
3) Grund zufrieden zu sein hatte in gewisser Hinsicht ausgerechnet das Bürgertum, denn wirtschaftspolitisch war der Vormärz in allen Ländern relativ liberal, die merkantilistischen Strukturen wurden weitgehend abgebaut. Auch hatte das Bürgertum zunächst gar keinen Drang mitzubestimmen. „Es saß daheim, meckerte und hatte Angst. In den Salons schimpfte es auf den alten Metternich, aber es entstand keine revolutionäre Dynamik.“
4) Am meisten Wirbel machten die Intellektuellen, die Schriftsteller und Dichter. Sie wollten publizieren, mussten sich aber mit der Zensur herumschlagen. Ihre Texte wurden von untalentierten Schreiberlingen des Staates überarbeitet, was für sie viel schlimmer war, als wenn man ihnen das Schreiben ganz einfach verboten hätte. Doch außerhalb des Habsburgerreichs pfuschten ihnen keine Beamte in ihre Arbeit. Damit fielen die Verlage und Druckereien um ihr Geschäft, denn gedruckt wurde nun im Ausland.
Erst 1848 wollen alle auf einmal mitbestimmen
Lothar Höbelt zufolge war der Staat im Gegensatz zu Frankreich nicht tyrannisch, sondern primär „ineffizient und handlungsunfähig; er wurde aber von allen irgendwie toleriert, auch wenn sich keiner für ihn einsetzte.“ Mitbestimmen wollte aber trotz der allgemeinen Unzufriedenheit zunächst keiner. Das änderte sich erst im Jahr 1848, weil alle auf einmal den Verlust ihres Geldes fürchteten und nicht das Gefühl hatten, dass der Staat ihre Sicherheit gewährleistet (siehe Teil 1).
Auslöser dafür waren die Unruhen in Italien und Frankreich: „Nun dachten alle: Österreich beginnt einen Krieg. Dann gibt es aber Inflation und das österreichische Papiergeld geht den Bach hinunter. Deshalb ging auf einmal das Bürgertum mit Schubkarren voll Geldscheinen auf die Straße, um es gegen Silber zu tauschen. Das Regime war bankrott.“
Ein Polizeistaat ohne Exekutive
Gleichzeitig machte sich Unsicherheit wegen der wachsenden Kriminalität breit. Entgegen allen Behauptungen gab es im Metternichsche Polizeistaat keine Polizei im heutigen Sinne, sagt der Wiener Historiker:
„Es gab die Nachtwächter und die Armee. Dazwischen war nichts. Die sogenannte Polizei war eine Geheimpolizei, bestehend aus Spionen, die aber nur melden, nicht einschreiten konnten. Am Land gab es überhaupt keine Gendarmerie. Für Polizei und Gericht war der Grundherr zuständig, der kein Interesse hatte, jemanden einzusperren und durchzufüttern. So wurde die Umgebung Wiens zunehmend unsicher. Räuberunwesen und Kleinkriminalität machten sich breit, der Staat griff nicht durch, ihm fehlte die Exekutive.“
Am 13. März beginnen sich die Bürger zu erheben. Es wird unruhig im Kaisertum Österreich. Die Kämpfe sollten besonders lange anhalten.
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