Negative Asylbescheide führen mittlerweile zu offenem Streit zwischen Österreichs Gerichten
Streit innerhalb der Justiz: Asylwerber, die mit ihren Asyl-Anträgen bei allen Gerichten scheitern, haben am Ende mit ihrer Berufung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) Erfolg. Der VfGH wiederum wirft dem Bundesverwaltungsgericht vor, diskriminierend und willkürlich gegen die Anträge der Asylwerber entschieden zu haben. Manche von deren Anträgen wirken allerdings näher besehen tatsächlich nicht sehr glaubhaft.
Dass selbst Asylwerber mit wenig glaubhaften Asylgründen jahrelang die Gerichte beschäftigen um am Ende doch nicht abgeschoben zu werden, scheint nicht nur viele Bürger zu empören, sondern auch die Gerichte zu entzweien; mittlerweile hagelt es wilde gegenseitige Anschuldigungen. Speziell zwischen Verfassungsgerichtshof (VfGH) und Bundesverwaltungsgericht herrscht dicke Luft, wie einige – öffentlich einsehbare – Bescheide belegen, mit denen sich die Medien aber bisher nicht befasst haben. Mehrfach hat der VfGH vom Bundesverwaltungsgericht bestätigte Abweisungen von Asylanträgen wieder aufgehoben. Mitunter fragt man sich, wie ein Asylantrag überhaupt noch abgewiesen werden kann, wenn man gewisse Begründungen des VfGH liest.
VfGH: Das Bundesverwaltungsgericht hat willkürlich und diskriminierend entschieden
Mehr als einmal warf der VfGH dem Bundesverwaltungsgerichtshof “Willkür” und Diskriminierung vor (im Sinne von Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander). In einem Fall wurde die wechselseitige Kritik besonders heftig.
Zur Ausgangslage: Eine siebenköpfige sunnitische Familie (drei erwachsene, zwei minderjährige Kinder) aus dem Irak beantragt im August 2015 Asyl. Ihrer Behauptung, vom IS zuvor entführt worden zu sein, glaubt kein Gericht. Es geht der Familie vielmehr um bessere Lebensbedingungen, wird festgestellt. Im März 2018 werden deshalb Asylanträge und subsidiärer Schutz abgelehnt und die Rückreise angeordnet. Nach der Berufung landet die Causa beim Bundesverwaltungsgericht, das 2020 zu denselben Schlussfolgerungen gelangt und die Schilderungen ebenfalls für nicht glaubhaft hält. Als die Familie nun neuerlich dagegen beruft, landet der Fall beim VfGH, und der zieht andere Schlüsse: Es wurde die Situation von Minderjährigen in der irakischen Heimatprovinz der Familie nicht erhoben, kritisiert er. Und: Die Lage dort sei unsicher. Deshalb sei die Entscheidung des Verwaltungsgerichts willkürlich und diskriminierend.
Bundesverwaltungsgericht erkennt keine Diskriminierung und spricht von einem "Fehler" des VfGH
Richter sollen demnach die Lebensverhältnissen in einer Provinz prüfen, die sie bisher nie betreten haben. Als sich das gescholtene Bundesverwaltungsgericht neuerlich mit der Causa befasst, spart es nicht mit Kritik am höchsten Gericht: “Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen hat der Verfassungsgerichtshof in seinem vom Bundesverwaltungsgericht nunmehr umzusetzenden Erkenntnis erkennbar nicht angestellt.”
Worin denn nun die Diskriminierung bestehen soll, sieht das Bundesverwaltungsgericht nicht ein: “eine Begründung, worin nun der Verstoß gegen das zitierte Bundesverfassungsgesetz besteht bzw wie und worin die (fremden) Beschwerdeführer durch das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Vergleich mit anderen Fremden verletzt worden sein sollen, bleibt er allerdings schuldig.” Schließlich spricht das Bundesverwaltungsgericht eindeutig von einem “Fehler” des VfGH: “Ungeachtet dieser dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs anhaftenden Fehler (sic!) wird nicht verkannt, dass selbst Erkenntnisse dieser Art vom Verwaltungsgericht umzusetzen sind.”
VfGH: "Derartige Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht gehäuft passiert"
Ein Ping-Pong-Spiel zwischen VfGH und Bundesverwaltungsgericht war damit eröffnet, das Verfahren wandert nun drei Mal zwischen beiden Institutionen hin und her. Der VfGH hebt die Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts wieder auf, hält daran fest, dass hier Diskriminierung unter Fremden vorliegt, und erklärt: “Derartige, in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Bundesverwaltungsgericht gehäuft unterlaufen”.
Offen bleibt bis heute die Frage, welche Überprüfung der Lage im Irak den VfGH überzeugen hätte können. Immerhin ist ein Leben in der Heimatprovinz der Familie nach wie vor möglich. Es handelt sich um Diyala und dort leben 1,6 Millionen Menschen, darunter auch eine Schwester des Beschwerdeführers, die selbst Kinder hat, die dort die Schule besuchen. Die Formulierungen legen auf jeden Fall nahe: Im Bundesverwaltungsgericht ist man bereits genervt über den VfGH, und zwar ziemlich.
Ein Afghane, der kein Gericht überzeugen kann, bis sein Fall beim VfGH landet
Ein weiteres Beispiel ist eine Entscheidung des VfGH aus dem Februar 2021, die ebenfalls eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufhebt: Ein Afghane – er war 2015 in noch minderjährigem Alter nach Österreich gereist – hatte angegeben, der schiitischen Volksgruppe der Hazara anzugehören. Weil er die Rekrutierungsversuche der Taliban abgewiesen hatte, sei er einen Monat später aus Afghanistan geflohen.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl schenkte seinen Schilderungen keinen Glauben. Nachdem der Afghane gegen die Nicht-Erteilung des Asyl-Status Berufung eingelegt hatte, ließ sich auch das Bundesverwaltungsgericht von ihnen nicht überzeugen. Der Afghane hat bei der Verhandlung nämlich “eine persönliche Bedrohung durch die Taliban nicht vorgebracht”, wie das Gericht erklärt. “Die Frage, ob es jemals eine konkrete gegen den Beschwerdeführer gerichtete Drohung gegeben habe, wurde vom Beschwerdeführer dezidiert verneint”. Auch der einmonatige Abstand zwischen dem Besuch der Taliban und der Ausreise der Familie stimmen das Gericht skeptisch: “Hierzu ist anzumerken, dass die Furcht und Unruhe des Beschwerdeführers aufgrund des Besuchs der Taliban nicht besonders groß gewesen sein kann”. Und so weiter.
Wie im Fall der irakischen Familie war auch hier nicht Schluss: Obwohl das Bundesverwaltungsgericht keine Gründe für eine Berufung beim VfGH sah, erfolgte diese und wurde am 23. Februar 2021 vom VfGH entschieden – im Sinne des Afghanen und gegen das Gericht, dem neuerlich Diskriminierung im Sinne des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander vorgeworfen wurde. Bemerkenswert ist das kleine, willkürlich anmutende Potpourri an Beschwerdepunkten, die der VfGH zusammenträgt: Es sind Details, die an der Kernargumentation des Bundesverwaltungsgerichts nichts ändern und diese nicht berühren, wie jeder nachlesen kann.
Fazit: Unter Österreichs höchsten Gerichten besteht kein Konsens, wann Asylanträge glaubhaft sind und wann nicht. Dass sich Asylverfahren dann in die Länge ziehen, ist nicht verwunderlich. Wenn der VfGH schließlich alles anders sieht, ist ein Ende des Verfahrens nicht in Sicht.
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